09:50 BAUBRANCHE

St. Gallen und Appenzellerland: Kanton bald in neuem Glanz

Geschrieben von: Stefan Breitenmoser (bre)
Teaserbild-Quelle: André Meier / St. Gallen-Bodensee Tourismus

Die Stadt St. Gallen will wachsen. Dafür verändert sie nicht nur das Erscheinungsbild, sondern auch die Strategie. Ähnliches gilt für den Kanton, der die Pandemie insgesamt gut überstanden hat. Zu reden geben aber nach wie vor die Spitäler – auch in Appenzell.

Stift

Quelle: André Meier / St. Gallen-Bodensee Tourismus

Am Antlitz des zum Weltkulturerbe gehörenden St. Galler Stiftsbezirks ändert sich nichts, dafür bleibt sonst kaum ein Stein auf dem anderen.

Es gibt Regionen in der Schweiz, da geht die Post ab. Aber nicht in St. Gallen», meinte Walter Locher, Präsident des Hauseigentümer-Verbandes St. Gallen (HEV), gegenüber dem St. Galler Tagblatt Mitte April. Grund dafür war eine Studie der Fahrländer Partner AG zum Kanton St. Gallen als Wohnstandort, welche der HEV 2020 in Auftrag gegeben und Anfang Jahr vorgestellt hatte. In dieser Studie schneidet der Kanton insbesondere bei den Siedlungsreserven, der Steuerbelastung und der Erreichbarkeit gewisser Regionen schlecht ab. Deshalb boomt laut Locher im Kanton vor allem die Planung, doch fehle der Blick aufs Ganze. «Die kantonale Raumplanungspolitik hat versagt. Mit Planen ist es nicht getan», so Locher.

Diese Kritik liess die St. Galler Bauchefin Susanne Hartmann so nicht auf sich sitzen. Denn die Raumplanungspolitik habe sich mit Inkrafttreten des revidierten Gesetzes 2014 grundlegend geändert, die Innenentwicklung werde darin klar vor die Aussenentwicklung gestellt. Das Motto heisse verdichten, auch wenn dies dem momentanen Einfamilienhaus-Boom entgegenstehe. In diesem Sinne sei die siedlungspolitische Sicht des HEV veraltet. 

So gebe es auch genug Baulandreserven, auch wenn diese in strategische günstigen Gemeinden wie Rapperswil-Jona oder Wil geringer seien als anderswo. Von den 77 St. Galler Gemeinden müssten deren zwölf auszonen, da sie klar zu grosse Bauzonen hätten. Fünf weitere könnten noch zu-warten. «Es verbleiben somit 60 Gemeinden, die Einzonungen prüfen können», so Hartmann in einem Interview mit dem St. Galler Tagblatt.

Bevölkerung Stadt St. Gallen auf mehr als 80'000 gestiegen

Dies war aber nicht der einzige Fall, bei dem Behörden und HEV aufeinanderprallten. Denn Ende letzten Jahres präsentierte die Stadt St. Gallen eine neue Wohnraumstrategie mit Blick auf das Bevölkerungswachstum. Zwischen 2015 und 2017 war die Einwohnerzahl leicht rückläufig. Mittlerweile sind es wieder mehr als 80 '000. Doch geht es nach dem Stadtrat sollen es binnen zehn Jahren 100'000 sein. Dafür sollen mehr junge Familien nach St. Gallen gelockt werden, denn viele ziehen in die Agglomeration. 

Also plant die Stadt eine aktivere Bodenpolitik, in dem sie selber mehr Wohnungen baut, einen bunteren Wohnungsmix bietet und innovative Wohnformen und den gemeinnützigen Wohnungsbau fördert. Diese Strategie stiess wiederum dem städtischen HEV sauer auf. Das sei ein «Auftakt zur Verstaatlichung des städtischen Wohnens» und eine «fatale Fehlentwicklung», die dazu führe, dass private Akteure aus dem Markt verdrängt würden.

Baustelle Kinderspital

Quelle: Webcam kssg

Seit April wird nun auch am neuen Ostschweizer Kinderspital gebaut.

Trotz der Kritik des HEV dürfte allerdings unbestritten sein, dass auf dem St. Galler Wohnungsmarkt Einheitsbrei herrscht. Dass die Stadt nun mit entsprechen-den Fördergefässen dagegen vorgehen will, entspricht deshalb einer gewissen Logik. Doch ganz unrecht hat der HEV trotzdem nicht, auch wenn die Wortwahl ein bisschen am Ziel vorbeischoss. Richtig ist aber, dass es in der Stadt St. Gallen bereits Fördermittel für gemeinnützigen Wohn-bau gibt, bisher aber kaum Anträge ge-stellt wurden. Es fragt sich also schon, wie realistisch und praktikabel die Wohnraumstrategie ist, auch wenn sie am richtigen Ort ansetzt.

Man kann aber der Stadtregierung kaum mangelnden Aktivismus vorwerfen. Denn es werden zurzeit viele Hebel bewegt, um die Stadt fit für die Zukunft zu machen. Da wären beispielsweise Grossprojekte wie der neue Marktplatz, die neue Bibliothek, der Campus Platztor der HSG, der Olma-Deckel oder das neue Kantonsspital. Auch die Entwicklung der Areale Güterbahnhof und St. Fiden schreitet voran, wenn diesbezüglich das letzte Wort allerdings noch nicht gesprochen ist. 

Dazu wird die Stadtautobahn nach langem Hin und Her nun endlich saniert, der Innovationspark Ost ist auf gutem Wege und rund um den Bahnhof ist in den letzten Jahren mit dem neuen Bahnhofsplatz und der Fachhochschule schon einiges passiert. Die infrastrukturellen Grundlagen werden also geschaffen, um 20 000 neue Bewohner aufnehmen zu können. Allerdings fehlt noch der Wohnraum.

Kantonales Planungs- und Baugesetz: Probleme bei der Umsetzung

Mit der Kritik an der kantonalen Planungspolitik liegt wiederum der kantonale HEV nicht ganz falsch, was nur schon dadurch bestätigt wird, dass viele Gemeinde Mühe haben, das neue Raumplanungsgesetz von 2014 und das kantonale Planungs- und Baugesetz von 2017 umzusetzen. Deshalb schlug die Regierung im April Verbesserungen der kantonalen Vorgaben vor. Diese betreffen vor allem das Kompetenzgerangel beim Denkmalschutz, wie das Beispiel der Spinnerei Uznaberg in Uznach oder der Villa Gassner in Flums und die neu eingeführten Schwerpunktzonen zeigen. 

Letztere sollen Überbauungen von unternutzten Siedlungsgebieten ermöglichen und wie erwünscht die innere Verdichtung fördern. Beispiele sind das umstrittene Chez-Fritz-Areal in Buchs mit Hochhausprojekt oder die Brache rund um den Bahnhof St. Fiden. Da die Gesetze diesbezüglich zu wenig Spielraum lassen, soll neu nur noch ein sehr grober Rahmen für die künftige Entwicklung eines Areals vorgegeben werden. Als praxisuntauglich erwiesen sich aber beispielsweise auch die einheitlichen Grenzabstände, weshalb man wieder zur Unterscheidung zwischen grossem und kleinem Grenzabstand zurückgekehrt ist.

Unbestritten ist auch, dass es den St. Galler Regionen und Städten manchmal an Zusammengehörigkeitsgefühl mangelt. Die strukturstarken Regionen wie das Fürstenland mit der Stadt Wil, wo sich insbesondere in der Zusammenarbeit mit dem Kanton Thurgau und der Etablierung von Wil-West einiges tut, und das Linthgebiet mit der Stadt Rapperswil-Jona als Hotspot, wo sich neuerdings sogar Roger Federer niederlassen will, sind schon seit Längerem mehr nach Zürich orientiert. 

Richtung Rheintal tut sich insbesondere in Rorschach, wo diverse Grossüberbauungen wie das Feldmühle-Areal inklusive Bahnhof Stadt anstehen, oder in Buchs, wo diverse Grossprojekte wie der Campus Buchs, das Chez-Fritz-Areal oder «RheinCity» in der Pipeline stecken, einiges. Das Toggenburg versucht mit Projekten wie der Klangwelt sein Möglichstes, ist aber trotzdem strukturschwach. Und in Gossau denkt man zwar gerne gross, lässt bei der Um-setzung aber manchmal das Feingefühl vermissen, wie das Beispiel des Streits um das neue Alterszentrum zeigt. Da fällt es manchmal doch eher leicht, das Fehlen eines Blicks fürs «grosse Ganze», sprich den ganzen Kanton, wie das der HEV kritisiert, zu finden.

St. Galler Staatsrechnung mit Ertragsüberschuss

Dass die St. Galler Regierung trotzdem nicht ganz auf dem Holzweg ist, zeigen indes nicht zuletzt die Finanzen. So schloss die St. Galler Staatsrechnung für 2020 mit einem Ertragsüberschuss von 179 Millionen Franken ab und damit 153 Millionen Franken besser als budgetiert. Als Hauptgrund dafür nennt die Staatskanzlei die um 103 Millionen Franken höhere Ausschüttung der Schweizerischen Nationalbank. 

Für die Linke ist daher die ständige Rede von einem strukturellen Defizit zu einem Mythos geworden. Gegen weitere Sparpakete wie jenes von 120 Millionen Franken, welches im Februar beschlossen wurde, wehrte sie sich trotzdem jeweils vergeblich. Das Budget für 2021 ist allerdings mit einem Defizit von 248 Millionen Franken wieder tiefrot. Deshalb ist selbst die vor Corona geplante Steuerfusssenkung nur noch «mittelfristiges Ziel» der Regierung.

Olmahalle

Quelle: PD

Die neue 12000 Quadratmeter grosse Olmahalle 1 wird bis 2023 auf einem Deckel der St. Galler Stadtautobahn gebaut.

Trotzdem kann man sagen, dass St. Gallen die Pandemie insgesamt gut gemeistert hat, was auch für die Bauwirtschaft gilt. So zeigt die von der Docu Media Schweiz GmbH anhand von Baugesuchen errechnete Bausumme im Vergleich zum Vorjahr wieder leicht nach oben (siehe Artikel Bauwirtschaft Ostschweiz). Der Wohnbau präsentiert sich nach wie vor stark. Die Nachfrage nach Stockwerkeigentum und Einfamilienhäusern ist in der Ostschweiz in der Zeit von Corona stark gestiegen. Laut dem Immobilienmarktbericht der St. Galler Kantonalbank sind dementsprechend auch die Preise für Eigentumswohnungen in letzten Jahr stark angewachsen – und zwar sowohl in allen St. Galler Regionen als auch im Kanton Appenzell Ausserrhoden.

Spitaldebatte geht weiter

Noch nicht ganz geklärt ist allerdings die Frage nach den Spitälern. Klar, die Baustelle des 600 Millionen Franken teueren Projekts «Come together», welches nicht nur die Erneuerung des Kantonsspitals St. Gallen unter laufendem Betrieb, sondern auch den Neubau des Ostschweizer Kinderspitals umfasst, besteht noch bis voraussichtlich 2028. Im April konnten sowohl der Spatenstich fürs Kinderspital als auch die Aufrichte des 52 Meter hohen Bettenturms gefeiert werden. Auch klar ist, dass an die Stelle der vier Kleinspitäler in Altstätten, Flawil, Rorschach und Wattwil in den nächsten Jahren Gesundheits- und Notfallzentren treten sollen. Doch diese Debatte geht schon seit Jahren hoch und ist zumindest im Falle von Wattwil noch nicht ganz entschieden.

Die Gemeinde hat sich nämlich gegen die Übernahme durch das Pflegeunternehmen Soliva gewehrt und die Spitalimmobilie selbst übernommen. Wie es nun weiter geht, ist noch nicht geklärt, was bei Ostschweizer Politikern Besorgnis weckt. Schliesslich müsse auch das Toggenburg eine anständige Versorgung haben. «Die St. Galler Regierung muss mit den Partnern eine Lösung aufzeigen, und kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen», meinte beispielsweise SP-Nationalrätin Barbara Gysi im «St. Galler Tagblatt».

Doch nicht nur in St. Gallen sind die Spitäler nach wie vor ein grosses Politikum, sondern auch im Appenzellerland. So schliesst das Spital Heiden Ende Jahr. Grund dafür sind die Fallzahlen, die seit Jahren rückläufig sind. Laut dem Ausserrhoder Gesundheitsminister Yves Noël Balmer brauche es eine Mindestfallzahl von 3000 um als kleines Spital im Grossraum St. Gallen bestehen zu können. «Eine für Heiden unerreichbare Grösse», sagte Balmer gegenüber der «Appenzeller Zeitung». Dies musste auch in Appenzell Innerrhoden anerkannt werden.

Deshalb trat erst die Regierung im November auf die Notbremse, nachdem der Spitalverbund Appenzell Ausserrhoden die Zusammenarbeit im Bereich der Inneren Medizin auf Ende Juni 2021 gekündigt hatte, und im Mai folgte überraschend deutlich die Landsgemeinde. Das für Appenzell Innerrhoden so grosse, 41 Millionen Franken teure Neubauprojekt «AVZ+» des Spitals Appenzell wird nicht verwirklicht. Der Tenor ist der gleiche. Die Fallzahlen sind so gering, dass Ende Juni gar schon die Bettenstation geschlossen wurde. Seit Sommer müssen die Appenzeller Patienten, was schwierige Eingriffe und stationäre Aufenthalte betrifft, ausserkantonal behandelt werden.

Bhf Herisau

Quelle: PD

In den Bahnhof Herisau als wichtigstes Entwicklungsgebiet im Kanton Appenzell Ausserrhoden wird in den nächsten Jahren viel Geld investiert.

Deutliches Ja zum neuen Bahnhof Herisau

Die Spitalvorlage war sicherlich die emotionalste an der diesjährigen Landsgemeinde, welche allerdings coronabedingt an der Urne abgehalten wurde. Weitere Vorlagen befassten sich mit der neuen Kantonsverfassung und den Revisionen des Strassen- und des Energiegesetzes.

Emotionaler ging es da letzten Herbst in Appenzell Ausserrhoden zu, war doch über einen neuen Bahnhof Herisau zu befinden. Dafür musste einerseits das kantonale Stimmvolk einem Beitrag von 13,3 Millionen Franken für die Strasseninfrastruktur rund um den Bahnhof und andererseits das Herisauer Stimmvolk einen Kredit von 40,5 Millionen Franken für den neuen Bahnhofsplatz gutheissen, was zwei Mal überdeutlich bejaht wurde. Nun kann das Bahnhofsareal als wichtigstes Entwicklungsgebiet im Kanton in einen neuen Stadtteil mit neuem Bahnhofplatz samt Bushof verwandelt werden. Das dürfte dem Hauptort neuen Schwung geben. Denn abgesehen vom Neubau der Migros gibt es kaum Grossprojekte.

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