Sommerwärme für Winterkälte
Auf dem Hönggerberg wird zurzeit ein Pionierprojekt realisiert: Künftig soll die Abwärme der Gebäude auf dem Campus Science City im Sommer mit über 800 Erdsonden im Boden gespeichert werden. Im Winter wird dieselbe Wärme in „veredelter“ Form wieder zum Heizen genutzt. Die Macher sind überzeugt, dass das neue Energiekonzept die schweizerische Gebäudebewirtschaftung revolutionieren wird.
Auf dem Campus Science City hinter dem Chemiegebäude HCL seit einigen Wochen gebaut. Für einmal jedoch nicht in die Höhe, sondern in die Tiefe. Hier und unter dem Neubau für die Life Science Plattform (HPL) im Nordosten des Campus werden zurzeit die ersten beiden Erdwärme-Speicherfelder für ein nachhaltiges Wärmeversorgungsnetz auf dem Campus gebaut. 100 Erdsonden – 200 Meter lange Kunststoffrohre – sind es beim HPL, 130 hinter dem HCI. Im Abstand von fünf Metern werden die Rohre in den Boden versenkt und anschliessend ans Versorgungsnetz der Gebäude angeschlossen. Bis 2020 sollen unter und neben den Gebäuden von Science City 800 solche Rohre liegen und zusammen mit weiteren baulichen Massnahmen eine nahezu CO2-emissionsfreie Energiebewirtschaftung des Campus ermöglichen, so wie sie das Energiekonzept der ETH Zürich vorsieht.
Wie grosse Wärmetauscher
Die Bauarbeiten gehen auf einen Entscheid von 2006 des damaligen Vizepräsidenten für Planung und Logistik, Gerhard Schmitt, zurück. Im Rahmen der bevorstehenden Sanierung der Heizzentrale entschied er sich für ein Pionierprojekt: Über einen grossen Erdspeicher soll niederwertige Energie, sogenannte Anergie, im Erdreich gespeichert und später wieder genutzt werden. Kühlgeräte oder Computerserver, aber auch jeder Student und jede Mitarbeiterin geben Wärme an die Umgebung ab. Diese Wärme muss im Sommer über Ventilatoren und Kühlgeräte abgeführt werden, ansonsten wäre die Hitze in den Hörsälen und Büros nicht zu ertragen. Bislang wurde diese Abwärme meist in die Umgebungsluft abgeführt und ging damit für weitere Nutzungen verloren. In Zukunft soll sie über Erdspeichersonden in den Boden eingelagert werden. Die Sonden funktionieren dabei wie grosse Wärmeaustauscher.
Die Abwärme wird über einen Wasserkreislauf im kühlen Boden bei 8 bis 18 Grad Celsius eingelagert. Im Winter wird die Wärme über denselben Kreislauf wieder nach oben gepumpt und zum Heizen der Gebäude genutzt. Da die 8 bis 18 Grad dafür nicht ausreichen, wird die Wärme über mehrere mit Strom betriebene Wärmepumpen auf 30 bis 35 Grad «veredelt». Das System ist dezentral: Jedes Gebäude ist mit einem Computer ausgerüstet, der genau steuert, wieviel Wärme es zur Beheizung benötigt.
Über den Wasserkreislauf kann Wärme von jedem der neun bis 2020 installierten Speicher angezapft werden. Das Ziel: Nur ein Zwölftel der Gesamtenergie zum Heizen und Kühlen soll über Strom, also hochwertige Energie (Exergie), erzeugt werden. Den Rest holt man aus dem bewirtschafteten Erdreich. Das Potenzial ist enorm: Die Wärmekapazität der Erde ist mit rund 1.0 KJ/kgK zwar etwa vier Mal geringer als diejenige von Wasser. Das riesige Volumen des Erdspeichers macht diesen Nachteil aber wieder wett. Vier Millionen Kubikmeter Erde wollen die Ingenieure auf dem Hönggerberg nutzbar machen. Bei einer Dichte von 2500 Kilogramm pro Kubikmeter und 5 Kelvin Temperaturdifferenz zwischen Laden und Entladen ergibt sich eine Gesamtkapazität von 13 bis 15 Gigawattstunden, was dem Energieinhalt von rund 1500 Tonnen Erdöl entspricht.
Vernetzung wichtiger als Dämmung
Die Möglichkeit der Wärmespeicherung im Untergrund hat weitreichende Konsequenzen für die Bauplanung und Gebäudebewirtschaftung. «Dämmt nicht wie die Irren, sondern vernetzt lieber gut», bringt es Projektleiter Thomas Gautschi vom Ingenieurbüro Amstein und Walthert auf den Punkt. Nicht mehr eine möglichst dichte Dämmung gegen Wärmeverluste, wie zum Beispiel bei Baustandards wie Minergie P, steht bei Science City im Vordergrund, sondern die Verzögerung des Wärmeflusses und die Nutzbarmachung der sommerlichen Überschusswärme für die Beheizung im Winter.
Bei genügend Erdsonden ist eine hocheffiziente Dämmung unnötig. Je nachdem sogar hinderlich. Der Erdspeicher kann im Sommer die Abwärme nämlich nur dann aufnehmen, wenn dieser den Winter hindurch «entleert» wurde; sich die Erde also wieder auf ihre ursprüngliche Temperatur abgekühlt hat. Das eröffnet Bauherren besonders für Renovationen neue Perspektiven: Durch die Vernetzung von Bauten gewinnen sie mehr Freiheiten im Umgang mit den bestehenden Bauhüllen. Besonders Areale mit vielen Einzelgebäuden, wie der Campus Science City, bergen als verbundenes Gesamtsystem ein weitaus höheres Effizienzpotential als die Summe der einzelnen Bauten.
Einfach und günstig
Auch wirtschaftlich ist das Erdspeichersystem attraktiv. Hansjürg Leibundgut ist Professor für Gebäudetechnik an der ETH und Berater des Projekts. „Das wird für die ETH sehr günstig“, ist er überzeugt. Eine Fassadensanierung eines mittelgrossen Gebäudes auf dem Campus würde rund 15 Millionen Franken kosten, eine einfachere Umglasung für weniger Wärmeverluste fünf Millionen. Der Erdspeicher, der zurzeit unter dem HPL installiert wird, kostet dagegen nur 1,5 Millionen Franken. Zudem ist die Veredelung der gespeicherten Abwärme über eine Wärmepumpe günstiger als Heizöl. Und man kann sich über den Erdspeicher Preisschwankungen des Erdöls und zum Teil auch des Stroms entziehen.
„Die Vorteile sind vielfältig, das System relativ einfach – es ist erstaunlich, dass niemand schon früher auf die Idee kam“, sagt Gautschi. Mit ein Grund ist sicher, dass langjährige Erfahrungen mit Erdsondenbohrungen noch fehlen. In der Schweiz fanden solche erstmals vor 25 Jahren statt. Leibundgut ist aber überzeugt, dass sich die Erdspeicherung in Zukunft grossflächig durchsetzen wird: „Wir werden einst die ganze Schweiz als grossen Wärmespeicher nutzen. Dann wird der Wärmeanschluss über den Boden genauso selbstverständlich sein, wie der Anschluss an die Kanalisation oder an den Verkehr.“
2011 ans Netz
Erst muss sich das System jedoch behaupten. Referenzprojekte gibt es bislang keine. Mitte 2011 sollen die beiden Wärmespeicher beim HPL und hinter dem HCI erstmals ans Netz gehen; bis 2020 alle neun Speicher mit insgesamt 800 Sonden. Bis dann wird die ETH Zürich aber wahrscheinlich nicht mehr als einzige auf die Erdwärmespeicherung setzen. Bereits plant Gautschi nämlich vergleichbare Vernetzungssysteme für andere Zürcher Kunden.
Autor:Samuel Schläfli / Online-Ausgabe „ETH Life“