Schlankheitskur für Betondecken
Die Firma Cobiax Technologies AG in Zug ist an der Swissbau mit dem Umweltpreis der Schweiz ausgezeichnet worden. Die mittels Kunststoffhohlkörpern erzielte Reduktion des Betonanteils mit Betondecken ist aus ökologischer, aber auch aus statischer Sicht interessant.
Die Analogie zum Emmentalerkäse drängt sich auf: Der kreisförmige Kunststoffhohlkörper, der im Korridor des Zuger Unternehmens Cobiax wie ein vergessenes Kinderspielzeug am Boden liegt, ist durchaus vergleichbar mit der Form eines Käselaibs. Noch grösser ist die Analogie zum Emmentalerkäse jedoch beim Prinzip, welches hinter dem grauen Hohlkörper steckt. Die Technologie, mittels der in Betondecken Hohlräume wie Löcher in einem Käse ausgespart werden, ist an der diesjährigen Swissbau mit dem Umweltpreis der Schweiz ausgezeichnet worden (vergeben von der Stiftung pro Aqua pro Vita). Mit dem Verlegen von Kunststoffkugeln oder, bei kleineren Deckenstärken eben «käseförmigen» Hohlkörpern, lassen sich bei Betondecken ab einer gewissen Grösse Material und Gewicht sparen. Das ist sowohl statisch als auch ökologisch und ökonomisch von Belang.
Ganz ohne Zusammenhang sind die beiden Effekte nicht, denn in statisch ausgereiften Lösungen steckt meistens auch die Einsparung überflüssiger Lasten und Tragwerksteile. Dass sich dies dann auch auf die Nachhaltigkeit vorteilhaft auswirkt, liegt auf der Hand. Entsprechend antwortet der Cobiax-Geschäftsleiter Hugo Meier denn auch auf die Frage, ob er mit seiner Firma nicht lieber einen Statik-Preis als einen Umweltpreis gewonnen hätte: Beim Cobiax-System sei es von Anfang an um Wirkungsgrad und Ressourceneffizienz gegangen. Das ist eine Qualität, die von Statikern und Umweltschützern gleichermassen angestrebt wird.
Somit lassen sich die aus Recycling-Kunststoff hergestellten und zu Modulen angeordneten Hohlkörper auf zwei Arten verkaufen: als CO2-einsparendes nachhaltiges Baumaterial einerseits und als statisch relevante Gewichtseinsparung andererseits. Um die prozentuale Betoneinsparung sinnvoll zu beziffern, sollte nicht nur das Hohlkörpervolumen, sondern das ganze Rohbaukonzept betrachtet werden, damit auch die durch die reduzierte Eigenlast verringerte Deckenstärke und die daraus hervorgehende Dimensionierung weiterer Tragwerksteile bis hinunter in die Fundation mitberücksichtigt wird.
Hohlkörperdecken und deren statische Vorteile sind keine neue Erfindung. Das Innovative am Cobiax-System ist denn auch nicht die Querschnittreduktion durch Aussparungen, sondern die Methode, eine Hohlkörperdecke mit zweiachsiger Lastabtragung in Ortbeton wirtschaftlich auszuführen. Die Kostengünstigkeit ist dabei entscheidend: Wenn Hugo Meier sein Produkt anpreist, kann er viele Vorteile aufzählen – was am Ende aber zähle, so Meier, seien die gesamten Rohbaukosten. Wie kostengünstig oder kostenaufwendig das System im Vergleich zur Massivdecke ist, kommt auf den Einzelfall an.
Ein Faltprospekt für den Ingenieur
Die Vorteile summieren sich bei mehrstöckigen Gebäuden mit jeder weiteren Betondecke. Die verringerte Eigenlast der Decke ermöglicht eine Verringerung der Deckenstärke beziehungsweise entsprechend grössere Spannweiten. Wenn sich die Gewichtsersparnis bei mehrstöckigen Gebäuden summiert, kann sich das auch auf die Dimensionierung anderer Tragwerksteile, insbesondere der Fundation, günstig auswirken.
Die Bemessung von Cobiax-Decken kann auf allen gängigen Statikprogrammen gerechnet werden und verläuft analog zur Bemessung von konventionellen Massivdecken, unter Berücksichtigung der verringerten Eigenlast. Beim Nachweis der Verformung kommt ein Steifigkeitsfaktor und beim Querkraftnachweis ein Querkraftfaktor hinzu. Daraus ergibt sich ein um rund 50 Prozent geringerer Grenzwert für die Querkraft, weshalb die Deckenbereiche, die über diesem Grenzwert liegen, massiv auszuführen sind. Interessant bleibt das Cobiax-System auch in Kombination mit Vorspannungen.
Während die zur Bemessung relevanten Werte und Erklärungen alle auf einem A5-Faltprospekt Platz finden, erforderte die soeben erteilte Zulassung für Deutschland ein deutlich umfangreicheres Dossier. Im Labor der Technischen Universität Darmstadt wurden Versuche zum Biegetragverhalten, zum Durchstanzverhalten und zum Querkrafttragverhalten durchgeführt, derweil die Daten zum Drillverhalten mittels eines Finite-Elemente-Programms ermittelt und in umfangreichen Bestätigungsversuchen nachgewiesen wurden.
Ein Coach für den Maurer
Seit rund fünf Jahren werden Cobiax-Module in Betondecken (und im österreichischen Einzelfall auch in Brücken-Hohlkasten) verbaut. Eines der Probleme bleibt der Auftrieb der Elemente bei der Verarbeitung des Ortbetons. Um diesem beizukommen, muss der Beton in zwei Schichten eingebracht werden, was zwar gewöhnungsbedürftig, aber – gemäss Hugo Meier – in der Baustellenpraxis schnell akzeptiert ist. Beim ersten Einbau ist in der Regel eine Fachperson von Cobiax auf der Baustelle. Wenn die erste, die untere Bewehrung umschliessende Schicht anzusteifen beginnt, bildet sie genügend Verankerung, um dem Auftrieb der Hohlkörper-Körbe entgegenzuwirken.
Im hiesigen Spannungsfeld zwischen baupraktischer Traditionsverbundenheit und Innovationsfreudigkeit verdient ein System wie Cobiax auf jeden Fall die Aufmerksamkeit und den Kredit, auf dessen Basis es weiter ausreifen kann. Den Statikern und den Architekten bietet Cobiax spannende Alternativen, für den Unternehmer im Augenblick eher noch einen Mehraufwand und für den Umweltschützer eine verheissungsvolle Technologie. Die umwelttoxischen Schadstoffe, darunter CO2, werden dabei gemäss Cobiax im Vergleich zur konventionellen Massivdecke um 20 Prozent reduziert. (Valentin Rabitsch)
Nachgefragt bei Hugo Meier
Hugo Meier ist Geschäftsführer der Firma Cobiayx Technologies AG
Der Hauptsitz von Cobiax befindet sich in der Schweiz – die technologischen Gutachten und Zulassungen haben Sie aber in Deutschland ausstellen lassen. Weshalb?
Hugo Meier: Deutschland ist ein Zulassungsmarkt. In Gegensatz zum liberalen Markt in der Schweiz ist es dort ungleich schwieriger, ein Produkt wie Cobiax neu einzuführen. Die erforderlichen Gutachten und Nachweise haben uns rund eine Million Euro und sieben Jahre Geduld gekostet. Wir mussten Festigkeitsnachweise erbringen, die noch nicht einmal bei Massivdecken offiziell erbracht worden sind.
Auf Ihrer Referenzliste sind Bauten in ganz Europa aufgeführt. Wo sehen Sie Ihren hauptsächlichen Absatzmarkt?
Im Direktverkauf konzentrieren wir uns auf die Länder Schweiz, Deutschland und Österreich. In den übrigen Ländern und ausserhalb von Europa lassen wir unsere Technologie von Lizenzpartnern vertreiben.
Das Thema der Nachhaltigkeit hat in der Baubranche massiv an Bedeutung gewonnen. Schlägt sich das in Ihrer Marketing-Strategie nieder – stellen Sie jetzt mehr die ökologischen als die statischen Qualitäten Ihres Produkts in den Vordergrund?
Wir waren vor ein paar Jahren zurückhaltender mit ökologischen Argumenten, um nicht als grüne Idealisten marginalisiert zu werden. Aber Wirkungsgrad und Ressourceneffizienz waren von Anfang an die entscheidenden Qualitäten unseres Produkts. Das wirklich entscheidende Verkaufskriterium sind aber die Kosten: Ein System, das teurer ist als die entsprechende konventionelle Variante lässt sich auch heute nicht mit dem Argument der Nachhaltigkeit oder der statischen Vorteile verkaufen. Wir legen Wert auf Lösungen, die ganzheitlich optimierte Rohbaustrukturen erlauben.
Ist das nicht abhängig vom Bauherrn?
Doch, insofern hat uns der Umweltpreis auch etwas gebracht. Wenn uns Bauherrschaften und Projektentwickler besser wahrnehmen, kann das für uns zum Türöffner werden: Wir werden dann früher in die Projektentwicklung eingebunden, was für uns natürlich von Vorteil ist. (va)
Patentierte Weiterentwicklung einer patentierten Erfindung
Der geistige Vater von Hohlkörperdecken mit kugelförmigen Aussparungen ist der dänische Ingenieur Jørgen Breuning, dessen Bubbledeck-Konzept beim Bau des im Jahr 2000 fertiggestellten Millennium-Towers in Rotterdam zur Anwendung kam. Die Marke beziehungsweise das Unternehmen Bubbledeck existiert weiterhin und produziert im nordeuropäischen Raum in erster Linie vorfabrizierte Halbfertigelemente, bei denen die Hohlkörper in sechs Zentimeter dicken Betonelementen fixiert und mit der unteren und oberen Bewehrung verbunden sind.
Die Gruppe Cobiax Technologies hat sich zwischen 2004 und 2005 vom Bubbledeck-Lizenznehmer zum unabhängigen Unternehmen gewandelt. Es erfolgte die Umfirmierung der Unternehmensgruppe, die Anmeldung neuer eigener internationaler Patente sowie der Marke cobiax®. Die massgebliche technische Weiterentwicklung seit Bubbledeck ist das Modular-Konzept von Cobiax, bei dem die Hohlkörper nicht mehr zwischen der vorgefertigten Bewehrung eingeschlossen sind, sondern in separaten Körben als sogenannte Korbmodule, unabhängig von der Bewehrung zum Verlegen bereitgestellt werden.
Die Reihen- und Flächen-Module werden an der vor Ort verlegten unteren Bewehrung befestigt. Damit wird Cobiax in der Anwendung ortsbetonkompatibler, was für die hiesige Betonbautradition ein wichtiger Faktor ist. Einen der ersten publizitätsträchtigen Auftritte hatte das System 2006 beim Bau des St.-Jakob-Turms in Basel (siehe «baublatt» 9/2008).
Ein weiterer Entwicklungsschritt war die Modifikation der Kugelform zu den abgeflachten sogenannten Slim-Line Hohlkörpern, die für Deckenstärken zwischen 20 und 34 Zenitmetern eingesetzt werden können. Die Hohlkörper selbst werden mittels Blasformtechnik (Kugeln der Eco-Line) und Spritzgussverfahren (Hohlkörper der Slim-Line) aus rezykliertem Polyethylen und Polypropylen hergestellt.
Grundlegend neue Komponenten werden bei Cobiax im Augenblick nicht avisiert. Hugo Meier kündigt aber noch für dieses Jahr Modellpflege an, die als «Finetuning» des bestehenden Systems zu verstehen seien. Was es genau sein wird, will er noch nicht sagen. (vr)