09:35 BAUBRANCHE

Sanierung im Gipsstollen Schleitheim: Ein Stück Bergbaugeschichte bewahrt

Geschrieben von: Karin Stei
Teaserbild-Quelle: Hans Rudolf Meier

Im Dezember 2022 stürzte ein Teil des Zuganges des Gipsstollens Schleitheim ein. Dass er seit November 2024 wieder begehbar ist, ist ein kleines Wunder, an dem der Regionale Naturpark Schaffhausen, Fachbetriebe und viele Sponsoren beteiligt waren.

Gipsstollen Schleitheim Hans Rudolf Meier

Quelle: Hans Rudolf Meier

Hans Rudolf Meier präsentiert stolz den neu sanierten Stollenteil. Als Projektleiter hielt er die Fäden in der Hand.

Vom späten 18. und bis ins frühe 20. Jahrhundert spielte der Gipsabbau als Dünger für die Landwirtschaft in der Schaffhauser Region eine wichtige Rolle. Von den Stollen, die damals in den Berg getrieben wurden, ist heute nur noch der Gipsstollen Schleitheim auf zirka 200 Metern Länge begehbar. Dieser Zeitzeuge einer vergangenen Bergbau- und Industrieepoche hat sich zu einer beliebten Touristenattraktion entwickelt. In den vergangenen zwei Jahren mussten Besucher jedoch vertröstet werden. Im Dezember 2022 war es auf zirka zehn Metern Länge zu einem Niederbruch an einer Engstelle des Zugangsstollens gekommen, glücklicherweise, ohne dass Menschen zu Schaden kamen.

Rechtzeitige Kontrolle 

Denn nur eine Woche vor dem Niederbruch war der Stollen für die Öffentlichkeit geschlossen worden. Die «Stiftung zur Förderung des Gipsbergwerkes und Gipsmuseums Schleitheim», die Betreiberin der Einrichtung, hatte Bauingenieur Hans Rudolf Meier um eine Einschätzung der Stollensicherheit gebeten. «Zusammen mit einem Kollegen habe ich den Gipsstollen begutachtet und ihn am gleichen Tag wegen ungenügender Sicherheit schliessen lassen.» Ohne grössere Sanierungsarbeiten war an eine Wiedereröffnung nicht zu denken. Die Stiftung wandte sich erneut an Hans Rudolf Meier, Präsident des Regionalen Naturparks Schaffhausen. Denn Stiftung und Naturpark kooperieren in vielfältiger Weise miteinander. Der Naturpark vermarktet nicht nur das Gruppengeschäft des Gipsmuseums Schleitheim. Beide haben auch in die Installation einer Gartenbahn durch den Gipsstollen investiert. «Die Stiftung schloss mit dem Naturpark eine Leistungsvereinbarung für die Sanierung. So konnten wir das Backoffice und die Verwaltung des Naturparks nutzen», erklärt der Präsident des Naturparks.

Gipsstollen Schleitheim Kaverne

Quelle: Hans Rudolf Meier

In der grossen Kaverne können jetzt wieder Besucher empfangen werden.

Gipsstollen Schleitheim Niederbruch

Quelle: Sebastian Böheim

Gesicherte Ortsbrust kurz vor dem Ende des Niederbruchbereiches.

Gipsstollen Schleitheim Stollen

Quelle: Sebastian Böheim

Der enge und niedrige Stollen erschwerte das Arbeiten erheblich. Hier eine der noch vorhandenen und kontrollierten Engstellen.

700'000 Franken für die Sanierung

Als Projektleiter liess Hans Rudolf Meier seine guten Kontakte spielen. So holte er für die Planung und Bauleitung die ILF Beratende Ingenieure AG mit ins Boot. «Unsere Aufgabe war es, ein Konzept auszuarbeiten, wie wir diesen Stollen wieder zugänglich machen und ertüchtigen können», berichtet Sebastian Böheim, der gemeinsam mit einem Kollegen von ILF die technische Leitung innehatte. Und Hans Rudolf Meier nahm auch die Finanzierung in die Hand. Zum einen gewann er als Hauptgeldgeber die Jakob und Emma Windler-Stiftung, die 330000 Franken beisteuerte und damit den Startschuss ermöglichte. Als sich später herausstellte, dass weitere Sanierungsarbeiten notwendig waren, sponserte die Stiftung zusätzlich 200000 zum Gesamtbeitrag von 700'000 Franken. Weiteres Geld kam von der Gemeinde Schleitheim, der Stiftung zur Förderung des Gipsbergwerkes und Gipsmuseums Schleitheim/Verein Gipsstolle Schlaate, dem Kanton Schaffhausen, der Schaffhauser Kantonalbank und der Clientis BS Bank Schaffhausen AG, die Raiffeisenbank sowie Infra Suisse und Wäckerlin Transporte. Beteiligte Firmen wie die ILF oder auch Gasser Felstechnik AG und die Dr. von Moos AG, die mit der bergbaulichen Ausführung betraut wurden, verzichteten darüber hinaus auf die Verrechnung eines Teils ihrer Leistungen.

Schwierige Ausgangslage

Da keine schriftlichen Aufzeichnungen zu dem Stollensystem vorlagen, wussten die Ingenieure von ILF nicht, wie das Profil tatsächlich aussah. Erneut spielte ein glücklicher Zufall eine Rolle. Im Zuge einer Masterarbeit hatte ein ETH-Student 2017 das gesamte Gipsbergwerk unter Tage gescannt und auch Fotos geschossen, die das Bergwerk vor dem Einsturz des Stollenzuganges dokumentierten. «Auf diesen Daten konnten wir aufbauen. Wie die Sicherung tatsächlich aussah, haben wir erst mit den Massnahmen vor Ort feststellen können. Mit der ausführenden Firma Gasser Felstechnik AG hatten wir einen sehr erfahrenen Spezialisten zur Seite», so Sebastian Böheim. Die Bestandsaufnahme ergab, dass der bestehende Holzverbau im Gipsbergwerkstollen an vereinzelten Stellen in einem schlechten Zustand war und ebenfalls mitsaniert werden musste.

Gipsstollen Schleitheim Sicherungseinbau

Quelle: Hans Rudolf Meier

Sicherungseinbau im Bereich von Verschneidungen im bestehenden Stollenbereich.

Gipsstollen Schleitheim Sicherungselemente

Quelle: Sebastian Böheim

Sicherungselemente mit Gitterträger und Spritzmatten für den Aufbau der Sicherung.

Arbeiten mit Pickel und Schaufel

Die Sanierungsarbeiten gestalteten sich herausfordernd. «Solche kleineren Bergwerke oder Stollen hat man selten im Portfolio, das kleinste bis jetzt war für mich ein Tunnelbau für eine Privatperson. Aber so ein Kleinstprofil war für mich auch das erste Mal», erklärt Sebastian Boeheim. Denn der Stollen weist unterschiedliche Höhen von 1,50 bis zirka 1,80 Meter auf, in der Breite sind es gerade mal 1,20 Meter. Die Enge zwang die Mineure oftmals dazu, gebückt zu laufen und zu arbeiten, oder Engstellen im Kriechgang zu überwinden. «Ich habe mir immer an derselben Stelle den Helm angeschlagen», erinnert sich Christian Zimmermann, Abteilungsleiter Untertag bei Gasser Felstechnik AG. Im Tunnelbau übliche Geräte wie Grossbagger, Spritzroboter oder Abbauhammer kamen dementsprechend nicht in Frage. «Von der Logistik her mussten wir uns schnell auf Handarbeit einstellen. Das war auch für uns eine neue Erfahrung», so Zimmermann. 

Sein Vier-Mann-Team war stattdessen auf Schaufel, Pickel und Handbohrmaschinen angewiesen. Glückes Geschick: die bereits vorhandene, bis zum Niederbruch verlegte Gartenbahn und tragbare Förderbänder konnten zum Abtransport der rund 10 Kubikmeter des stark verlehmten und durch aufgesogenes Wasser sehr schweren Materials genutzt werden. Um die Arbeit zu sichern und zu erleichtern, wurde der Kreuzungsbereich kurz vor dem Niederbruch mit Spritzbeton und Armierungsnetzen verstärkt. Von da aus wurde das Profil erweitert, so dass das Team nach zwei Wochen aufrecht arbeiten konnte. Zwei der Mineure hatten auch Bergbauerfahrung, auf die Zimmermann zurückgreifen konnte. «Das war sehr gut, da sie viel über die Sicherungselemente im Holzverbau wussten. Das war für mich als Tunnelbauer Neuland.» Mittels Spritzbeton und Gitterbogenausbau wurde der Niederbruch gesichert. Neben dem Auswechseln von einzelnen Holzsicherungen tätigten die Mineure auch Arbeiten an der Stollenbahn-Gleissohle. Diese erste Etappe der Stollensanierung im Frühjahr 2024 dauerte rund zwei Monate.

Gipsstollen Schleitheim Gartenbahn

Quelle: Sebastian Böheim

Die Gartenbahn erleichterte den Mineuren den Transport des schweren Niederbruchmaterials.

Gipsstollen Schleitheim Lohre

Quelle: Hans Rudolf Meier

Auf einer Lohre wurde das Material von und zur Baustelle unter Tage transportiert.

Gartenbahn erweitert

Nach Abschluss der ersten Sanierungsetappe konnte der Stollen erstmals seit anderthalb Jahren bis zur Kaverne inspiziert werden. In einem zweiten, vierwöchigen Arbeitseinsatz im August 2024 führte Gasser Felstechnik AG weitere Holzverbauarbeiten und Sicherungen vor allem in den Eckbereichen und im First durch. «Ein paar ganz heikle Stellen haben wir mit Spritzbeton und auch mit Spritzbetonpfeilern unterstützt», berichtet Zimmermann. In der Kaverne wurden Verformungsmessgeräte installiert, die von einer Fachfirma kontrolliert werden. «Der Vorteil am Holzverbau ist, dass das Holz knackt und Geräusche macht, wenn es unter Druck gerät und man wird dadurch gewarnt», erklärt Christian Zimmermann. Im Zuge der Sanierung verlegte Gasser Felstechnik AG auch die Gleise der Gartenbahn – einer einfachen Schmalspurbahn – bis zur Kaverne weiter.

Warum es zum Niederbruch kam, ist offen. «Vermutlich kam es aufgrund der Absenkung des Gleises der Gartenbahn im Bereich der Engstelle zu einem Versagen der bestehenden Ausbruchssicherung. Die alten Holzstützen, die eingebaut waren, wurden untergraben und die Konstruktion konnte dem Druck vom Lockermaterial oben nicht mehr standhalten», schätzt Sebastian Böheim. Dass der Gipsstollen Schleitheim und damit auch das Gipsmuseum im November 2024 feierlich eröffnet werden konnten, markierte den Abschluss der anstrengenden Arbeiten. «Geologisch und technisch ist es spannend, dass man hier die Schichtungen des Gipses betrachten kann, und auch die alten Methoden des Abbaus und der Weiterverarbeitung», freut sich Hans Rudolf Meier über den Erhalt des letzten begehbaren Gipsbergwerks der Schweiz. 

Gipsstollen Schleitheim Schwamm Holzverbau

Quelle: Hans Rudolf Meier

Der alte Holzverbau war teilweise von einem unschädlichen Schwamm (Pilz) befallen.

Zur Geschichte

Gipsstollen Schleitheim

Quelle: Hans Rudolf Meier

Im Gipsmuseum Schleitheim erhalten Besucher einen Einblick in den bergmännischen Abbau, die Verarbeitung, die Eigenschaften und die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten von Gips.

Bis ins frühe 18. Jahrhundert wurde Schleitheimer Gips zu Bauzwecken kaum abgebaut. Das änderte sich jedoch, als der deutsche Pfarrer Johann Friedrich Mayer die Nutzung von Gips als Dünger in der Landwirtschaft propagierte. Als einträgliche Einnahmequelle verpachtete die Gemeinde Schleitheim Gemeindeland an Gesellschaften und interessierte Einzelpersonen. Zur Blütezeit um 1860 lieferte der Stollen rund 9000 Tonnen Gipssteine pro Jahr, bis zu 150 Personen fanden hier ihr Auskommen. Der heutige Museums-Stollen datiert aus dem Jahre 1860. Ursprünglich gab es sieben Stollen, die heute nicht mehr zu finden sind. Anfang des 20. Jahrhunderts kaufte die Gipsunion (Holcim) das Gipsbergwerk und legte es kurz darauf still. Die Übernahme durch die Buchdruckerfamilie Stamm verlängerte den Abbau bis 1944. Sie eröffnete 1938 auch das Gipsmuseum. 1962 ging dieses an die Gemeinde Schleitheim über und 1996 wurde das Museum von Grund auf neugestaltet. 2017 und in den folgenden Jahren investierte die «Stiftung zur Förderung des Gipsbergwerkes und Gipsmuseums Schleitheim» zusammen mit dem Regionalen Naturpark Schaffhausen in die Gartenbahn, um die Erlebbarkeit des Gipsbergwerkes zu verbessern und den Unterhalt zu vereinfachen.

Weitere Informationen unter: museum-schleitheim.ch/gipsmuseum.htm

Gipsmuseum Schleitheim

Das Gipsmuseum Schleitheim wurde 2011 ins Verzeichnis der Geotope von nationaler Bedeutung aufgenommen. Auf kleinstem Raum und als einziges dieser Art in der Schweiz zeigt es auf anschauliche Weise die geologische Entstehung des Gipses, den bergmännischen Abbau, die Verarbeitung, die Eigenschaften und die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten des Gipses unter anderem in der Landwirtschaft, im Bauwesen, in der Medizin und der Kunst.

Rund 4500 Besucher jährlich zieht das Gipsmuseum Schleitheim an. Die neueste Attraktion ist die Gartenbahn, die nun durchgängig vom Eingangsportal bis zur grossen Kaverne verläuft. Sie wurde von Lehrlingen der Firma Stadler Rail als Ausbildungsprojekt konstruiert, gebaut wurde sie in der Lehrlingsausbildungsstätte Wibilea.

  • Anfahrt: Flüelistrasse 25, 8226 Schleitheim-Oberwiesen (nahe Grenzübergang Schleitheim/ Stühlingen).
  • Öffnungsdaten 2025: Immer am ersten Sonntag jeden Monats.

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