Quartalsbericht 1/2020: Baugesuche erweisen sich als Lichtblick
Die Corona-Krise hat die Schweizer Baubranche bereits im ersten Quartal in Mitleidenschaft gezogen. Dennoch gibt es inzwischen Anlass zur Hoffnung. Nachdem in der Westschweiz die Veröffentlichung von Gesuchen zeitweise sistiert war, werden diese nun wieder publiziert.
Das Schweizer Bauhaupt- und Ausbaugewerbe ist mit einer Abschwächung ins Jahr gestartet. Im ersten Quartal 2020 sank die Bausumme geplanter Hochbauprojekte gesamthaft um 9,5 % nach leichten Veränderungsraten in den Vorjahren. Mit einem Minus von 5,9 % zum Schlussquartal bewegt sich die Veränderung der jeweils aggregierten Hochbausumme aber im Bereich der Vorquartale. Die Zahl der Baugesuche erhöhte sich im ersten Quartal leicht um 0,2 %. Stark ins Minus gedreht haben die Summen projektierter Bauvorhaben sowohl beim Wohnals auch beim übrigen Hochbau.
Dynamik bei Nachholeffekt
Im Vergleich zum ersten Vorjahresquartal sank die Bausumme des Segments Wohnrenditeliegenschaften gesamthaft um 11,6 %. Die Veränderung ist aber auch unter Berücksichtigung des Basiseffekts zu sehen, mit Bezug auf die hohen Werte in den Jahren zuvor. Weniger dramatisch sieht es bei der Quartalsbetrachtung im Bezug zum Zehnjahresdurchschnitt aus, wie die neusten Daten der Docu Media Schweiz GmbH zu den Zeitreihen des ersten Quartals zeigen. Noch 3,7 % lag die voraussichtlich verbaute Segmentsumme unter dem entsprechenden Mittel. Sowohl das Neubau- als auch das Renovierungsgeschäft liefen bei den Mehrfamilienhäusern (MFH) harzig (-11,4 % beziehungsweise -12,0 %). Drei Viertel des Investitionsvolumens fliesst jeweils in Neubauten.
Die Nachfrage nach Mietwohnungen dürfte in diesem Jahr empfindlich gestört sein. Der Beschäftigungsabbau und die Angst vor einem Verlust des Arbeitsplatzes könnten dazu führen, dass weniger Haushalte gegründet werden. Davon geht das Beratungsunternehmen Wüest Partner aus. 2018 entfiel gut die Hälfte der Haushaltgründungen auf Singles, angetrieben durch eine gute Beschäftigungslage und leicht steigende Löhne. Die Nachfrage dämpfen dürfte zudem das zurzeit bestehende Grenzregime, das die internationale Zuwanderung zum Erliegen brachte, wie das Beratungsunternehmen in der Frühlingsausgabe seines Immo-Monitorings schreibt.
Insgesamt sehen die Immobilienspezialisten einen grösseren Druck bei Mietpreisen und Renditen auf die Wohnbaubranche zukommen, ebenso einen Anstieg der Bestände leerstehender Wohnungen. Mittel- bis langfristig geht Wüest Partner aber von einem Nachholeffekt aus. Die eminente Bedeutung der Wohnrenditeliegenschaften zeigt auch der Blick auf den wertmässigen Anteil des MFH-Segments bezogen aufs erste Quartal und gemessen an der auf Basis der Gesuche ermittelten Summe. In den letzten zehn Jahren hat sich dieser Anteil stetig erhöht von gut 63,0 % (2011) auf knapp 76,0 % im Anfangsquartal 2020.
Die Erwartung sinkender Gesamteinkommen und Wertverluste werde die Nachfrage nach Wohneigentum zwar beeinträchtigen, doch das Finanzierungsumfeld bleibe günstig und stütze nach wie vor den Erwerb von Wohneigentum. Die eigenen vier Wände als Rückzugsort könnten dem Wunsch nach Wohneigentum zusätzlich Auftrieb verleihen. Negative Preisveränderungen hält Wüest Partner im laufenden Jahr aber für wahrscheinlich. Aufgrund der verschlechterten gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und einer abnehmen - den Wohnungsproduktion für den Eigentumsmarkt dürfte laut Einschätzung des Beratungsunternehmens auch das Angebot sinken, sodass sich die Preisrückgänge im Rahmen halten könnten.
EFH-Segment wenig volatil
Die Summe projektierter Einfamilienhäuser (EFH) stieg gegenüber dem Vorjahresquartal gesamthaft um 0,7%, wobei das Segment laut den Docu-Media-Zahlen vor allem beim Neubaugeschäft zulegen dürfte (+1,9%). Die geplanten Investitionen für Umbauten gingen leicht zurück (-0,7%), was zusätzlich dämpfend auf die Auftragslage wirken könnte. Gegenüber Unsicherheiten im Immobilienmarkt reagiert das EFH-Segment laut Wüest Partner in der Regel weniger volatil als dies bei Miet- und Eigentumswohnungen der Fall ist. Auch sind mittelgrosse Objekte preisstabiler gegenüber konjunkturellen Einflüssen als Häuser der gehobenen Klasse.
Innerhalb des Segments wird ein vergleichsweise hoher Anteil der Bausumme für An- oder Umbauten oder Kombinationen davon verwendet. Laut den im ersten Quartal eingereichten Gesuchen fliessen voraussichtlich knapp 44% der projektierten Segmentsumme in Renovierungen. Beim MHF-Segment lag der Umbauanteil bei gut 19%. Der Wohnbau ist der bei weitem wichtigste Bereich des Hochbaus. Im ersten Quartal machte dieser gut drei Viertel der projektierten Hochbausumme aus, auf den übrigen Hochbau entfiel knapp ein Viertel der Investitionen.
Bürobau erholt sich kräftig
Beim übrigen Hochbau in den ersten drei Monaten glänzen konnte der Bürobau. Die projektierte Summe für die Produktion von Büroflächen schoss im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresquartal um 58,9% nach oben. Ein sattes Plus gab es bereits im Vorquartal (+53,4%). Damit schien sich beim Bürobau eine Erholung abzuzeichnen. Denn gegenüber dem Vorjahr mit zwar mehrheitlich negativen Quartalswerten bei der voraussichtlichen Flächenproduktion gab die projektierte Summe des Segments im Gesamtjahr nur leicht nach (-1,1%). Diese Entwicklung ging in den letzten zwei Jahren einher mit einem Abbau der Leerstände, was aufgrund des geringeren Angebots in den wichtigsten Wirtschaftszentren zu steigenden Mieten führte. Tendenziell sieht Wüest Partner angesichts der konjunkturellen Abkühlung eher eine abwartende Haltung der Unternehmen, neues Personal einzustellen und damit die Nachfrage nach Büroflächen zu erhöhen.
Nach durchwegs positiven Zuwachsraten in den Vorjahresquartalen und einem guten Gesamtjahr (+16,5 %) ist die Bausumme des Industriebaus um 9,3 % zurückgegangen. Die stark auf Exporte ausgerichtete Schweizer Industrie mit Marktpräsenz in Übersee hat die möglichen negativen Folgen des Coronavirus auf die wirtschaftlichen Aktivitäten vermutlich bereits früh in die Szenarien ihrer Investitionsrechnungen einbezogen.
Das Segment Spitalbau hat sich gegenüber dem Vorjahresquartal leicht abgeschwächt (-2,7 %). Beim Schulbau verringerte sich die Bausumme um 52,5 % vom allerdings zweithöchsten Wert der letzten zehn Jahre. Im Vergleich zum Vorquartal ergab sich aber eine leichte Zunahme von 5,8 %. Bei beiden Baubereichen befanden sich die projektierten Bausummen im Anfangsquartal aber deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt.
Aufgrund der Reisebeschränkungen hohe Einbussen verkraften muss das Tourismussegment, nachdem die Schweizer Hotellerie in den ersten zwei Monaten noch das zweitbeste Ergebnis seit knapp drei Jahrzehnten einfahren konnte. Im Gastgewerbe beziffert das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco den Produktivitätsausfall wegen des Coronavirus auf rund 80 %. Die projektierte Bausumme ging zum Vorjahresquartal um 36,3 % und zum Vorquartal um 34,3 % zurück. Zur Hoffnung Anlass geben könnte bei einer schrittweisen Aufhebung der Eindämmungsmassnahmen der Binnentourismus.
SPS und Allreal wachsam gelassen
«Grundsätzlich stehen unsere Investitionsentscheide für Bestandsliegenschaften auf ‹Hold›. Bietet sich jedoch eine gute Gelegenheit, sind wir jederzeit bereit, wieder zu investieren», heisst es bei Swiss Prime Site (SPS) auf die Frage nach dem Umgang mit Investitionsentscheiden in Zeiten der Corona-Krise. Derzeit geht die SPS, deren Projektpipeline inklusive Reserven momentan ein Investitionsvolumen von 2,0 Milliarden Franken umfasst, davon aus, dass die Bauvorhaben wie geplant umgesetzt werden. Rund die Hälfte der 15 Projekte mit einem Zeithorizont bis 2026 sei bereits in Ausführung und es gebe keine Veranlassung, die Bauarbeiten zu stoppen. Auch bei der Einreichung von Gesuchen würden sich keine Änderungen ergeben.
Die Vorvermietung nehme allerdings in der aktuellen Situation effektiv deutlich mehr Zeit in Anspruch, da für die Realisierung entwickelter Projekte neben der Bewilligung auch der Vorvermietungsgrad wichtig sei. Mögliche Risiken sehe man bei der Nachfrage nach Gewerbe- und Büroflächen im Falle einer starken und lang anhaltenden Rezession. Die Gestaltung künftiger neuer Betreibermodelle biete aber mit Blick auf die Mieterschaft auch Chancen, was es bei Eigenentwicklungen frühzeitig zu antizipieren gelte.
Die Allreal-Gruppe sieht momentan keine Veranlassung, bei der Planung des Projektportfolios grössere Anpassungen vorzunehmen. «Die Corona-Krise hat kurzfristig kaum Einfluss auf Investitionsentscheide. Grundsätzlich werden die Terminpläne bei Bauprojekten eingehalten. Bei einzelnen Projekten, die mit Start ab Sommer 2020 geplant waren, wird es zu Verschiebungen kommen. Diese Projekte verbleiben im Arbeitsvorrat, kommen aber erst im Folgejahr zur Ausführung», teilt das Unternehmen auf Anfrage mit. Allerdings werde man die Unsicherheiten im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung genau beobachten.
Bedingt durch eine Rezession könnten Investitionen ausbleiben, was sich negativ auf die Hochbautätigkeit auswirken würde. Der Projektbeurteilung mit Chancen- und Risiken-Analyse werde noch grössere Bedeutung zugemessen. Bei Bestandsliegenschaften könnten die Mieten für Büro- und Gewerbeflächen infolge eines Nachfragerückgangs und steigender Leerstände unter Druck geraten, was sich auf die Bautätigkeit in diesem Segment auswirken werde. Auch werde sich der Angebotsüberhang für Mietwohnungen an peripheren Lagen akzentuieren. Bei der Vermarktung von Wohnungen stellt Allreal allerdings keinen Nachfragerückgang fest. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich die Nachfrage in diesem Bereich und an zentralen Lagen eintrüben werde.
Hoffen auf ein «V»
Gesamtwirtschaftlich ist die Situation allerdings wesentlich schlechter als zu Beginn der Corona-Krise erwartet wurde, da laut Seco seit Mitte März rund ein Viertel der Produktivität weggefallen ist. Die Expertengruppe des Seco schätzt, dass das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) im laufenden Jahr um 6,7 % schrumpfen wird (Prognose vom 23. April). Zuletzt gab es einen solchen Einbruch nach dem Ölpreisschock im Jahr 1974. Zuvor hatten bereits die CSÖkonomen ihre Prognose für die Schweizer Konjunkturentwicklung in diesem Jahr auf -3,5 % korrigiert von zuvor -1,0 %.
Beim BIP-Rückgang geht das Seco von verschiedenen Szenarien aus. Bei einem V-förmigen Verlauf der BIP-Wachstumskurve («V-Szenario») könnte sich die Wirtschaft wegen des zusätzlichen Konsums rasch wieder erholen und 2021 um 8,0 % wachsen. Zäher wäre der Verlauf der Erholung beim «L-Szenario», bei der von einem Rückgang von 10,0 % in diesem Jahr ausgegangen wird und einem Plus von lediglich 3,0 % im 2021. Konjunkturexperten gehen bei ihren Annahmen für Rezessions- Szenarien oft auch von einer «U-Form» aus, bei der die statistischen Schätzwerte von Prognosen zwischen den beiden vom Seco skizzierten Szenarien liegen dürften.
Dank klarem Wachstum der Chemieund Pharmaausfuhren war der Aderlass bei den Exporten aber nicht allzu stark. Die Schweizer Exporttätigkeit hat im ersten Quartal saisonbereinigt wieder angezogen. Im März betrug das Plus zum Vormonat saisonbereinigt 2,2 %, preisbereinigt gab es aber einen Rückgang.
Deutschland robust
Für die Eurozone erwarten die Konjunkturforscher des Ifo-Instituts und der ETH Zürich im laufenden zweiten Quartal einen Einbruch der Wirtschaftsleistung von 10,5 % (Prognose vom 9. April), nachdem bereits im ersten Quartal das BIP um 2,3 % schrumpfte. Für das dritte Vierteljahr rechnen die Forscher aber mit einem Zuwachs von 8,7 % gegenüber dem Vorquartal.
Beim privaten Konsum ist laut dem Ifo- Institut und der ETH Zürich im Euroraum mit Rückgängen von 3,3 und 13,6 % in den zwei ersten Quartalen zu rechnen. Im dritten Quartal schätzen sie das Plus auf 12,0 %. Bei den Investitionen folge auf zwei Minuswerte von 2,3 und 10,0 % im dritten Quartal dann ein Plus von 10,4 %.
In Deutschland erachten die «Wirtschaftsweisen » eine schnelle und nachhaltige Erholung als wahrscheinlich, auch wenn aufgrund der grossen Unsicherheit präzise Vorhersagen momentan kaum möglich sind. Denn im Kern hätten wir es mit einer gesunden deutschen Ökonomie zu tun. Bei einem Negativszenario mit einem längeren «Shutdown» sei 2020 in Deutschland aber ein BIP-Rückgang von 5,4 % denkbar.
Deutschschweiz stabil
Stabil war in der Deutschschweiz die Entwicklung der veröffentlichten Baugesuche sowohl im März als auch im April (siehe auch aktuelleMonatsstatistik April). In den Westschweizer Kantonen werden mittlerweile die Ausschreibungen in den Amtsblättern wieder publiziert, nachdem die Veröffentlichung vorläufig sistiert war. Auch die Zahl der Gesuche erreicht wieder ein Niveau wie vor den behördlichen Massnahmen. Im Tessin dürfte die Publikation von Gesuchen voraussichtlich in der zweiten Hälfte dieses Monats wieder aufgenommen werden.
Die Folgen des Corona-Virus lähmen zwar die Bauwirtschaft, was ursächlich auch den vergleichsweisen starken Rückgang im ersten Quartal erklären kann. Doch lässt sich die verhaltene Baukonjunktur unter Betrachtung der Gesamtjahressumme zu einem beträchtlichen Teil auch als Fortschreibung des Trends in den letzten drei Jahren interpretieren. Der Einbruch der auf das Gesamtjahr akkumulierten Hochbausumme kam 2017, nachdem diese im Jahr zuvor den höchsten Wert der letzten zehn Jahre erreichte. Im letzten Jahr schwächte sich die Gesamthochbausumme nochmals leicht ab. Mit jeweils einer Ausnahme bei der Hochbausumme und den Gesuchen bestätigt die Entwicklung der letztjährigen Quartalszahlen diesen Trend.
Im ersten Quartal Kontinuität vermitteln die Zahlen zu den Zementlieferungen. Die vierteljährlich erhobene Lieferstatistik des Verbands der Schweizerischen Cementindustrie (Cemsuisse) verzeichnete trotz der Ausnahmesituation im Monat März gegenüber dem ersten Vorjahresquartal eine Abnahme von 0,2 %.