Pérolles: Stausee und Vogelparadies in Fribourg
Bei Fribourg steht ein baugeschichtliches Denkmal: die älteste betonierte Staumauer in Europa. Bereits 1892 wurde die 195 Meter lange und bis zu 23 Meter breite Gewichts-Staumauer eingeweiht. Seither versorgt der so entstandene Pérolles-Stausee die Saanestadt mit Strom. Und dient zahlreichen Wasser- und Zugvögeln als Lebensraum.
Quelle: Ben Kron
195 Meter lang, 152 Jahre alt: Die Pérolles-Staumauer unterhalb der Stadt Fribourg.
Die Erfindung der Dampfmaschine läutete die industrielle Revolution ein: Mit ihr wurde maschinelle, für die Industrie nutzbare Kraft plötzlich überall verfügbar. Zuvor war man auf Fliessgewässer oder allenfalls den Wind angewiesen, um die benötigte Energie zu erzeugen. Doch auch nach 1769, als James Watt die erste moderne Dampfmaschine präsentierte, blieb die kostenlose Wasserkraft ein wichtiger Standortfaktor, um neue Industrien anzusiedeln.
So nutze man schon seit dem 18. Jahrhundert auch im Freiburgischen das Wasser, das aus dem Galterental in die Saane geflossen kam, doch blieben die Betriebe, damals mehrheitlich Mühlen, auf die direkte Nähe zum Wasserlauf angewiesen.
Revolutionär anders
Erst im Jahr 1869 hatte ein Neuenburger Ingenieur namens Guillaume Ritter eine Idee, wie diese Wassernutzug revolutionär anders erfolgen konnte: Kern des Konzepts war eine Staumauer, welche die Saane zurückhalten und ein nutzbares, künstliches Gefälle schaffen sollte. Mit dieser Energie wiederum sollte Trinkwasser aus einem Reservoir in die Stadt Fribourg gepumpt werden.
Dazu aber wollte Ritter die Energie auch für die Industrie nutzbar machen: Über ein System von sogenannten teledynamischen Kabeln sollte die Bewegungsenergie siebzig Meter hinauf ins Quartier Pérolles geführt werden, um dort Sägereien damit zu betreiben. Ein teledynamisches Kabel ist zu vergleichen mit einem Antriebsriemen, der in diesem Fall auf Pfeilern und über rund einen Kilometer Distanz geführt wurde. Dazu wurden die riesigen Kabel über eine Relaisstation in einem Turm geschlauft und durch einen Tunnel gezogen. Technisch lässt sich das System am besten mit einer heutigen Seilbahn vergleichen.
Quelle: Ben Kron
Staumauer und Turbinenhaus: Die Anlage liefert bis heute Strom für die Anwohner der nahen Stadt.
Quelle: Ben Kron
Überbleibsel des teledynamischen Kabels: Über diesen Pfeiler führte das allererste Kraftübertragungssystem.
Erste Betonstaumauer Europas
Ritters gründete eine Aktiengesellschaft, um seine neuartige Idee umzusetzen, und so entstand am Fusse der Stadt Freiburg die Maigrauge-Gewichtsstaumauer mit einer Kronenlänge von 195 Metern. Die Mauer umfasst ein Bauvolumen von 34000 Kubikmetern, ist auf der Krone 4,5 und am Fundament 23 Meter breit. Die Sperrenhöhe beträgt 24 Meter. Dieses 1872 fertiggestellte Bauwerk bedeutete nicht nur die allererste Aufstauung der Saane, sie ist die erste Betonstaumauer überhaupt in Europa, an deren Struktur sich trotz diverser Umbauten bis heute kaum etwas verändert hat.
Nach nur zwei Jahren war Ritters Unternehmen aber pleite und wurde vom Kanton Fribourg aufgekauft. Es bildete den Grundstein der Freiburgischen Elektrizitätswerke, die seit 2006 nur noch «Groupe E» heisst. Der Kanton war auch für den ersten Umbau verantwortlich: Bereits 1890 hatte das teledynamische Kabel ausgedient, und Pérolles wurde zum hydroelektrischen Kraftwerk umgebaut, wie es noch heute in Betrieb ist und Strom liefert. 1910 erfolgte ein zweiter umfassender Umbau der Anlage.
Quelle: Ben Kron
Das teledynamische Kabel wurde durch einen eigens gehauenen Stollen geführt, der heut nur noch einen Wanderweg beherbergt.
160 Vogelarten
Und noch etwas entstand durch die Stauanlage: der Pérolles-See. Oberhalb der gebremsten Saane entstand um drei Flusswindungen ein Gewässer mit wertvollen Sumpf- und Schilfflächen. Hier am Fusse der steilen Felswände findet sich eine bemerkenswerte biologische Vielfalt: 160 Vogelarten wurden in dem Gebiet gezählt, dazu 570 Pflanzenarten, einige davon vom Aussterben bedroht. Der See ist deshalb schon seit 1961 Vogelschutzgebiet.
Und eine Attraktion vor den Toren der Stadt Freiburg: Vom Quartier Pérolles aus, heute vom Industriestandort zum Wohnquartier mutiert, sind es nur wenige Fussminuten auf dem Chemin Guillaume Ritter, bis man das Naturidyll erreicht. Und ein fast vergessenes Baudenkmal von nationaler Bedeutung.
Noch ein Rekordbau
Quelle: ETH-Pics / Fotograf unbekannt
Lehrgerüst Bau Pérolles-Brücke 1922, Richard Coray
Der Name Pérolles zierte für eine Weile ein weiterer Rekordbau: 1922 wurde die gleichnamige Brücke über die Saane eingeweiht, welche die Altstadt mit dem Vorort Marly verbindet. Die 75 Meter hohe Brücke, von "E. Züblin & Cie. Zürich" erbaut, war damals mit 548 Metern die längste Brücke der Schweiz.
Bemerkenswert an diesem Bau war auch das Lehrgerüst, für das der berühmte Bündner Ingenieur Richard Coray verantwortlich zeichnete. Coray konstruierte dabei ein fliegendes Gerüst mit 56 Metern Spannweiter, wie es hier erstmals im Brückenbau eingesetzt wurde.
Ebenfalls aussergewöhnlich: Zusammen mit 20 mitgebrachten Bündner Arbeitern erstellte Coray das Gerüst in gerade mal 9 Monaten. Vereinbart waren 15. (bk)
Quelle: Ben Kron
Imposant und die Umgebung benetzend: das nach dem Turbinieren entspannte Wasser.
Quelle: Ben Kron
Das Naturschutzgebiet zieht sich über drei Windungen flussaufwärts und liegt nur wenige Fussminuten von der Stadt entfernt.