16:11 BAUBRANCHE

Nomadenvolk droht das Ende

Mit viel Pathos wurde der erste Strang der russisch-deutschen Gaspipeline von Angela Merkel und Präsident Dmitri Medwedjew als „grösstes Infrastruktur-Projekt unserer Zeit“ eröffnet. Für den Bau des Megaprojektes wird das Nomadenvolk der Nenzen einen hohen Preis bezahlen.

Mit der Gaspipeline „Nord Stream“ sollen jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas von Russland nach Deutschland fliessen, genug um 26 Millionen Haushalte zu versorgen. Die 1224 Kilometer lange, 7,2 Milliarden Euro teure Leitung führt vom russischen Wyborg, hart an der finnischen Grenze, westwärts durch die Ostsee, südlich an Finnland und an der südschwedischen Ostsee-Küste vorbei bis ins ostdeutsche Lubmin. Russland, schon heute Deutschlands grösster Lieferant von Gas mit 40 Prozent Marktanteil, aber auch von Öl und Steinkohle, gewinnt damit noch mehr an Bedeutung. Kritische Stimmen äussern sich besorgt über diese steigende Abhängigkeit von Russland.

Die rein rechnerisch mögliche Versorgung von 26 Millionen Haushalten entspricht 64,5 Prozent der 40,3 Millionen Haushalte Deutschlands. Real werden jedoch grosse Gasmengen weiter nach Europa geliefert und erhöhen auch in weiteren Ländern die Anteile russischen Erdgases an der Versorgung. Die Abhängigkeit von russischem Gas liegt auch in der EU schon bei 40Prozent. Deutsche Politiker spielen diese Abhängigkeit hinunter mit Hinweisen darauf, dass auch andere Versorgungsprojekte gefördert werden, die nicht unter russischen Einfluss stehen.

Trotzdem mehr Versorgungssicherheit

So paradox es scheint, erhöht die neue Pipeline eher die Versorgungssicherheit, da sie Russland und Deutschland direkt verbindet. Erpressungsversuche, Lieferunterbrechungen durch Transitstaaten, wie sie von vergangenen Jahren noch in Erinnerung sind, verlieren ihre Wirkung. In diesem Sinne kann die Ukraine als Verliererin der neuen Pipeline gelten, da ihre Bedeutung als Transitland relativiert wird.

Nenzen und Natur bezahlen

Im Getöse der Erfolgsmeldungen über dieses laut Angela Merkel „grösste Infrastruktur-Projekt unserer Zeit“ werden die Verlierer dieser gewaltigen Gasausbeutung gerne vergessen. Das riesige Gasvorkommen, das nun immer mehr auch Europa versorgt, liegt in Westsibieren, auf der Jamal-Halbinsel und im Autonomen Kreis der Nenzen, wo 4700 Nenzen als Nomaden leben.Die Nenzen sind eine indigene Volksgruppe Westsibiriens, die sich noch ihre traditionelle Lebensweise bewahrt hat. Das auf der Jamal Halbinsel lebende Volk gilt als Vollnomaden. Sie leben in Familienverbänden, die mit ihren Rentierherden umherziehen; im Winter durch die südliche Taiga und im Sommer durch die Tundra bis an die Polarmeer-Küste.

Die forcierte Erdgasförderung in den auch vegetativ sensiblen Polargebieten ist mit grossflächigen Umweltzerstörungen, der Vernichtung von Weidegründen und der Durchtrennung jahrhundertealter Wanderrouten verbunden. Die traditionelle Rentierzucht und damit die Lebensgrundlage für die Nenzen wird damit verunmöglicht. Wie so häufig, wenn Rohstoff-Interessen auf dem Spiel stehen, dürften vereinzelte Proteste verhallen und die Nenzen Stämme aus den Gas-Ausbeutungsgebieten vertrieben werden. (mai)

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