09:57 BAUBRANCHE

Noch immer hoch im Kurs

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Und nun werden in der Schweiz Hochhäuser gebaut!» Dieses Zitat ist kein Ausruf neueren Datums. Es erschien im Vorwort der Sondernummer «Hochhäuser» des Baublatt-Verlags vom 4. Mai 1956. Bereits damals wurden «in Fachkreisen und in allen Schichten der Bevölkerung Vor- und Nachteile der Hochhäuser reichlich diskutiert».

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Schweizer Perle, noch immer hoch im Kurs

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Der damals zuständige Baublatt-Redaktor war sich bewusst: «Schweizerische Lösungen sind nicht immer bequeme und nicht immer überragende Lösungen im Sinne kühner Experimente. Unsere Lösungen sind erdauert, auf eidgenössisches Mass zugeschnitten und werkmässig solid. So liebäugeln wir, wenn wir das schweizerische Hochhaus befürworten, nicht mit amerikanischer Rekordsucht nach Manhattans Wolkenkratzer. Aber wir freuen uns, wenn das bekannte schweizerische, aus Tradition und Erfahrung genährte Mittelmass auch auf architektonischem Gebiet Lösungen gefördert hat, welche durchaus nicht etwa «mittelmässig» sind». Die 40 vorgestellten Projekte waren denn auch keineswegs «mittelmässig» sondern viele zählen noch heute, gut ein halbes Jahrhundert später zu den herausragenden Ikonen modernen Bauens in der Schweiz. Wir haben die hauseigene Publikation zum Anlass genommen, auf Spurensuche zu gehen und zeigen Ihnen auf diesen und den folgenden Seiten fünf Beispiele, die schon damals für Furore sorgten: Die von Albert Heinrich Steiner konzipierte Hochhaussiedlung im Letzigraben-Heiligfeld, die zwei Hochhäuser zur Bastei und Schmiede Wiedikon von Werner Stücheli, das von Hans von Meyenburg 1967 gebaute und von Romero Schäfle Architekten 2008 transformierte SIA-Hochhaus am Schanzengraben sowie das Schwesternhochhaus in Glarus von Jakob Zweifel.


Letzigraben Heiligfeld, Zürich (1950-1952)

Die Geister, die ich rief

Als Zürcher Stadtbaumeister leitete Albert Heinrich Steiner zwischen 1946 und 1952 Planung und Bau der ersten beiden Wohnhochhäuser Zürichs. Die identischen Zwölfstöcker auf Y-förmigem Grundriss stehen als Paar an der Kreuzung Badenerstrasse/Letzigraben. Zusammen mit der kommunalen Wohnsiedlung Heiligfeld III bilden sie eine Gesamtüberbauung, die – von Steiner als Mustersiedlung für die differenzierte oder gemischte Bauweise konzipiert – zu ihrer Entstehungszeit in weiten Kreisen Beachtung fand. Die Projekte stiessen auf reges und wohlwollendes Interesse in Presse und Öffentlichkeit, sie lösten keine grundsätzliche Kontroversen aus, wie man heute vielleicht annehmen könnte: «Während sich die Einwohnerzahl Zürichs mit schnellen Schritten den 400 000 nähert, gehen auch auf baulichem Gebiet bedeutende Dinge vor sich. Das Neuste ist, dass wir auf Stadtgebiet kleine Wolkenkratzer erhalten werden», berichtete der Tages-Anzeiger im März 1950. Diesen «Vorstoss der Hochmoderne» unternehme «niemand anders als der Stadtbaumeister selber», damit werde «das Eis für eine ganz neue Art von Überbauung der noch freien Geländepartien an der Peripherie unserer Stadt gebrochen». Das Projekt solle «als Muster für moderen Hochhäuser dienen», man wolle damit «Erfahrungen sammeln». Der Erfolg der Letzigraben-Hochhäuser brach das Eis für diese Bauform. Nur drei Jahre nach dem Bau seiner Muster-Hochhäuser fühlte sich Steiner veranlasst, die Euphorie zu dämpfen, zu der er selber beigetragen hatte: «‹Jedem Städtchen sein Hochhaus!› So tönt es auf und ab durchs Schweizerland (...). Ich spreche absichtlich einer Zurückhaltung im Hochhausbau das Wort, weil wir heute von einer Art Hochhaussucht erfasst sind, die zur Besinnung auffordert.» Steiners Mahnung war die des Zauberlehrlings: In den folgenden drei Jahrzehnten erhielt tatsächlich fast jedes Schweizer Städtchen sein Hochhaus, in den grossen Städten und ihren Vororten gehörten Hochhäuser zum städtebaulichen Programm. Allein in Zürich entstanden bis Ende der 70er-Jahre rund 150 Hochhäuser. Der Text ist ein Auszug aus dem Buch «Albert Heinrich Steiner»


Bastei und Schmiede Wiedikon, Zürich (1953-55, resp. 1957-58)

Zürcher Pionier

Werner Stücheli darf man wohl als Schweizer Hochhaus-Pionier bezeichnen, obwohl er ausschliesslich in Zürich tätig war. Nicht weniger als fünf seiner Projekte sind in der Baublatt-Ausgabe von 1956 vorgestellt: nämlich die Hochhäuser der Automobilwerke Franz und Emil Frey AG an der Badenerstrasse, der Imago AG an der Uetlibergstrasse, das Hochhaus zur Bastei und das an der Schmiede Wiedikon. Auf letztere zwei soll hier nochmals fokussiert werden. Im Gegensatz zum geraden Verlauf des Schanzengrabens zwischen Bleicherweg und See, wo Randbebauungen dicht ans Ufer anschliessen, boten sich die Geometrie der vor- und zurückspringenden Schanzenanlagen und die vorhandenen Grünflächen für die Platzierung von Solitären an. Das Hochhaus Zur Bastei bildet einen städtebaulichen Akzent, wirkt als Tor zur City und leitet zur Achse der Gartenstrasse über. Der Grundriss des Hauses ist trapezförmig. Er verjüngt sich zu den Stirnseiten hin. Die Konstruktion, die aus einem Eisenbetonskelett mit in Eisenbeton ausgeführten Stirnseiten und zwei Reihen Mittelstützen besteht, ermöglichte eine mehr oder weniger freie Unterteilung der Geschossflächen. Die Längsfassade ist optisch ­zwischen die zwei Stirnseiten gespannt. Vorherrschend ist die horizontale Gliederung mit Fenster- und Brüstungsbändern aus ursprünglich blauem Glas, von feinen Aluminiumprofilen eingefasst. Ein Bijoux der Anlage ist die teilweise verglaste und überdeckte Dachterrasse, welche einen schönen Ausblick über Stadt, See und Berge bietet. Das Thema der Dachterrasse hat Werner Stücheli auch beim drei Jahre später fertiggestellten Hochhaus an der Schmiede Wiedikon wieder aufgenommen. Über der Dachterrrasse schwebt eine zum Grundrisstrapez des Hauses umgekehrte trapezförmige Platte, die mit ihrer längeren Seite über die Stirnseiten des Hochhauses hinausragt. Diese expressive Geste täuscht fast über die spezielle Grundrissgestaltung hinweg, die im Innern des Gebäudes stattfindet. Es handelt sich dabei nämlich um fächerförmig angeordnete Maisonettewohnungen mit Wohnzimmer und Küche im unteren Geschoss und zwei Zimmern im oberen Geschoss. Die durchlaufenden Balkone der Nordseite dienen also abwechslungsweise als LaubengangErschliessungen der Wohnungen und als Balkone der Maisonette-Obergeschosse. Die Informationen zu diesen zwei Bauten stammen aus dem Buch «Werner Stücheli»


SIA-Hochhaus, Zürich (1967-70, Umbau 2008)

Radikale Transformation

Romero & Schaefle Architekten haben den Sanierungsauftrag für das SIA-Hochhaus in Zürich für eine grundlegende Umformung genutzt. Das Konzept beruht auf einer eingehenden Analyse der städtischen Situation und des bestehenden Baus. Am Hochhaus von Hans von Meyenburg störte die Architekten die beschränkte Höhe. Zwei oder drei Geschosse mehr hätten ihm zu gestreckteren Proportionen und einem wesentlich eleganteren Ausstehen verhelfen können – doch von der Stadt Zürich war keine Bewilligung für eine Aufstockung zu erhalten. Das architektonische Problem bestand also darin, mehr Höhe zu suggerieren. Als Inspiration diente die «Endlose Säule» des rumänischen Künstlers Constantin Brancusi (1876–1957). Die Form von Brancusis Säule dient auch als konzeptioneller Ansatz, der in der Übertragung auf die bildnerische Ebene zur Referenz und dann zum Motiv wird. Gleichsam als leitmotivische Form taucht die an- und abschwellende Schrägform sowohl im Innern als auch im Äusseren des Baus immer wieder auf – am augenfälligsten in der Ausbildung der Fassadenstützen des Hochhauses, aber auch in den vier Betonstützen, die den Anbau tragen, oder in dessen Fassadenverkleidung. Das Überraschendste ist die stark veränderte städtebauliche Wirkung, die von dem erneuerten Bau ausgeht. Eine ihrer Ursachen ist die Fassade. Ihr veränderter Massstab und die völlig neuen Proportionen kräftigen den Baukörper und lassen in trotz seiner beschränkten Höhe imposanter erscheinen. Die Bewegung der Fassadenpaneelen löst den Bau teilweise in den Spiegelungen des Himmels und seiner Umgebung auf. Dabei ergeben sich, wie auch die erstaunten Anwohner festgestellt haben, ganz neue Weitblicke: Von der Strasse aus sieht man plötzlich den See oder den Uetliberg – und immer wieder den Himmel! Den schönsten neuen Blick schufen die Architekten mit einem Kunstgriff. Sie rissen den Anbau des Hochhauses, der einen Teil der angrenzenden Blockrandbebauung bildete, ab und stellten den Ersatzneubau auf vier hohen Stützen. Dies eröffnet einen neuen Durchblick von der Strasse auf den rückwärtigen Hofraum, den Schanzengraben und den alten Botanischen Garten. Der Hofraum ist nicht nur einsehbar, sondern auch öffentlich zugänglich; die Folge ist eine viel stärker fliessender Aussenraum, in dem das Hochhaus freier steht und seine Wirkung als Solitär besser entfalten kann. Dieser Text ist ein Auszug aus dem TEC21-Dossier
«Erneuertes SIA-Hochhaus», erschienen im August 2008.


Schwesternhochhaus, Glarus (1953)

Das Kleinhochhaus

Jeder Krankenschwester ihr kleines, aber eigenes Zimmer: Dieser Anspruch löste zu Beginn der 1950er-Jahre den Bau neuer Personalhäuser neben den Spitälern aus. Der junge Jakob Zweifel gewann die Architekturwettbewerbe 1950 in Glarus und 1952 in Zürich mit Hochhaus-Entwürfen und wurde damit schlagartig bekannt. Statt die Zimmer entlang endloser Korridore aufzureihen, bildete Zweifel eine Art von Wohnung: Pro Geschoss des vergleichsweise kleinflächigen Hochhauses gruppierte er sechs Zimmer und ihre Nebenräume. Diese Wohngruppen ­sollten die harmonische Gemeinschaft fördern. Den Bemühungen zum Trotz taufte der Volksmund den neungeschossigen Bau flugs «Schwesternsilo». Mit 23 Metern Höhe erfüllt er zwar nur ganz knapp die ­Hochhaus-Definition von 22 Metern, ist für Glarner Verhältnisse aber dennoch hoch. Für den Bau, die Möblierung und die Umgebung stand lediglich eine Million Franken zur Verfügung; Zweifel musste günstig bauen. Er betonte den Sockel mit blau gefärbten Backsteinen und die Fenster mit vorspringenden, kanariengelben Metallrahmen, ansonsten waren die Fassaden glatte Putzflächen. Hochformatige, paarweise angeordnete Fenster steigern die Vertikale, das auskragende Pultdach wirkt keck. In die Wiese davor bettete Jakob Zweifel gestaffelte, zweigeschossige Reihenhäuschen für die Ärzte und schuf mit den einfachen Gegensätzen klein und gross sowie stehend und liegend eine architektonisch wirkungsvolle Gebäudegruppe. 1994 wurde das Hochhaus saniert und gedämmt, die Nordfassade mit Eternit verkleidet und der Lift als Glasturm davorgesetzt. Zugleich wurden die sechs Zimmer pro Geschoss zu vier zusammengelegt. Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch «Verborgen, Vertraut. Architektur im Kanton Glarus von 1900 bis heute»

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