Konjunktur: Schweizer Wirtschaft kühlt sich 2023 wohl deutlich ab
Das Wirtschaftswachstum in der Schweiz dürfte sich im nächsten Jahr deutlich abschwächen. Allerdings ist es aus aktueller Sicht gemäss Ökonomen eher unwahrscheinlich, dass es zu einer Rezession kommt. - Die Abwärtsrisiken überwiegen aber.
Nach einem erwarteten Wachstum des realen
Bruttoinlandproduktes (BIP) von rund zwei Prozent im zu Ende gehenden Jahr 2022
dürften es 2023 höchstens noch ein Prozent sein. Die Schätzungen der von der
Nachrichtenagentur AWP verfolgten Prognostiker gehen von einem Wert zwischen
0,2 und 1,0 Prozent aus. Der Durchschnitt liegt bei 0,7 Prozent.
Gegenüber 2022 wäre solches eine klare Verlangsamung. Wobei diese im Grunde genommen bereits Tatsache ist. Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine, der damit verbundene Energiekrise und der hohen Inflation hat sich das Wachstum im zweiten und dritten Quartal nämlich bereits auf 0,3 bzw. 0,2 Prozent verlangsamt.
Leichte Schrumpfung des BIP?
Im vierten Quartal könnte der Wert durchaus leicht ins
Negative gekippt sein. Entsprechende Daten, die das zeigen würden, wird es
jedoch erst Ende Februar geben.
Möglicherweise kommt es auch zu einer sogenannten technischen Rezession: einer negativen Wachstumsrate in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen. So erwarten etwa die Ökonomen von BAK Economics sowohl für das laufende Quartal als auch für das erste Quartal des neuen Jahres eine ganz leichte Schrumpfung des BIP und erst danach wieder eine Erholung. Damit wäre zwar technisch die Definition einer Rezession erfüllt. Doch dank des sehr robusten Arbeitsmarktes mit einer aktuell sehr tiefen Arbeitslosenquote von 2 Prozent würde sich das kaum wie eine ausgewachsene Krise anfühlen.
Stabiler Arbeitsmarkt und anhaltende Zuwanderung
Dass die hiesige Wirtschaft im aktuellen Umfeld nicht deutlicher ins Minus fällt, dürfte übrigens neben dem stabilen Arbeitsmarkt auch mit der anhaltenden Zuwanderung zusammenhängen. Beides stützt den privaten Konsum, notabene den wichtigsten BIP-Faktor. Und diese Faktoren dürften auch für den weiteren Konjunkturverlauf eine wichtige Rolle spielen. Angesichts der weiterhin hohen Anzahl offener Stellen und/oder des grassierenden Fachkräftemangels in vielen Branchen ist ein starker Anstieg der Arbeitslosigkeit auch im nächsten Jahr nur schwer vorstellbar.
Ähnlich sieht es bei der Zuwanderung aus: Nach jüngsten Schätzungen der CS werden auch 2023 netto wieder rund 70'000 Personen in die Schweiz einwandern - was etwa der Bevölkerung einer Stadt wie St. Gallen entspräche.
Jedoch hängt vieles hängt für ein derart mit der Aussenwelt verbundenes Land wie der Schweiz auch vom Ausland ab. Und da sieht es nicht mehr ganz so rosig aus. So dürfte zumindest die Schweizer Industrie im kommenden Jahr die Rezession im Euroraum und die hohen Energiepreise spüren und weiter an Schwung verlieren. Denn schon jetzt haben sich die Auftragsbücher der MEM-Unternehmen geleert. Und auch die Bauwirtschaft und der Immobilienmarkt werden wegen der stark gestiegenen Zinsen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verlangsamung spüren.
Risiken im Zusammenhang mit einer Energiemangellage
Krieg, Energieunsicherheit und Inflation erschweren zudem die Prognosen erheblich. Ökonomen betonen jedenfalls fast unisono die hohen Risiken, die mit ihren Schätzungen verbunden sind, wobei diese zumeist nach unten gerichtet sind. So haben die Ökonomen des Bundes (Seco) zum Beispiel im Rahmen ihrer jüngst präsentierten Konjunkturprognose eine Vielzahl von möglichen Risiken genannt, insbesondere im Zusammenhang mit einer Energiemangellage. Die noch vor wenigen Monaten gehegten diesbezüglichen Befürchtungen seien zwar zuletzt geringer geworden, ganz aus der Welt geschafft seien sie allerdings nicht. Falls es etwa zu einer länger anhaltenden Kältewelle käme, würden die Gasspeicher bereits in den nächsten Monaten stark beansprucht und es könnte bereits die Energieversorgung für den Winter 2023/24 in den Fokus rücken.
Als mögliche Gefahrenherde werden aber auch die Finanz- und Immobilienmärkte gesehen. Die hohe Inflation in vielen Staaten wird insofern als Gefahr genannt, als dass sie zu geldpolitischen Übertreibungen seitens der Notenbanken mit starken Zinsanstiegen führen könnte.
Rezession bei Negativszenario
In einem Negativszenario sähen die Bundesökonomen gar eine Rezession auch in der Schweiz mit einem BIP-Rückgang von 0,3 Prozent im Gesamtjahr 2023. Nicht ganz auszuschliessen ist allerdings auch, dass die Entwicklung positiv überrascht. Dies etwa, falls sich die Energielage in den kommenden Quartalen glimpflicher als erwartet entwickelt beziehungsweise schneller entspannt. In einem solchen Positivszenario wäre mit tieferen Inflationsraten und einer robusteren Nachfrage im In- und Ausland zu rechnen, betonte etwa das Seco. Um jedoch gleich darauf wieder zu relativieren: „Die Wahrscheinlichkeit einer negativeren Entwicklung als angenommen ist deutlich grösser als umgekehrt.“ (Ueli Hoch, AWP / sda)