Kolumne zum Donnerstag: Nicht weil sie sollen, sondern weil sie wollen
In der Kolumne zum Donnerstag schreiben Exponenten der Branche über das, was sie bewegt. Heute ist es Thomas Müller, Kommunikationsberater des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA).
Ein von Economiesuisse und Swiss Engineering STV im Mai veröffentlichtes Umfrageergebnis bestätigte ein weiteres Mal den noch immer grossen Mangel an Ingenieuren in der Schweiz. 90 % der 3300 Umfrageteilnehmenden aus den Reihen der STV-Mitglieder, 1300 davon in Führungsposition, gaben Schwierigkeiten bei der Besetzung von Ingenieurstellen an. Erforderlich sei es deshalb, so einer der Schlüsse der Umfrageinitianten, Jugendliche verstärkt für technische Berufe zu begeistern.
Im Bildungsbereich müssten ausserdem die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (Mint) gefördert werden. Das ist sicherlich nicht falsch. Doch dieser Ansatz ist halt auch in etwa so alt wie der Ingenieurmangel selber und hat trotz einzelner Erfolge (Wachstum der Mint-Fach-Studierenden in den letzten sieben Jahren an der Uni Zürich: 45 %) bisher nicht den erwünschten Durchbruch gebracht. Umso erfreulicher ist, dass die Studie von Economiesuisse und STV auch noch etwas tiefer nach den Ursachen für den sich hartnäckig haltenden Fachkräftemangel gräbt. So hat diese Untersuchung auch zutage gefördert, dass 28 % der Ingenieurunternehmen nicht bereit sind, auch mal jemanden anzustellen, der nicht haargenau in das von ihnen gesuchte Profil passt.
Sicherlich auch ein Grund dafür, warum es noch immer so wenige Frauen (16 %) in den Ingenieurberufen gibt und es trotz Mangel auch für ältere Arbeitnehmende immer schwieriger wird, eine neue Anstellung zu finden. So wenig agil darf man sich einfach nicht mehr zeigen – will man im Wettstreit um die knappe Ressource Ingenieure und Ingenieurinnen erfolgreich bestehen. Erheblich zu denken geben auch die zwei Hauptgründe, warum mehr als ein Drittel der Umfrageteilnehmenden nicht mehr in einer klassischen Ingenieurfunktion tätig sind. 30 % bemängeln den Arbeitsinhalt und 38 % die fehlenden Entwicklungsmöglichkeiten.
Hängen geblieben bin ich aber insbesondere bei den Antworten auf die Frage nach den Aspekten, welche für die Ingenieurkarriere förderlich sind. Von insgesamt 17 Qualifikationen gaben die STV-Mitglieder als wichtigste die Leistungsbereitschaft (44 %), die Sozialkompetenz (35 %) und die Berufserfahrung (28 %) an. Darauf folgen unter anderen Betriebswirtschafts- und Managementkenntnisse, ein gutes berufliches Netzwerk, eine positive Ausstrahlung und gute Abschlussnoten. Ja sogar militärische Führungserfahrung ist für 1% noch wichtig.
Was hingegen nicht als karrierefördernd angegeben wurde, sind zum Beispiel Intelligenz, eine differenzierte Wahrnehmung der Mit- und Umwelt, gedankliche Agilität, Kreativität und Gestaltungskraft. Da können wir in unseren Imagekampagnen noch lange von der «kreativen Schaffenskraft» der Ingenieurskunst und der mit ihr einhergehenden tollen Möglichkeit, die Welt mitzugestalten, schwärmen. Mit Blick auf die nüchterne Realität verkommt das zur Plattitüde.
Junge, aber auch erfahrene Ingenieurtalente von heute wollen nicht nur leisten, sozialkompetenter werden und Berufserfahrung sammeln. Sie wollen auch mitdenken, mitreden, mitgestalten – wollen einen ernstgenommenen kreativen Beitrag leisten. Nur wenn die Ingenieurunternehmen den Raum dafür bieten und bei guter Leistung die entsprechenden Karrieren ermöglichen, werden ihnen die Talente auch folgen – nicht mehr weil sie sollen, sondern weil sie wollen.