Kantone bezahlen Perrons und Unterführungen
Bei der Finanzierung der Bahninfrastruktur schlägt der Bundesrat eine neue Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen vor: Neu sollen die Kantone die Publikumsanlagen in den Bahnhöfen berappen. Im Gegenzug finanziert der Bund die Infrastruktur der Privatbahnen.
Für die Kantone bedeutete dies, dass sie künftig Perrons, Treppen, Rampen, Über- oder Unterführungen bezahlen, und zwar auch auf Bahnhöfen von Privatbahnen. Dies schlägt der Bundesrat in seiner am Mittwoch zuhanden des Parlaments verabschiedeten Botschaft zu Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur (FABI) vor. Die neue Aufgabenteilung verursacht bei den Kantonen Mehrkosten von 200 Millionen Franken und gilt als zusätzlicher Beitrag der Kantone an Substanzerhalt, Betrieb und weiteren Ausbau der Schweizer Bahninfrastruktur. Damit würden die Kantone allerdings nur einen kleinen Teil des vom Bundesrat vorgeschlagenen Bahninfrastruktur-Fonds (BIF) decken. Wie schon vergangenen letzten November vom Bundesrat entschieden, stammt das Gros der Gelder vom Bund, der seine jährlichen Beiträge an SBB und Privatbahnen auf 2,3 Milliarden Franken (Preisstand 2010) erhöhen und in den BIF umleiten will.
Der zweitgrösste Beitrag, im langjährigen Durchschnitt etwa 1,6 Mrd. Franken, kommt aus dem bisherigen FinöV-Fonds, der aus LSVA, Mehrwertsteuerpromille und Mineralölsteuerbeitrag gespeist wird. Jährlich 300 Millionen werden aus Trassenpreiserhöhungen generiert. Weitere 200 Millionen sollen die Pendler beisteuern, indem sie künftig bei der Berechnung der direkten Bundessteuer für nachweisbare Fahrkosten höchstens noch 3000 Franken abziehen können.
Gegenvorschlag zur VCS-Initiative
Ursprünglich hatte Verkehrsministerin Doris Leuthard vorgeschlagen, den maximalen Fahrkostenabzug auf eine Pauschale von 800 Franken zu senken. Dieser Vorschlag stiess auf breite Kritik, insbesondere auch der Autoverbände, weil Autopendler von der Massnahme überdurchschnittlich stark betroffen gewesen wären. Der neue Bahninfrastrukturfonds bildet das Kernstück des direkten Gegenvorschlags, den der Bundesrat der VCS-Initiative „Für den öffentlichen Verkehr“ gegenüberstellen will. Mit der Initiative sollen für die Finanzierung der Bahninfrastruktur Gelder aus der Mineralölsteuer abgezweigt werden, die heute noch in den Strassenverkehr fliessen. Der Bundesrat lehnt dies ab, weil so die künftige Finanzierung der Strasseninfrastruktur in Frage gestellt würde. Wie der Bundesrat in einem Communiqué vom Mittwoch schreibt, kann mit FABI die künftige Finanzierung der Bahninfrastruktur geregelt werden, ohne dass man der Strasse zusätzliche Mittel entziehen muss.
Gleichzeitig sieht der Bundesrat aber auch die Notwendigkeit, die Bahninfrastruktur weiter auszubauen: Die Nachfrage werde weiter zunehmen, was zu noch mehr Kapazitätsengpässen führe. Bis 2030 erwartet die Regierung eine Zunahme des Personen- und des Güterverkehrs von 60 bis 70 Prozent.
STEP nicht ausgebaut
Teil des Gegenvorschlags ist deshalb auch das „Strategische Entwicklungsprogramm Bahninfrastruktur“ (STEP). Dabei sollen künftig dem Parlament alle vier bis acht Jahre weitere Ausbauschritte vorgelegt werden. Der erste, bis 2025 umzusetzende Ausbauschritt umfasst Projekte im Umfang von 3,5 Milliarden Franken, davon gehen 400 Millionen an Privatbahnen. Die Projekte sollen parallel zu den Massnahmen im bereits früher beschlossenen 5,4-Milliarden- Programm ZEB (Zukünftige Entwicklung der Bahninfrastruktur) realisiert werden.
In der Vernehmlassung hatten vor allem die Kantone gefordert, dass zusätzliche Projekte in den ersten Ausbauschritt aufgenommen werden, etwa der Zimmerberg-Basistunnel oder der Wisenbergtunnel. Unter dem Strich wurden in der Konsultation Projekte für insgesamt 5 bis 6 Milliarden Franken gefordert. Dies ist laut Bundesrätin Leuthard nicht finanzierbar. Sie signalisierte aber, dass für Vorfinanzierungen durch die Kantone eine gewisse Flexibilität bestehe. Der Bundesrat will mit STEP 2025, das auf den Planungen der „Bahn 2030“ basiert, vor allem auf der West-Ost-Achse die Kapazitäten auf der Schiene, in den Zügen und in den Bahnhöfen erhöhen. (mai/sda)
Reaktionen zur Botschaft des Bundesrats
Die Reaktionen auf die bundesrätliche Botschaft zur neuen Finanzierung der Bahninfrastrukturen sind am Mittwoch durchzogen ausgefallen. In den Kantonen zeigt man sich "nur teilweise zufrieden", die Automobilbranche lehnt sie ab, der VCS hält an seiner Initiative fest. "Ausdrücklich begrüsst" wird die Botschaft einzig vom Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr (LITRA), wie er mitteilte. Der Touring Club Schweiz (TCS) hält sie für eine "wertvolle Diskussionsgrundlage". Der Ausbau des Bahnnetzes ist für die Konferenz der kantonalen Direktoren des öffentlichen Verkehrs (KöV) eine "dringende Notwendigkeit". Allerdings müssten die Kantone auch künftig die Möglichkeit haben, bei Planung und Weiterentwicklung des öV in ihren Kantonen aktiv mitbestimmen können.
Kantone stellen Bedingungen
Nur unter diesen Umständen sei eine Beteiligung der Kantone im Umfang von 200 Millionen Franken jährlich "nicht ausgeschlossen". Die KöV erwartet zudem, dass die Höhe der ersten Ausbauetappe bis 2025 - vom Bund mit 3,5 Milliarden Franken angedacht - auf 6 Milliarden Franken erhöht wird. Nur so könne das rasante Wachstum vor allem in den Agglomerationen aufgefangen werden.
Eine Erhöhung der Mittel verlangen unter anderen auch der Verband öffentlicher Verkehr (VöV), LITRA, der Schweizerische Städteverband sowie der Fachverband Infra. Letzterer bezeichnet die Botschaft zwar als "zielführend". Zur Gleichbehandlung von Strasse und Schiene verlangt Infra aber auch eine Fondslösung im Strassenbereich. "Keine Option" stellt für Infra eine zusätzliche Belastung des motorisierten Individualverkehrs und des Transportgewerbes zugunsten des öffentlichen Verkehrs dar.
Nach Ansicht des Schweizerischen Nutzfahrzeugverbands ASTAG ist die "beabsichtigte Zweckentfremdung von Strassengeldern zugunsten der Schiene inakzeptabel und verfassungswidrig". Er pocht auf eine "verstärkte Berücksichtigung des Verursacherprinzips". Der Nutzfahrzeugverband will zudem, dass die VCS-Initiative ohne Gegenvorschlag an die Urne kommt. Dies verlangen auch strasseschweiz (Verband des Strassenverkehrs) sowie der Automobil Club der Schweiz (ACS). (sda)