Wenn sich die Stockwerkeigentümer-Gemeinschaft als Aktiengesellschaft organisiert
In der Schweiz nimmt der Anteil an Stockwerkeigentum weiter zu. Steht eine umfassende Gebäudesanierung an und gibt es keinen oder einen zu kleinen Erneuerungsfonds, wird solches problematisch. Ein Team der OST Ostschweizer Fachhochschule hat ein auf Aktien basierendes Modell für nachhaltig finanzierbares Wohneigentum erarbeitet.
Formen des Stockwerkeigentums gibt es schon seit über 4000 Jahren. Dem Zürcher Verfassungsrechtler und FDP-Politiker Eugen Huber war dies stets ein Dorn im Auge: Als er 1892 vom Bundesrat den Auftrag erhalten hatte, ein Zivilgesetzbuch (ZGB) zu formulieren, strich er kurzerhand die «lästige Erbschaft» aus dem Vorgängergesetz. Das Schweizer Zivilgesetzbuch trat deshalb 1912 ohne Stockwerkeigentum in Kraft. Erst 1965 wurde diese Rechtsform als Artikel 712 wieder ins ZGB aufgenommen.
Seither nimmt der Anteil an Stockwerkeigentum stetig zu: 1970 lag die Wohneigentümer-Quote gemäss der «Gebäude- und Wohnungsstatistik» des Bundes bei 28,5 Prozent, Ende 2019 war sie bereits bei 36,4 Prozent. «Der Erwerb von Stockwerkeigentum ist nach wie vor im Trend», sagt Thomas Utz, Co-Leiter des Instituts für Innovation, Design und Engineering (IDEE) an der OST – Ostschweizer Fachhochschule.
Wenn das finanzieren einer Haussanierung schwierig wird
Doch die beliebte Wohnform basiert auf einer lieblos formulierten juristischen Basis. «Das Problem liegt in der Eigentumsform», erklärt Utz. Während ein Hausbesitzer das alleinige Recht am Besitz habe und darüber auch entscheiden könne, müsse der Stockwerkeigentümer Besitz und die damit verbundenen Pflichten mit anderen Menschen teilen. Der Haken daran: Bei einer Haussanierung könne ein Alleineigentümer einen allenfalls nötigen Kredit bei einer Bank aufnehmen, der Stockwerkeigentümer-Gemeinschaft sei dies aber verwehrt, weil sie keine eigene Rechtsform besitze.
«Die Mehrheit der Stockwerkeigentümergemeinschaften äufnen deshalb einen Erneuerungsfonds. Aber eben nicht alle. Und viele haben einen zu kleinen Fonds», führt Utz aus. Die Folge: «Die Sanierung bleibt aus und die Liegenschaft verliert an Wert.» Dies sei immerhin bei jeder dritten Liegenschaft der Fall. Das Immobilienmonitoring der Raiffeisen-Bank kommt deshalb zum Schluss: «Die Sanierungsquote ist tief: Aktuell liegt sie bei nur rund 1 Prozent jährlich. Somit würde es 100 Jahre dauern, bis in der Schweiz alle Gebäude einen langfristig nachhaltigen Standard erreicht hätten.»
Investoren- statt Stockwerkeigentümergemeinschaft
Das Problem der Finanzierung liesse sich laut Utz einfach lösen, und zwar «mit einem nachhaltig finanzierten Wohneigentumsmodell auf der Basis einer Immobilien AG». Die Idee dahinter: Eine Investorengemeinschaft kauft die Liegenschaft. Im Unterschied zur Stockwerkeigentümer-Gemeinschaft ist sie aber als Aktiengesellschaft organisiert. Das heisst, sie vergibt Anteilsscheine in Form von Aktien. Dabei wird der Wohnungsnutzer zum Investor und Aktionär. Juristisch gesehen erwirbt er zusammen mit der Aktie das Nutzungsrecht an einer Wohnung, was faktisch einem Eigentum gleichkommt. Darüber hinaus können sich ein oder mehrere Investoren an der AG ohne Nutzungsrecht beteiligen. Ihnen wird eine langfristige Rendite auf einem abgesicherten Immobilieninvestment zugesichert.
Monatliche Beiträge für künftige Sanierungen
«Das ist zum Vorteil von allen», sagt Utz. «Die Wohnungsnutzer müssen nicht selbst eine Hypothek aufnehmen. Das macht die Wohnung günstiger. Und die Wohnungsnutzer müssen weniger Eigenkapital aufbringen, denn mit der Beteiligung eines Investors verteilt sich die finanzielle Eigenkapital-Belastung für alle Beteiligten. So kann der Investor zusätzlich in andere Objekte investieren, was eine Diversifizierung seiner Anlagen in Immobilien ermöglicht.» Auch die Sanierung ist gemäss Utz gesichert: «Beim herkömmlichen Stockwerkeigentum ist ein Erneuerungsfonds freiwillig. Beim nachhaltig finanzierbaren Wohneigentum bezahlt der Wohnungsnutzer von Anfang an mit monatlichen Beiträgen an künftige Sanierungen.»
Die Grundlagen für die Immobilien AG gibt es bereits. Sie sind im Rahmen eines Innosuisse-Projekts mit Bundesfinanzierung entwickelt worden. Begleitet hat das zweijährige Projekt von der «VirtuellBau AG», einem auf Sanierungen spezialisierten Unternehmen aus der Stadt St.Gallen, von der VIO Treuhand AG, eine Immobilientreuhandgesellschaft, der Kanzlei «SennSommBosshart Anwälte» sowie von der Pensionskasse der Stadt St.Gallen.
Einen Knackpunkt allerdings gilt es noch zu lösen, sagt IDEE-Co-Chef Utz. «Das neue Modell stellt insbesondere die Steuerbehörden vor neue Ausgangslagen, die nach neuen steuerlichen Beurteilungen verlangen. Innovation braucht sehr viel Überzeugungskraft, damit man aus eingespielten Bahnen ausbricht.»
Verein Nachhaltig finanzierbarer Immobilienbesitz
Diesen Herausforderungen wollen sich die Projektbeteiligten. Sie haben den Verein Nachhaltig finanzierbarer Immobilienbesitz gegründet, dessen Zweck ein schweizerisch agierendes Netzwerk zu
bilden, das Investoren, Unternehmen und Privatpersonen verbindet, die
Immobilienbesitz nachhaltig finanzierbar machen wollen. Weiter verfolgt der
Verein das Ziel, das Eigentumsmodell «Immobilien AG» zu verbreiten und
beratende Dienstleistungen zu erbringen.
Aktuelle Herausforderung bilden die
Steuerfragen. Um diese zu lösen und das Modell schliesslich zur Marktreife zu bringen,
ist der Verein auf der Suche nach Praxisobjekten, zusätzlichen
Wirtschaftspartnern und Kapital, wie Vereinspräsidentin Elisabeth Fontana erklärt. Der
Immobilienmarkt ist eher träge und verlangt meist Ressourcen, viel
Überzeugungskraft und Durchhaltewillen, um ein neues Modell zu etablieren. Fontana ist überzeugt, dass der
zunehmende Sanierungsstau im Stockwerkeigentum und die daraus entstehende
Nachfrage nach Alternativen, könnte das Modell allerdings stark vorantreiben. (mgt/mai)