„Ich schau dir in die Augen...“
Überreste von riesigen Werbeplakaten sind es nicht. Bei den überlebensgrossen Porträts alter Menschen handelt sich um Werke des französischen Streetartists JR, der Fassaden als Leinwand für seine riesigen Porträts nutzt. Die skurril-witzigen und melancholischen Ansichten hat er mit der Filmkamera in Shanghai und Los Angeles festgehalten.
In Shanghai boomt wie in vielen Städten Chinas die Immobilienwirtschaft. Neue Wolkenkratzer schiessen in den Himmel, während alte Mauern dem Erdboden gleich gemacht werden. Auf diese Entwicklung antwortete der französische Streetartist JR mit einem besonderen Projekt: „The Wrinkles of the City“ (Die Falten der Stadt). Er fotografierte alte Menschen und liess die Porträts riesig ausdrucken und brachte sie auf bröckeligem Verputz und dem Abbruch geweihten Häusern an. Damit erhielten die unauffälligen Bauten ein völlig neues und vor allem auffälliges Gesicht. Die Ansichten, die so entstanden reichen von melancholisch bis skurril-witzig.
Vor seinem Chinaprojekt setzte JR alten Menschen im spanischen Cartajenas in Szene. Sein jüngstes Projekt sind Porträts in Los Angeles. Wie in China, wenn auch in anderer Hinsicht, ist der Kontrast zwischen den Porträts und ihrer Umgebung gross. Es sei eine Stadt der Oberflächlichkeiten, stellt eines von JRs Modellen in einem Film des Künstlers zu seinem Projekt fest. Dabei stecke doch eigentlich hinter jedem eine Geschichte. „Es ist witzig, seit ich meine Haare und meinen Bart habe wachsen lassen, halten die Frauen im Supermarkt ihr Portemonnaie jeweils etwas fester in der Hand, wenn ich an ihnen vorbei gehe“, erzählt einer der Porträtierten. „Aber es hat auch seine guten Seiten: Kleine Kinder glauben manchmal, ich sei der Weihnachtmann.“ Und darum geht es JR wohl auch, ums Geschichten erzählen. Worte braucht es dafür nicht, man braucht die riesigen Porträts lange genug zu betrachten. (mai)
Jr unterwegs in Shanghai und in Los Angeles: