Ganzheitliche Sicht auf die Schweiz
Weil in der Schweiz Siedlung, Infrastruktur und Landschaft nur „zaghaft“ als Gesamtes behandelt werden, leiden die Lebensqualität und die Volkswirtschaft. Zu diesem Schluss kommt das Nationale Forschungsprogramm „Nachhaltige Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung“ (NFP 54). Die Fachleute schlagen unter anderem vor, ein nationales Infrastrukturkonzept zu schaffen.
Quelle: zvg
Das NFP 54 fordert einen umfassenderen Blick auf die Siedlungsentwicklung.
Seit Jahrzehnten schreitet die Siedlungsentwicklung in der Schweiz voran. Pro Sekunde fällt ihr ein Quadratmeter Fläche zum Opfer. Dieser Trend greift zunehmend von den Agglomerationen auch auf Alptäler über. Solche Entwicklungen verursachen hohe volkswirtschaftliche Kosten und verhindern einen effizienten Einsatz von Ressourcen. Darum sollte die Siedlungsentwicklung laut dem NFP 54 räumlich begrenzt und bestehende bebaute Gebiete sollten besser koordiniert genutzt werden. Grosse Nutzungspotenziale erkennt das NFP 54 unter anderem in Industriebrachen, ungenutzten Bahnarealen sowie in von der Armee nicht mehr beanspruchten Liegenschaften oder Waffenplätzen. Chancen sehen die Experten auch bei der Nutzung des Untergrunds, die aber zwingend umfassend koordiniert werden müsse.
Ungenutzt Areale sind mehr als Reserven
Die Voraussetzung, um solche Areale nachhaltig zu nutzen, ist aber gemäss NFP, dass man sie nicht nur als Flächenreserven betrachtet. Vielmehr müssten sie in den Dienst eines Wandels gestellt werden, welcher der Urbanität grosse Bedeutung zumesse. Dazu gehören neben der gestalterischen Qualität ein hochwertiges Angebot an Freiräumen und Grünflächen sowie eine optimale Ausrichtung auf den öffentlichen Verkehr. Deshalb empfehlen die Fachleute des NFP den Gemeinden die Planungs- und Bauprojekte auch über die Bewilligungsphase hinaus intensiv zu begleiten.
Des Weiteren schlagen sie vor, dass die öffentliche Hand eine aktive Wohnbaupolitik betreibt. Der Grund: Werden bestehende Siedlungen attraktiver, droht dort eine soziale Verdrängung. Die in jüngster Zeit realisierten Wohnbauten in den Kernstädten richteten sich grösstenteils an einkommensstarke, mobile Schichten, während einkommensschwache Gruppen und Familien verdrängt würden. Zudem hat das NFP 54 festgestellt, dass die sozial-demografischen Aspekte in den kommunalen Planungen zu wenig gegenwärtig sind. Um den sich verändernden Bedürfnissen verschiedener Gruppen, wie beispielsweise älterer Menschen gerecht zu werden, empfiehlt das NFP 54, vermehrt auf departementsübergreifende Verwaltungsstrukturen für die Siedlungsentwicklung zu setzen.
Jährlich 30 Milliarden Franken für technische Infrastrukturen
„Die Schweiz braucht ein nationales Infrastrukturkonzept“, heisst es in der Medienmitteilung des NFP. Deshalb raten die Experten zur sektorenübergreifenden Planung bei technischen Infrastrukturen. „Noch immer werden Strassen, Bahnen, Gas-, Wasser- und Stromversorgung oder Kanalisation weitgehend unabhängig voneinander geplant und erstellt“, heisst es beim NFP. Es schlägt darum die Erarbeitung eines nationalen Infrastrukturkonzepts vor, das für jeden Sektor und jede geografische Region eine Strategie festlegt. Und zwar für die Instandhaltung und den Ausbau, aber auch für den Rückbau technischer Infrastrukturen. In diesem Bereich besteht laut in den kommenden 20 Jahren ein Finanzbedarf von jährlich rund 30 Milliarden Franken. Zu diesem Schluss kam eine entsprechende Studie des NFP. (mai/mgt)
Wissen und Bildung
Wissen ist die zentrale Ressource für eine nachhaltige Weiterentwicklung der Siedlungen und Infrastrukturen. Laut dem NFP mangelt es an Fachkräften zur Bewirtschaftung. Deshalb brauche es eine stark interdisziplinär orientierte Ausbildung in den Bereichen Technik, Städtebau, Wirtschaft und Soziales. Deshalb sollten Hochschulen und Berufsverbände ihr das Bildungsangebot in diesem Sinne erweitern. Zudem empfiehlt das NFP, die nachhaltige Entwicklung von Lebensraums und bebauter Umwelt auch in der Volkschule zu behandeln. (mai/mgt)