Digitale Bau 2021 München: Online, aber sehr bieder
Ins Internet zügeln statt absagen: Die Bau 2021 München, die weltweit grösste Bau-Fachmesse, fand dieses Jahr virusbedingt nur im Internet statt. Und erwies sich für den Besucher dort als noch unübersichtlicher als live vor Ort.
Quelle: Messe München GmbH
Präsentationen per Zoom-Konferenz und dennoch live im Saal: Die Bau 2021 München fand Corona-bedingt diesmal als «Hybrid-Messe» statt.
Die Hoffnung währte nur kurz: Als im letzten Sommer die Corona-Fallzahlen immer weiter sanken, glaubten unter anderem einige Messebetreiber an eine mögliche Durchführung ihrer Events. Lange suchte auch die Messe München nach sicheren Wegen, die Bau 2021 in ihren riesigen Hallen ausserhalb der Stadt zu organisieren. Bis im Oktober der Entscheid fiel: Alle für die nächsten Monate geplanten Messen werden abgesagt – oder aber finden im Internet statt.
So auch die Bau 2021, die «Weltleitmesse für Architektur, Materialien und Systeme», die als «hybride Sonderedition» realisiert wurde. Bei der Erarbeitung der digitalen Ausgabe hat dem Veranstalter der Umstand geholfen, dass man schon seit Jahren an digitalen Produkten arbeite, so Klaus Dittrich, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Messe München GmbH. «Hybrid, also eine Mischung aus Online- und Präsenzveranstaltung, ist jetzt das <new normal>. Wenn wir uns hoffentlich bald wieder physisch in grösserer Zahl begegnen können, wird keiner mehr auf die digitalen Möglichkeiten rund um unsere Messen verzichten wollen.»
Umfangreiches Programm
Die Bau 2021 gabs also nur als «Bau Online». Wer sich je auf der 180'000 Quadratmeter grossen Messefläche zwischen den rund 2000 Ausstellern die Füsse wund gelaufen hat, dürfte darüber nicht einmal unglücklich gewesen sein. Online nahmen immerhin noch mehr als 230 Aussteller aus 28 Ländern teil. Sie boten diverse Live-Präsentationen und Referate an, weiter rund 3500 1:1-Gespräche für Interessenten. Dazu kam ein umfangreiches Konferenzprogramm mit 31 Foren, das in drei Zeitzonen ausgestrahlt wurde. Und das alles kostenlos.
Soweit so gut. Doch der Reporter hatte seine Erwartungen an eine Hybrid-Messe offenbar viel zu hoch geschraubt. Mit einer Art virtuellem Rundgang gerechnet, vielleicht einem bayerischen Begrüssungs-Avatar, einer Google-Maps-Funktion, mit der sich über virtuelle Messehallen schweben und bei Interesse reinzoomen lässt, oder irgendeiner interaktiven Form des Messebesuchs. Er wurde enttäuscht.
Dröges Erscheinungsbild
Nach erfolgreicher Registration, die auch während der Messe rasch und unkompliziert verlief, kann der Besuch starten. Mit einem eher drögen Startbildschirm aus acht Kacheln. Hier orientiert man sich über die Foren, Live-TV-Beiträge des deutschen Innenministeriums, die Aussteller und Produkte und die Live-Präsentationen der Aussteller, dazu lassen sich 1:1-Termine vereinbaren.
Als Hilfsmittel zur Übersicht wurde die Plattform «My Bau» entwickelt: Jeden Event, den man sich gemerkt oder für den man sich angemeldet hat, wird in dieser persönlichen Messeübersicht angezeigt. Der Besucher kann sich seine Merkliste nach Themen oder chronologisch orientieren, womit My Bau zur praktischen Organisationshilfe wird, mit der man seine Termine jederzeit in einer Übersicht hat.
Nur für Profi-Besucher
Mehr aber auch nicht. Begibt sich der Besucher in eins der durch Kacheln abgebildeten Themenfelder, findet er sich auf einer Seite wieder, die schlicht alle Events (oder Produkte oder Aussteller) auflistet, dazu eine Suchfunktion und ein alphabetisches Register. Wer also Profi-Besucher ist und schon im Voraus genau weiss, wen er besuchen und was er sich anschauen will, kann über diese Suchfunktion rasch seine Events und Kontakte zusammensuchen. Der Messebesuch wird so recht einfach und übersichtlich.
Indes sind TV-Sendungen einfach TV-Sendungen, auch wenn sie das deutsche Innenministerium organisiert. Live-Präsentationen wiederum sind online genauso spannend oder nicht wie in realer Form im Vortragssaal. Die Produktpräsentationen wiederum stehen und fallen mit dem Hersteller und dem Aufwand, den dieser hierfür betrieben hat. 1:1-Gespräche per Zoom schliesslich sind in Coronazeiten schon lange Alltag. Heisst: All die Veranstaltungen der Bau 2021 erfüllen ihren Zweck der Information über eher konservative Kanäle.
Quelle: Messe München GmbH
Screenshot: Optisch eher bieder und auch inhaltlich sehr konservativ kommt die Benutzerführung der Online-Messe daher.
Besucher läuft an eine Wand
Der neugierige Messebesucher aber läuft bei der Bau Online an eine Wand. Der Versuch, sich über das digitale Messeangebot zu orientieren, gestaltet sich aber noch unübersichtlicher als ein realer Gang über die zwanzig Fussballfelder grosse Messefläche. Genau 5905 Veranstaltungen zählte eine fleissige Journalistin von «Gebäude-Energieberater» auf der Liste, die bis ans Ende zu scrollen etwa einen Arbeitstag in Anspruch nähme. Nicht hilfreich für den Besucher, der sich nach gewissen Themenfeldern orientiert und hierzu bei einer «normalen» Messe durch die entsprechenden Hallen schlendern würde.
Bei einem solchen Messebummel «in real life» lassen sich alle Sinne anregen; man kann sich vom Zufall führen lassen, Neues entdecken und auch einen Blick über den Tellerrand wagen, sich von anderen Branchen anregen oder gar inspirieren lassen. Unerwartete Kontakte knüpfen mit Fachleuten, denen man ausserhalb der Messe kaum je über den Weg laufen würde, neudeutsch Networking.
Quelle: Messe München GmbH
Screenshot: Die persönliche Startseite für den Messebesucher präsentiert sich mit langweiligen Kacheln und dahinter einem überfordernden Angebot, nur über das Alphabet oder Stichwortsuche zugänglich.
«Krachend bis katastrophal»
All diese wichtigen Funktionen einer Messe sind online extrem schwierig zu realisieren. Die Bau 2021 hat es aber nicht wirklich versucht, sondern sich mit einer sehr konservativen, nüchternen Internet-Version begnügt. Laut dem zitierten deutschen Online-Fachportal war dies auch die Ansicht vieler Teilnehmer: «Viele Aussteller waren genervt und unzufrieden mit diesem Angebot der Messe München, das hinsichtlich der Imagefrage ein echtes Eigentor wurde.» Deshalb sei die Landung dieser Weltleitmesse auf der virtuellen Piste «krachend bis katastrophal» verlaufen, was vielleicht ein bisschen gar hart ist.
Denn aller Kritik zum Trotz hat die Messe München in sehr kurzer Zeit eine Online-Messe aus dem Ärmel geschüttelt und konnte eine totale Absage vermeiden. Die neuen Inhalte und Gefässe, über die eine Internet-Messe stattfindet, wird man weiter verfeinern und entwickeln, da vor allem für internationale Besucher die Online-Version viele Vorteile hat, auf die man auch in Zukunft nur ungern verzichten würde.