ETH-Studie: Wo sollen Windräder in der Schweiz stehen?
Eine Studie von ETH-Forschenden zeigt erstmals, wie sich die Lockerung der Raumplanung auf den Ausbau der Windenergie in der Schweiz auswirken würde. Will man möglichst wenig Windanlagen in den Alpen und in der Schweiz generell, sollte man demnach die Nutzung von windstarken Agrarflächen im westlichen Mittelland erwägen.
Quelle: fxxu, pixabay, gemeinfrei
Windrad in Entlebuch LU, Symbolbild
Von Christoph Elhardt*
Bis 2050 sollen rund sieben Prozent des Stroms in der
Schweiz mit Windenergie gedeckt werden. Gemäss Energiestrategie sind dies rund
4,3 Terawattstunden (TWh) pro Jahr. Von diesem Ziel ist die Schweiz heute noch
weit entfernt: Die knapp 40 bestehenden Windanlagen produzieren lediglich 0,14
TWh und damit 0,3 Prozent unseres Stroms.
Die Politik will nun den Ausbau der Windkraft beschleunigen.
Vor allem im Winter, wenn Photovoltaikanlagen und Wasserkraftwerke nicht
ausreichen, um den hohen Bedarf zu decken, soll der Strom aus Windturbinen eine
Mangellage vermeiden. Doch wo soll der Windstrom in der Schweiz am besten
erzeugt werden? In den Alpen, im flachen Mittelland, oder aber in den Voralpen
und im Jura?
Eine Studie von ETH-Forschenden um Adrienne Grêt-Regamey,
Professorin für Planung von Landschaften und Urbanen Systemen (PLUS), zeigt nun
erstmals unterschiedliche Szenarien auf, wie Windkraftanlagen regional verteilt
werden könnten, um das Ziel der Energiestrategie 2050 so effizient wie möglich
zu erreichen.
Die Studienautoren berücksichtigen dabei erstmals auch
Flächen, auf denen aktuell keine Windkraftanlagen gebaut werden dürfen. «Indem
wir besonders gutes Ackerland, sogenannte Fruchtfolgeflächen, im windstarken
Mittelland neben der Nahrungsmittelproduktion auch für die Erzeugung von
Windstrom nutzen würden, müssten wir deutlich weniger Windkraftanlagen im
alpinen Raum bauen», erklärt Grêt-Regamey.
Rund 760 Windturbinen im Referenzszenario
Das Referenzszenario der Studienautoren orientiert sich am
gültigen Windenergiekonzept der Schweiz, wo mögliche Räume zur Nutzung von
Windenergie definiert werden. So dürfen etwa in Wäldern, auf Fruchtfolgeflächen
und im Umkreis von schützenswerten Ortsbildern keine Windkraftanlagen gebaut
werden.
Um im Jahr 4,3 TWh Windstrom zu erzeugen, bräuchte es in
diesem Szenario rund 760 Windturbinen. Bei ihren Berechnungen gehen die
Forschenden davon aus, dass möglichst wenig Windturbinen an möglichst wenigen,
besonders windstarken Orten gebaut werden sollten.
Da es weder sinnvoll noch technisch möglich ist, an allen Standorten die gleichen Anlagen zu bauen, berücksichtigt die Studie für die Alpen eher kleine (100 Meter hoch, 39 Meter Rotorradius), für die Voralpen und den Jura mittelgrosse (125 Meter hoch, 67 Meter Rotorradius) und für das flache Mittelland die grössten und leistungsstärksten Windturbinen (150 Meter hoch, 73 Meter Rotorradius). Dabei gilt: Eine grosse Anlage in der Ebene des Mittellandes erzeugt bei voller Auslastung über doppelt so viel Strom, wie eine kleine Anlage in den Alpen.
Quelle: Reto Spielhofer / ETH Zürich
Optimale Verteilung von Windkraftstandorten gemäss dem aktuellen Windenergiekonzept. Orange Kreise: grösste Windturbinen im Mittelland. Violette Quadrate: mittelgrosse Anlagen in den Voralpen und im Jura. Türkise Dreiecke: kleinere Anlagen in den Alpen.
Starker Ausbau in Alpen nötig
Von den rund 760 Windturbinen befänden sich 40 Prozent in
den Bündner und Walliser Alpen. Diese 300 kleinen Anlagen würden aber nur gegen
20 Prozent der Jahresleistung produzieren. «Dies ist nicht optimal, da die Bau-
und Betriebskosten von Windanlagen in den Bergen tendenziell höher sind als in
der Ebene. Zudem empfindet die Schweizer Bevölkerung Windanlagen in
unberührten, alpinen Naturlandschaften als besonders störend», erklärt
ETH-Professorin Grêt-Regamey.
Rund die Hälfte der 4,3 TWh würden durch circa 260 der
grössten Anlagen in den Ebenen des Mittellandes produziert werden. 80 Prozent
davon befänden sich in den Kantonen Bern, St. Gallen, Luzern und Fribourg. Die
verbleibenden 30 Prozent des bis 2050 jährlich geplanten Windstroms würden
durch rund 180 Anlagen in den Voralpen gedeckt werden. Ein Grossteil dieser
würden in den Kantonen Bern, Fribourg, St. Gallen und Appenzell-Ausserrhoden
stehen.
Basierend auf diesen Berechnungen haben die Forschenden eine Karte erstellt, welche die ungefähre Verteilung der Windanlagen zeigt. «Die Punkte sollten als nationale Fokusgebiete und nicht als genaue Standorte für Windturbinen gelesen werden», sagt Reto Spielhofer, der Erstautor der Studie, der auch in der Forschungsgruppe von Grêt-Regamey forscht.
Quelle: Reto Spielhofer / ETH Zürich
36 Standorte könnten zusammen knapp fünf Prozent des jährlichen Bedarfs abdecken.
Windstarke Gebiete nutzen
Als Teil des Referenzszenarios haben die Forschenden
ausserdem 36 Standorte identifiziert, die sich besonders gut für die Erzeugung
von Windstrom eignen würden. Ohne die Raumplanung anpassen zu müssen, könnten
diese Standorte zusammen knapp 5 Prozent des jährlichen Bedarfs abdecken. Neun
dieser Standorte liegen in den Kantonen Graubünden und Wallis, sechs in St.
Gallen, fünf in Bern, jeweils zwei in der Waadt und in Fribourg und einer im
Kanton Uri.
Die Studie der ETH-Forschenden untersucht auch, welche Auswirkung
eine Lockerung raumplanerischer Vorgaben auf die regionale Verteilung von
Windkraftanlagen hätte. So nehmen sie in einem Szenario an, dass auch
Fruchtfolgeflächen für die Windkraft genutzt werden dürfen. «Uns ist bewusst,
dass die Nutzung dieser Flächen äusserst umstritten ist, da es sich um sehr
gutes Agrarland handelt, das hohe landwirtschaftliche Erträge abwirft», sagt
ETH-Professorin Grêt-Regamey.
Nichtsdestotrotz wollten die Forschenden aufzeigen, welche Spielräume sich beim Ausbau der Windkraft ergeben, wenn man Fruchtfolgeflächen vor allem dort nutzen könnte, wo der Wind häufig und stark weht. Im Vergleich zum Referenzszenario wären schweizweit rund 300 Windturbinen weniger notwendig, um den geplanten Windstrom im Umfang von 4,3 TWh pro Jahr zu erzeugen.
Quelle: Reto Spielhofer / ETH Zürich
Dürfen Fruchtfolgeflächen für Windkraftanlagen genutzt werden, wäre eine Konzentration der grössten Windturbinen (orange Kreise) im windstarken, westlichen Mittelland optimal. Dafür wären aber weniger kleine Anlagen (türkise Dreiecke) in den Alpen notwendig.
Konzentration im Westschweizer Mittelland
«Lockern wir die Raumplanungsvorschriften für
Fruchtfolgeflächen, bräuchten wir in den Bündner und Walliser Bergen knapp 200
Windanlagen weniger als im Referenzszenario», erklärt Grêt-Regamey.
Nur etwas mehr als drei Prozent des jährlichen Zieles von
4,3 TWh Windstrom müssten in den Alpen und weniger als ein Prozent in den
Voralpen und im Jura produziert werden. Über 96 Prozent würden hingegen von den
grössten Turbinen in den Ebenen – vor allem im Westschweizer Mittelland –
stammen. Von den insgesamt rund 460 Windturbinen in diesem Szenario befänden
sich knapp über 40 Prozent im Kanton Waadt und je etwa 13 Prozent in den
Kantonen Fribourg und Bern.
Dazu ETH-Professorin Grêt-Regamey: «Es gibt einen Trade-off
zwischen der Anzahl Windturbinen und ihrer Verteilung: Wollen wir möglichst
wenig Windanlagen – sowohl generell als auch speziell in den Alpen – müssen wir
grosse, gut sichtbare Windturbinen dort bauen, wo es am meisten Wind hat: im
westlichen Mittelland. Priorisieren wir hingegen den Schutz von
Fruchtfolgeflächen, werden wir um den Ausbau in den Alpen nicht herumkommen.»
*Christoph Elhardt arbeitet in der Wissenschaftskommunikation der ETH Zürich. Dieser Artikel ist zuvor im Original bei den ETH-News unter ethz.ch erschienen.