Energieverbrauch und Treibhausgas-Emissionen als Ganzes betrachten
Ein Positionspapier des Departements Architektur an der ETH Zürich, unterzeichnet vom gesamten Lehrkörper, fordert im Bauwesen ein Umdenken: weg vom Energiesparen, hin zur CO2-Emissionsfreiheit. Die Argumentation in Kürze: Dicke Hüllen zum Energiesparen seien mit Blick auf den hohen Materialverbrauch nicht sinnvoll und engten die Architekten zudem gestalterisch ein. Am Ende gehe es darum, dass ein Gebäude treibhausgasfrei sei; Energie – erneuerbare Energie – gebe es dagegen unbeschränkt. Man müsse die vorhandenen Quellen bloss konsequent nutzen und geschickt – nicht zuletzt saisonal – speichern.
Ob diesem pointierten Positionsbezug ist ein Expertenstreit entbrannt. Machen wir uns mit Dämmen bloss das Leben schwer, ohne wirklich etwas für das Klima zu leisten? Sind Konzepte wie Minergie oder die 2000-Watt-Gesellschaft Schnee von gestern, angesichts der neuen Fahne der 1-Tonnen-CO2-Gesellschaft, welche sich hier voller technologischer Hoffnungen geräuschvoll knatternd entfaltet?
Vermutlich ist man gut beraten, die flammenden Voten der ersten Stunde erst einmal erkalten zu lassen und einige nüchterne Überlegungen anzustellen, um sich an eine Antwort heranzutasten. Fangen wir vorne an: Sind Energieverbrauch und CO2-Ausstoss heute bereits entkoppelt, wie es die Prämisse des vorgetragenen neuen Ansatzes ist, oder werden sie es demnächst sein? Anders gefragt: Sind erneuerbare Energien ausreichend vorhanden, oder wird es bald so sein? Die Antwort lautet nein. Auf erneuerbare Energieträger entfallen im Primärenergiemix weltweit gesehen noch immer bloss ungefähr 7 Prozent; 80 Prozent der Energie liefern fossile Brennstoffe. Die neusten Schätzungen der International Energy Agency (IEA) weisen darauf hin, dass diese Situation noch über Jahrzehnte keine grundlegende Änderung erfahren wird. Der Energieverbrauch steigt voraussichtlich weltweit gesehen massiv weiter; die fossilen Brennstoffe Erdöl, Kohle und Erdgas werden, trotz sinkendem Kuchenanteil, dominant bleiben, auch wenn die erneuerbaren Energien laut IEA bis 2035 ihren Part im globalen Primärenergiemix vermutlich auf 14 Prozent verdoppeln können.
Das bedeutet im Klartext, dass Energieeffizienz heute und noch auf Jahrzehnte hinaus unabdingbar ist zur Drosselung der CO2-Emissionen im Bauwesen. Denn Energieverbrauch und Treibhausgasausstoss bleiben noch lange direkt gekoppelt. Die Dekarbonisierung der Wirtschaft geht nur sehr langsam vor sich. Auch die benötigten Elektrizitätsmengen für emissionsfreie Gebäude sind auf lange Zeit hinaus nicht friktionsfrei zu haben. Nur zu oft stammt der Strom, ohne den auch die modernste Wärmepumpe nicht auskommt, aus Verbrennungsprozessen hinter der Steckdose – oder aus Kernenergie.
Der Schluss daraus: Die konsequente Anwendung der verfügbaren Technologien zur Steigerung der Energieeffizienz ist zusammen mit der Verwendung klimaschonender Baumaterialien aus heutiger Warte klar derjenige Ansatz, der am meisten bringt, um das Ziel emissionsarmer, vielleicht sogar emissionsfreier Gebäude zu erreichen. Das spricht nicht gegen Augenmass beim Dämmen von Gebäuden unter wirtschaftlichen und architektonischen Aspekten, auch nicht gegen Weiterentwicklungen und neue Ideen im Rahmen bewährter Massnahmen – wohl aber gegen die Aufgabe von griffigen und gut eingeführten Konzepten wie Minergie und sinnstiftenden Visionen wie der 2000-Watt-Gesellschaft.
Der weiterentwickelte Standard Minergie-A, der nächstes Jahr lanciert wird, verlangt nicht nur Energieeffizienz, sondern auch möglichst viel erneuerbare Energie. In Minergie-A-Bauten soll die Wärme für Heizung und Warmwasser klimaneutral und weitgehend vor Ort produziert werden. Neu werden auch Haushaltsstrom und graue Energie einbezogen. Das ist ein handfester integrativer Ansatz, der Forderungen erhebt und sich zugleich an der Realität orientiert. Er verdient Unterstützung – ebenso wie das CO2-speichernde Baumaterial Holz.
Christoph Starck, Direktor Lignum, Holzwirtschaft Schweiz