Energie: Notstrom aus dezentralen, erneuerbaren Quellen
Wer mit Photovoltaik und anderen dezentralen Produktionsanlagen erneuerbaren Strom erzeugt, nutzt in der Regel einen Netzanschluss für Strombezug und -einspeisung. Mit einer technischen Umrüstung können solche Anlagen vom Stromnetz entkoppelt werden. Ein Pilotprojekt des Bundesamts für Energie hat untersucht, ob sich auf diesem Weg die Notstromversorgung von Landwirtschaftsbetrieben im Fall eines Blackouts sicherstellen lässt.
Quelle: Holzhof
Der Holzhof in Amlikon-Bissegg TG nutzt zur Energieerzeugung zwei PV-Anlagen und eine Biogasanlage, an die drei Blockheizkraftwerke angeschlossen sind. Die Blockheizkraftwerke produzieren Strom und Wärme. Beim ersten Testlauf für den Inselbetrieb wurde ein Blockheizkraftwerk (320 kW Leistung) herangezogen. Beim zweiten Testlauf wurde neben dem Blockheizkraftwerk zusätzlich eine PV-Anlage (120 kWp) eingesetzt.
Von Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamtes für Energie (BFE)
Elektrischer Strom ist für das Funktionieren
unserer Gesellschaft unentbehrlich. «Ein länger andauernder, landesweiter
Strom-Blackout würde zu einem unmittelbaren Stillstand von nahezu der gesamten
Schweizer Wirtschaft führen», hält der Bundesrat in der ‹Nationalen Strategie
zum Schutz kritischer Infrastrukturen› fest.
Ein Teil der Wirtschaft ist die
Land-wirtschaft. Ein Stromausfall über längere Zeit bei Lüftungen, Melkanlagen
oder auch Heizungen würde das Wohlergehen von Mensch und Tier unmittelbar
bedrohen. Die Nahrungsmittelproduktion für die Bevölkerung wäre gefährdet. Die
Nationale Strategie fordert daher, kritische Infrastrukturen resilient
auszugestalten: «Grossflächige und schwerwiegende Ausfälle sollen möglichst
verhindert und die Funktionsfähigkeit im Ereignisfall möglichst rasch wieder
gewährleistet werden.»
«Grüner» Notstrom
Die Eigenversorgung hat durch den Ausbau
der dezentralen Produktion erneuerbarer Energien einen grossen Stellenwert
erhalten. Die dezentralen Energiequellen könnten auch im Krisenfall gute
Dienste leisten. Das ist der Grundgedanke einer kürzlich fertiggestellten
Studie, die vom Pilot- und Demonstrationsprogramm des BFE finanziell
unterstützt wurde.
Die Projektleitung hatte die Winterthurer Firma Fleco Power AG, eine 2015 gegründete Tochterfirma der Genossenschaft Ökostrom Schweiz (Winterthur), des Solarinstallateurs «MBRsolar» (Wängi) und der Energiegenossenschaft ADEV (Liestal). Fleco Power vermarktet erneuerbare Energie von über 600 Produzenten, die Strom aus Photovoltaik, Biogas, Wasserkraft und Wind gewinnen.
Quelle: Schlussbericht BackupFlex
Typische Aufteilung des Strom-Jahresverbrauchs eines Milchwirtschaftsbetriebs. Grafik: Schlussbericht BackupFlex
Das Schweizer Stromnetz ist eng vermascht. Fällt ein Kraftwerk oder eine Leitung aus, wird die Stromversorgung in aller Regel in kürzester Zeit wiederhergestellt. Im Krisenfall ist allerdings auch ein längerer, flächendeckender Ausfall denkbar. In diesem Fall könnten auf Landwirtschaftsbetrieben Dieselaggregate oder von Traktormotoren angetriebene Zapfwellengeneratoren zur Stromerzeugung genutzt werden, sofern genug Treibstoff am Lager ist.
Eine andere Quelle für Notstrom bieten dezentrale Photovoltaik-, Biogas- oder Windkraftwerke. In der Schweiz gibt es mehrere Tausend PV-Anlagen auf Bauernhöfen; allein im Jahr 2021 kamen 750 Anlagen mit einer Durchschnittsleistung von 68 kW neu hinzu. Zudem existieren schweizweit rund 120 landwirtschaftliche Biogasanlagen. Die meisten sind mit Blockheizkraftwerken (BHKW) ausgerüstet, die Biogas in Strom und Wärme umwandeln.
Quelle: Fleco Power
Um ein Inselnetz zu etablieren, muss dieses über einen Netztrennschalter vom allgemeinen Stromnetz getrennt werden.
Quelle: Fleco Power
Landwirt Otto Wartmann neben der Installation, mit der auf dem Holzhof die Notstromversorgung mittels erneuerbaren Energien untersucht wurde.
Abgekoppelt vom Stromnetz
Will man solche Anlagen für die Notstromversorgung nutzen, müssen sie im Inselbetrieb – also abgekoppelt vom Stromnetz – betrieben werden. Benötigt wird dafür eine Steuerung, die die Stromproduktion auf den Bedarf der angeschlossenen elektrischen Verbraucher abstimmt. Dezentrale Stromproduktionsanlagen sind heute üblicherweise nicht für den Inselbetrieb ausgelegt. Wenn das Netz ausfällt, stoppen sie die Produktion. Das von Fleco Power initiierte Pilotprojekt ging der Frage nach, mit welchen Anpassungen die Anlagen auf Notbetrieb umgestellt werden können. Notbetrieb bedeutet in der Regel auch, dass nur jene elektrischen Verbraucher versorgt werden, die im Krisenfall unabdingbar sind.
Die Feldtests zur Notstromversorgung erfolgten auf dem Holzhof von Projektpartner Otto Wartmann, einem Käserei- und Landwirtschaftsbetrieb in Amlikon-Bissegg im Kanton Thurgau. Dort produzieren zwei PV-Anlagen (Gesamtleistung: 360 kWp) jährlich 330'000 kWh Strom. Hinzu kommt eine Biogasanlage mit drei BHKWs (Gesamtleistung: 750 kW), die nebst Wärme insgesamt 5'000'000 kWh Strom liefern.
In einem ersten Feldtest wurde eines der drei BHKW zur Notstromproduktion herangezogen. Obwohl damit bereits genügend Strom für den Notbetrieb zur Verfügung stand, wurde in einem zweiten Testlauf zusätzlich zum BHKW eine der PV-Anlagen in die Notversorgung einbezogen. Damit wollte das Projektteam klären, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Kombination mehrerer dezentraler Kraftwerke möglich ist.
Quelle: Illustration: B. Vogel (mit Shutterstock)
Der Holzhof in Amlikon-Bissegg TG nutzt zur Energieerzeugung zwei PV-Anlagen und eine Biogasanlage, an die drei Blockheizkraftwerke angeschlossen sind. Die Blockheizkraftwerke produzieren Strom und Wärme. Beim ersten Testlauf für den Inselbetrieb wurde ein Blockheizkraftwerk (320 kW Leistung) herangezogen. Beim zweiten Testlauf wurde neben dem Blockheizkraftwerk zusätzlich eine PV-Anlage (120 kWp) eingesetzt.
Schwarzstart hat seine Tücken
Die Ergebnisse zeigen: In beiden
Testanordnungen (BHKW allein, BHKW mit PV) konnte ein Inselbetrieb zur
Notstromversorgung mit erneuerbarem Strom realisiert werden. Der
Landwirtschaftsbetrieb wurde während jeweils mehrerer Stunden mit bis zu 180 kW
Leistung versorgt. Im Ernstfall kann eine Notstromversorgung oft nur die
wichtigsten Verbraucher mit Strom beliefern. Beim Testbetrieb auf dem Holzhof
war das anders: Hier wurde der gesamte Strombedarf des Landwirtschaftsbetriebs
gedeckt. Die Herausforderung bestand hier darin, einen genug hohen Verbrauch
sicherzustellen, da das BHKW aus technischen Gründen auch im Notbetrieb
mindestens auf 60 Prozent der Leistung betrieben werden muss.
Mit den Feldtests wurden verschiedene
Herausforderungen eines Notbetriebs identifiziert: Die Schwarzstartfähigkeit
(Aufbau des Inselnetzes) scheiterte anfangs in mehreren Anläufen,
beispielsweise an fehlerhaften Einstellungen oder der fehlenden
Notstromversorgung von Steuerungskomponenten. Fazit von Projektleiter und
Fleco-Power-Manager Martin Schröcker: «Für den Betrieb eines Inselnetzes
braucht es die erforderlichen technischen Komponenten und Steuerungsanlagen,
aber auch Personen, die die Notstromversorgung in Betrieb nehmen können und
dafür den Krisenfall regelmässig proben.»
Quelle: Schlussbericht BackupFlex
Die Grafik zeigt die Frequenz während eines der Feldtests. Die Abweichungen sind für die Einspeisung ohne eine Anpassung am N/A-Schutz der PV-Anlage zu gross, für den Betrieb des Notnetzes aber ausreichend gut.
Netzqualität ist wichtig
Besonders anspruchsvoll ist eine
Notstromversorgung über mehrere Tage und Wochen. In solchen Fällen muss die
Versorgung mit Substraten für die Biogas-anlage sichergestellt werden. Zudem
muss die Netzqualität hohen Ansprüchen genügen. Zwar sind für einen abgekoppelten
Notbetrieb die Anforderungen von Normen wie der Europäischen Norm «EN 50160»
nicht direkt gültig, sie bieten aber eine gute Grundlage für eine Beurteilung
der notwendigen Netzqualität in Dimensionen wie Spannungs- und Frequenzhaltung.
Erfolgt ein Notbetrieb über längere Zeit,
können Abweichungen der Netzqualität elektrische Verbraucher beschädigen,
beispielsweise durch erhöhte thermische Belastungen bei Schieflasten. Für die
Einbindung der erneuerbaren Energien in die Notversorgung ist somit eine
sorgfältige Planung des Notnetzes und der involvierten Komponenten nötig.
Martin Schröcker von Fleco Power ist überzeugt, dass gerade PV-Anlagen ihren Beitrag zur Notstromversorgung leisten können. Zwar ist Solarstrom für diese Aufgabe auch bei Einsatz eines Batterie-speichers noch nicht ausreichend, weil vor allem in den Wintermonaten Energielücken auftreten, wie das Projektteam im Schlussbericht festhält.
Quelle: Schlussbericht BackupFlex
Die Europäische Norm «EN 50160» formuliert verschiedene Anforderungen an die Qualität der Spannungsversorgung. Das Inselnetz, das testweise in Amlikon-Bissegg eingerichtet wurde, konnte die in der Norm formulierten Grenzwerte nicht jederzeit einhalten. Die gemessenen Abweichungen erlauben den Betrieb des Notnetzes, erfordern aber Anpassungen am externen N/A-Schutz der Photovoltaikanlage, um die Einspeisung zu ermöglichen.
Anders sieht es aus, wenn Photovoltaik mit
einer zweiten Stromquelle kombiniert wird. Martin Schröcker sieht ein
vielversprechendes System darin, zur Hauptsache PV-Anlagen zu nutzen und diese
nach Bedarf temporär mit Strom aus einem Zapfwellengenerator zu ergänzen. Ob
diese Kombination praktikabel ist, wurde in einem Feldversuch bisher nicht
untersucht. «Die Integration von mehreren Energiequellen in einem gemeinsamen
Notnetz wird die bereits beträchtliche technische Komplexität des Notbetriebs
jedoch zusätzlich erhöhen», geben die Autoren des Projektschlussberichts zu
bedenken.
Martin Schröcker bleibt optimistisch: «Aus
unserer Sicht bietet dezentral pro-duzierter erneuerbarer Strom eine riesige
Chance, um eine robuste Lösung für die Notstromversorgung zu nutzen. Wenn dazu
vor allem Anlagen eingesetzt werden, die für den Normalbetrieb angeschafft
wurden, lassen sich die Zusatzkosten in Grenzen halten. So kann die
Energiewende dazu beitragen, das Schweizer Stromnetz als ganzes robuster gegen
Blackouts zu machen. Die Landwirtschaft ist aufgrund der grossen Potentiale für
Erneuerbare Energien und der gut geschulten Betreiber und Betreiberinnen der
beste Ort, um damit anzufangen.»
Der Schlussbericht zum Projekt ‹BackupFlex
– Notbetrieb mit dezentralen Anlagen› ist abrufbar unter: www.aramis.admin.ch
Steuerung für Inselnetze
Sollen dezentrale Solar-, Biogas- oder
Windkraftwerke zur Versorgung eines Inselnetzes herangezogen werden, fungiert
der zugehörige Generator oder Wechselrichter als netzführende Komponente der
Notversorgung. Diese ist während des Notbetriebs für Netzstabilität und
-qualität verantwortlich. Dazu übernimmt sie die Produktions- und
Laststeuerung, die dafür sorgt, dass die Stromproduktion mit dem Verbrauch in
Einklang ist.
Die technischen Komponenten für einen
Inselbetrieb existieren, sind aber in heute typischen Anlagen selten verbaut
und führen oft zu Mehrkosten. Das macht es schwierig, bestehende Anlagen
nachträglich für den Inselbetrieb fit zu machen. Um diese Lücke zu schliessen,
wurde im Pilotprojekt zusammen mit der Hochschule HES-SO Valais-Wallis die
Entwicklung einer technischen Lösung für den Retrofit bestehender Anlagen
gestartet. (bv)
Pilot- und Demonstrationsprojekte des BFE
Das vorgestellte Projekt wurde vom Pilot- und Demonstrationsprogramm des Bundesamts für Energie (BFE) unterstützt. Mit dem Programm fördert das BFE die Entwicklung und Erprobung von innovativen Technologien, Lösungen und Ansätzen, die einen wesentlichen Beitrag zur Energieeffizienz oder der Nutzung erneuerbarer Energien leisten. Gesuche um Finanzhilfe können jederzeit eingereicht werden: