Ende der Doppelspurigkeit
Arbeitgeber, Kaderorganisationen und Gewerkschaften haben sich nach jahrelangen Verhandlungen auf einen einheitlichen Gesamtarbeitsvertrag für Poliere geeinigt. Erstmals werden Mindestlöhne, Arbeitszeit und Kündigungsbedingungen in einem einzigen Vertrag geregelt.
Quelle: Bernhard Schweizer
Alle Poliere unterstehen ab sofort einem einheitlichen Gesamtarbeitsvertrag
Ohne zu übertreiben kann von einem historischen Durchbruch in der Sozialpartnerschaft gesprochen werden: Ab sofort ist ein einheitlicher Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für Poliere in Kraft. Baumeister, Kaderorganisationen und Gewerkschaften haben sich vor kurzem erstmals auf ein einheitliches Vertragswerk geeinigt. Im neuen GAV sind die Minimallöhne, Arbeitszeiten und Kündigungsbedingungen festgelegt. Für die Poliere ist dies ein Novum: In den letzten Jahren galten für sie unterschiedliche Regelungen, je nach dem, ob sie Mitglied bei einer Gewerkschaft oder einer Kaderorganisation waren. Mindestlöhne waren bisher nur im GAV von Baukader Schweiz garantiert, der seit Januar 2008 in Kraft ist, nicht aber für gewerkschaftlich organisierte Poliere. Im Polier-GAV der Gewerkschaften war dafür der Kündigungsschutz bei Krankheit und Unfall umfassender.
Rechtliche Unklarheit beseitigt
Abgesehen davon, dass diese Ungleichbehandlung stossend wirkte und teilweise für rechtliche Unklarheit sorgte, hatte sie für die Arbeitgeber auch den Nachteil, dass sie Löhne und Arbeitszeiten unterschiedlich abrechnen mussten, je nach dem, welcher Organisation ein Polier angehörte. Dies erhöhte selbstredend den administrativen Aufwand für die Bauunternehmungen und ist auch der Hauptgrund, weshalb der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) einer einheitlichen Regelung der Arbeitsbedingungen für Baukader zugestimmt hat. Dies war nicht immer so: Vor rund vier Jahren stellte sich der SBV auf den Standpunkt, eine einheitliche Regelung der Arbeitsbedingungen für Poliere sei nicht erwünscht, weil eine solche den Bauunternehmungen den Spielraum für individuelle Abmachungen nehme. «Die Lohnanpassungen müssen in Zukunft im Einzelfall und eben nicht auf GAV-Stufe ausgehandelt werden», sagte SBV-Direktor Daniel Lehmann Anfang 2006 im Verbandsorgan «Schweizer Bauwirtschaft».
Lange Verhandlungen
Aus diesem Grund kündigten die Gewerkschaften Unia und Syna Ende 2005 ihren Polier-GAV, mussten diesen aber später wieder in Kraft setzen, weil die Verhandlungen mit dem SBV nicht vom Fleck kamen und sich der vertragslose Zustand über längere Zeit hingezogen hätte. Baukader Schweiz erreichte 2008 in zähen Verhandlungen zwar einen neuen GAV mit Minimallöhnen, doch dieser wurde von den Gewerkschaften wegen der darin enthaltenen Überstundenregelung nicht akzeptiert. So blieb es bei den zwei unterschiedlichen Verträgen für die Poliere. Dies hatte auch zur Folge, dass weder der GAV der Gewerkschaften, noch jener von Baukader Schweiz für allgemeinverbindlich erklärt werden konnte. Dazu hätten die beiden Vertragswerke nach Bundesrecht gleichlautend sein müssen.
Entspannung seit 2009
Die Situation entspannte sich erst ab 2009, nachdem Baukader Schweiz bei Nachverhandlungen die Arbeitszeitbestimmungen des Landesmantelvertrags 2008 sowie höhere Mindestlöhne in seinen Polier-GAV aufgenommen hat. Die Gewerkschaften waren nun bereit, sich dem GAV von Baukader Schweiz anzuschliessen, auch wenn dieser (noch) nicht in allen Punkten ihren Vorstellungen entspricht: Der Minimallohn kann beispielsweise nach Absprache zwischen Arbeitgeber und Polier auch unterschritten werden und unter 45-jährige Poliere geniessen bei Unfall und Krankheit nur über einen bedingten Kündigungsschutz, der sich nach Alter und Anstellungsdauer richtet. «Die Unterschreitung der Mindestlöhne soll die Ausnahme, nicht die Regel sein», argumentiert Ernst Zülle, Branchenleiter Bauhauptgewerbe der Gewerkschaft Syna, auf Anfrage und ergänzt: «Der Kündigungsschutz bei Krankheit und Unfall soll für Poliere analog zum Landesmantelvertrag für die Bauarbeiter ausgestaltet sein. Solange jemand Krankentaggelder bezieht, soll er vor Kündigungen geschützt sein.» Um zu einem einheitlichen Poliervertrag zu gelangen, sei man einen Kompromiss eingegangen. Zülle: «Wir haben jetzt, anders als im vorherigen gewerkschaftlichen Poliervertrag, Minimallöhne, dafür mussten wir einen vorläufigen Rückschritt beim Kündigungsschutz in Kauf nehmen.»
Deshalb haben die Sozialpartner vereinbart, dass noch in diesem Jahr Verhandlungen über die noch strittigen Punkte geführt werden sollen. «Wir haben uns bereits getroffen, um gemeinsam eine Auslegeordnung vorzunehmen», bestätigte André Kaufmann, Co-Sektorleiter Bau bei der Unia, gegenüber dem «baublatt». Die erste Verhandlungsrunde soll Ende August stattfinden. Ein Abschluss der Verhandlungen wird laut Kaufmann für Ende Jahr angestrebt. Erst danach wollen die Sozialpartner beim Bundesrat die Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) des GAV beantragen. Massimo Diana
NACHGEFRAGT BEI SBV-DIREKTOR DANIEL LEHMANN
«baublatt»: Welche Vorteile hat ein einheitlicher Poliervertrag für die Bauunternehmer?
Daniel Lehmann: Die Handhabung der Arbeitsbedingungen auf Polierstufe wird mit einem einzigen Gesamtarbeitsvertrag wesentlich einfacher. Vorher hatten wir zwei inhaltlich nicht deckungsgleiche Verträge, auf die der Arbeitgeber achten musste.
Vor vier Jahren war der Baumeisterverband gegen eine zu detaillierte Regelung der Arbeitsbedingungen auf Polierstufe, weil dies den Spielraum des Bauunternehmers für individuelle Vereinbarungen einschränke. Wie kam es zum heutigen Meinungsumschwung?
Wir haben keinen Meinungsumschwung vollzogen. Der nun gültige Polier-GAV lässt genügend Spielraum für individuelle Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Polier und entspricht deshalb der Philosophie des Baumeisterverbands.
Warum ist der Kündigungsschutz ein Problem?
Der Kündigungsschutz, wie er im neuen Polier-GAV festgelegt ist, stellt für die Baumeister überhaupt kein Problem dar. Wenn die Gewerkschaften einen besseren Kündigungsschutz wünschen, können sie dieses Anliegen in die kommenden Verhandlungen einbringen. Wir haben gesagt, dass es für diese keine Einschränkungen geben soll. Was aber dabei herauskommt, das lässt sich heute noch nicht sagen. (md)