Empa-Forschungscampus: Mit dem Erdreich Energie gewinnen
Den Überschuss an Abwärme im Sommer direkt unter Gebäuden speichern für Heizenergie im Winter. Auf dem Empa-Gelände in Dübendorf entsteht dazu mit dem Forschungscampus ein Gebäudekomplex, mit dem die Wärmespeicherung im Erdreich getestet wird.
Quelle: Implenia Schweiz AG
Die Sonden reichen rund 100 Meter ins Erdreich. Erdsonden vieler Anwendungen werden weit tiefer abgeteuft. Um ein hohes Speichervolumen zu erreichen, ist die Anzahl von 144 Erdwärmesonden dafür ausserordentlich hoch.
Die Speicherung von Energie ist mit Blick auf die Klimaziele eine der zentralen technischen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte. Ein vielversprechender Ansatz ist es, den Überschuss an Energie im Sommer für die Nutzung im Winter im Boden zu speichern.
Bei der im Bau befindlichen Anlage auf dem Gelände der Eidgenössischen Materialprüfung- und Forschungsanstalt (Empa) in Dübendorf wird das Erdreich künftig als Speicher genutzt. Bei der gewählten Speicherlösung auf dem neuen Forschungscampus «Co-Operate» handelt es sich um ein schweizweit einzigartiges Bauprojekt. Die Gebäude werden dereinst normal genutzt, doch sind sie zugleich auch Forschungsobjekte für die Speicherung und Entnahme von Heizenergie.
Auch weltweit konnten die Planerinnen und Planer im urbanen Umfeld nur wenige Vergleichsobjekte mit überbautem Erdsondenfeld und Hochtemperatur-Erdsonden finden. Zwar existiert in Kanada eine Anlage mit Hochtemperatur-Erdsonden, doch befindet sich diese auf offenem Feld, was mit dem Nachteil verbunden ist, dass das Areal nicht mehr überbaut werden kann.
Um die wertvolle Baulandreserve auf dem Empa-Gelände optimal nutzen zu können, war es das Ziel bei der Planung, das Erdsondenfeld komplett unter die neuen Gebäude zu platzieren. Ganz konnte die Vorgabe nicht erreicht werden, doch befinden sich tatsächlich rund zwei Drittel der 144 Erdsonden unter den neuen Gebäuden. Der Rest der Sonden ist in der unmittelbaren Umgebung abgeteuft.
Mindestvolumen erforderlich
Beim Erdsondenfeld auf dem Empa-Areal handelt es sich um eine spezielle Anwendung. Denn das System nutzt zum einen Abwärmetemperaturen, die bei der Forschungsanstalt wegen der Prozesskälte für den Betrieb der Labors im Sommer anfallen. Bisher wurde der Abwärmeüberschuss, welcher nicht zur Deckung des eigenen Wärmebedarfs genutzt werden kann, an die Atmosphäre abgegeben. Zum anderen erfordert der Betrieb einer Anlage dieser Grösse ein Mindestvolumen an Abwärme.
Quelle: Stefan Schmid
Die Hälfte des Parkhauses ist unterkellert. Wegen der Wirtschaftlichkeit befinden sich die Sonden jedoch im nicht unterkellerten Teil. Das Gebäude wird mit einer Photovoltaik-Anlage belegt, um Strom für die Wärmepumpe produzieren zu können.
Die Neubauten umfassen ein Gebäude für 30 Forschungslabore samt Flächen für die Administration sowie ein Multifunktionsgebäude mit zirka 2000 Quadratmetern nutzbarer Fläche, grösstenteils für Büro- und Sitzungsräume, sowie einer unterirdischen Verteilerzentrale, wo die Leitungen des Erdsondenfelds zusammenlaufen. Das Labor- sowie das Multifunktionsgebäude, auf dem auch eine Technikzentrale eingerichtet wird, erreichen zusammen ein Volumen von rund 50 000 Kubikmetern.
Ein Parkhaus für rund 260 Fahrzeuge schafft Platz für Begrünungen des Areals. Das Dach und die Südfassade des Parkhauses werden vollflächig mit einer Photovoltaik-Anlage (PV) belegt, die Strom liefern soll, unter anderem für den Betrieb der Kältemaschinen und Wärmepumpen, um die benötigten Temperaturniveaus zu erreichen. Mit Blick auf die Strategie Netto-Null werden zudem laufend auch bestehende Gebäude mit PV-Flächen bestückt.
Im Sommer wird die Abwärme der Kältemaschinen über die Erdsonden ins Erdreich geleitet, der saisonale Erdwärmespeicher wird so gleichsam «geladen». Und im Winter wird die Energie dem Erdreich zum Heizen wieder entzogen; der saisonale Erdwärmespeicher wird «entladen».
Einfluss auf Baudynamik
Die Platzierung des Erdsondenfelds unter die Gebäude stellt wiederum baudynamisch hohe Anforderungen. Denn Erwärmungen und Abkühlungen bei den Lade- und Entladezyklen führen dazu, dass sich das Erdreich im Bereich des Sondenfelds thermodynamischen Gesetzen folgend ausdehnt und wieder zusammenzieht, was Hebungen und Senkungen des Baugrunds zur Folge hat. Die Bewegungen hätten somit auch Einfluss auf die darüber stehenden Gebäude.
Da sich im Laborgebäude der renommierten Forschungsanstalt dereinst hochempfindliche Geräte befinden werden, galt möglichen Bewegungen der Gebäude bei der Planung ein spezielles Augenmerk. Simulationen mit Erdsonden ergaben Maximalwerte von Hebungen und Senkungen des Erdreichs im Bereich von drei Zentimetern.
Basis der Versuchsanordnung bildete allerdings ein freies Feld ohne Überbauung. Bei einem überbauten Erdsondenfeld sind die Hebungen und Senkungen aufgrund des Gebäudegewichts viel kleiner. Die Risikoanalyse kam daher zum Schluss, dass die Bewegungen in diesem Fall nicht signifikant sind und auch langfristig keine grösseren Schäden an den Gebäuden zu erwarten sind.
Quelle: Stefan Schmid
Rund zwei Drittel der Hochtemperatur-Erdsonden befindet sich unter dem Parkhaus. Das ist einmalig in der Schweiz. Weltweit dürfte es nur wenige Erdspeicher ähnlicher Art geben. Mit ihrer Forschung erschliesst die Empa auch unbekanntes Terrain.
Ein Teil der Sonden befindet sich zudem unter dem Parkhaus, bei dessen Nutzung sich weniger hohe Ansprüche an die Baudynamik stellen als beim Laborgebäude, unter welchem keine Erdsonden angeordnet sind. Rund die Hälfte des Parkhauses mit Unter-, Erd- und zwei Obergeschossen ist unterkellert, wobei die Erdsonden aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und der Risikoabwägungen unter den nicht unterkellerten Bereich platziert sind.
Höhere Speichertemperaturen
Eine Besonderheit ist auch der zusätzliche Einsatz von Hochtemperatur-Erdsonden statt der üblicherweise verwendeten Niedertemperatur-Sonden. «Der Unterschied zwischen Nieder- und Hochtemperatur-Erdsonden liegt bei den Temperaturen, die wir ins Erdreich führen, und der Art und Weise, wie wir das System betreiben», sagt der für das Projekt zuständige HLKS-Berater Vlatko Biljaka.
Vorteilhaft ist die Verwendung von Hochtemperatur-Erdsonden deshalb, weil höhere Temperaturen direkt ins Erdreich geführt werden können. Diese Temperaturen können bis zu 60 Grad Celsius betragen, erzeugt werden sie in diesem Fall nicht wie bei den Niedertemperatursonden von Kältemaschinen, die im Sommer zur Kühlung der wissenschaftlichen Geräte auf Hochtouren laufen.
Die höheren Temperaturen werden durch Wärmepumpen erreicht. Die Idee dahinter ist, dass im Sommer mit emissionsarmem PV-Strom Wärme erzeugt werden kann, die über die saisonale Speicherung dann im Winter als nachhaltige Heizwärme genutzt werden kann.
Quelle: Stefan Schmid
Die Sonden werden über horizontale Leitungen zusammengefasst und in den Verteilerraum im Multifunktionsgebäude geleitet. Je nach Energiebedarf können die Sonden einzeln angesteuert sowie zu- und abgeschaltet werden.
Die Einspeisung ins Erdreich erfolgt somit bei rund 60 Grad Celsius. Bei den Niedertemperatur-Erdsonden sind es 38 Grad. In 100 Metern Tiefe bewegt sich die Temperatur des Erdreichs bei 15 Grad Celsius, wobei der Temperaturgradient vom Kern des Sondenfelds gegen aussen kleiner wird. Obwohl von Hochtemperatur die Rede ist, wird konventionelle Technik eingesetzt. Bei den Sonden handelt es sich um Standardausführungen aus Polyethylen mit Durchmessern von 40 Millimetern.
Veredelung bei Entnahme
Die Veredelung der Wärmeenergie erfolgt erst beim Entladen. Im Winter wird dazu dem Erdreich Wärme im Bereich von 15 bis 20 Grad Celsius entzogen, was für die Beheizung der Gebäude natürlich noch nicht ausreicht. Vom Verteilerraum führen die Leitungen daher zur Heizzentrale, wo die Temperatur über eine Wärmepumpe erhöht wird. Nach der Systemtrennung und dem Veredelungsprozess wird schliesslich ein Temperaturniveau von rund 60 Grad erreicht.
Das Erdwärmesondenfeld wird in Abhängigkeit des Leistungsbedarfes auf dem Empa-Gelände be- und entladen. Kalkulationen haben ergeben, dass für Heizzwecke dem Erdreich pro Jahr Wärmeenergie im Umfang von 1300 Megawattstunden (MWh) entnommen werden können. Der Wärmeinput ins Erdreich beträgt pro Jahr 1500 MWh. Als Wärmeträger wird Wasser ohne Frostschutzmittel verwendet.
Quelle: zvg
Gemäss Kalkulationen beträgt der Wärmeinput ins Erdreich bei der Inbetriebnahme pro Jahr 1500 Megawattstunden (MWh). Im Winter können dem Erdreich 1300 MWh für Heizzwecke entnommen und ins Aneregienetz eingespeist werden.
Angeschlossen wird das System an das bestehende Anergienetz
auf dem Empa-Gelände. Bei solchen Netzen handelt es sich um technische
Varianten von Versorgungssystemen, die sowohl Wärme als auch Kälte
bereitstellen können. Das Anergienetz bei der Empa besteht aus einem drucklosen
Leitungsring mit 28 bis 38 Grad warmem Wasser mit Vor- und Rücklauf, was es
ermöglicht, Heizwärme einzuspeisen oder zu beziehen. Über die Wärmepumpe in der
Energiezentrale hängt das Erdsondenfeld am Mitteltemperatur-Anergie-Ring,
sodass mit dem Beitrag aus dem Erdsondenfeld auch bestehende Gebäude beheizt
werden können.
Folgen auch fürs Grundwasser
Speziell ist auch das Erdsondenfeld. Oft führen Erdsonden bei der Nutzung von Erdwärme bis in Tiefen von 200 bis 250 Metern. Das Sondenfeld auf dem Empa-Areal reicht dagegen lediglich bis in eine Tiefe von 100 Metern. Durch die hohe Anzahl von 144 Sonden wird gleichwohl ein grosses Speichervolumen erreicht. Das Erdsondenfeld mit sechseckiger Geometrie umfasst eine Fläche von 60 mal 60 Metern. Die einzelnen Sonden sind in einem Abstand von 4,5 Metern angeordnet und ins durchlässige Erdreich mit Kiesaufschüttungen glaziologischer Epochen abgesenkt.
Quelle: zvg
Die Erdsonden sind in einem Abstand von 4,5 Metern angeordnet. Das Erdsondenfeld mit einer sechseckigen Geometrie hat einen Durchmesser von rund 60 Metern. In der Mitte des Feldes werden höhere Temperaturen erreicht als im Aussenbereich.
Die Baugrundaufnahme mit Probebohrungen bis auf eine Tiefe von 250 Metern zeigte zudem, dass sich das Erdsondenfeld auch in Grundwasserströmungen befindet. Weil sich somit nicht nur das Erdreich, sondern auch das Grundwasser aufwärmen kann, stellte sich im Vorfeld die Frage nach der Bewilligungsfähigkeit. Simulationen haben ergeben, dass die Erwärmung des Grundwassers mit einer mittleren Umgebungstemperatur von Erdreich und Grundwasser bei rund 12 bis 13 Grad Celsius liegt. Schliesslich erteilten sowohl das Bauamt der Stadt Dübendorf als auch das kantonale Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (Awel) die Bewilligung für das Projekt.
Trotz Anwendung bereits bekannter Technologien wagt sich die Forschung mit dem Projekt weit in neues Terrain. «Erfahrungen zum Betrieb gibt es nicht, weil es vergleichbare Anlagen noch nicht gibt», betont Biljaka. Beim Forschungscampus soll daher laufend untersucht werden, welche Parameter auf welche Weise und wie stark den Betrieb und die Versorgungssicherheit beeinflussen.
Anderer Betriebsmodus möglich
Sollte es sich herausstellen, dass es Probleme bei der Versorgungssicherheit gibt oder Risiken entstehen, die man bei der Evaluation und der Planung nicht er-kennen konnte, so lässt sich das System auch bei Normaltemperaturen betreiben. «Allenfalls müssen wir nach fünf bis zehn Jahren beim Betrieb auf Normaltemperatur umstellen», sagt Kevin Olas, der als Projektleiter den Bau begleitet. Das System ist auf eine Weise ausgelegt, dass ein Wechsel auf Normaltemperatur möglich ist. Auf Hochtemperatur umzuschalten geht jedoch nicht. Mit der Option, den Betriebsmodus zu ändern, hat das Projekt für Olas auch experimentellen Charakter.
Quelle: Stefan Schmid
Das Campus-Areal ist sozusagen eine Erweiterung des NEST-Gebäudes (Bildmitte), dessen Nutzung ebenfalls Forschungszwecken dient. Rechts ist das Laborgebäude und hinten die Energiezentrale für das gesamte Empa-Gelände zu sehen.
Anwendungen etwa beim Wohnbau sehen Olas und Biljaka wegen des vergleichsweise geringen Volumens an Abwärme vorerst nicht. Bei Einfamilienhäusern etwa kämen bereits herkömmliche Erdwärmesonden zum Einsatz. Ein System wie bei der Empa könnte ihrer Ansicht nach am ehesten von Industrieunternehmen genutzt werden, bei denen ein Mindestvolumen an Abwärme vorhanden ist.
Im Vergleich günstiger Speicher
Die Investitionen ins Erdsondenfeld und die Kältemaschine samt zugehörigen Apparaturen wie Kältespeicher und Rückkühler belaufen sich auf rund zwei Millionen Franken, wobei Beschaffung und Installation der Wärmepumpe nicht Bestandteil des Projekts sind. Die Baukosten für das Labor- sowie das Multifunktionsgebäude und das Parkhaus betragen gesamthaft rund 94 Millionen Franken, darin enthalten sind ebenso Aufwendungen für die energetische Erschliessung und die Freiraumgestaltung. Geplant ist die Fertigstellung der Überbauung auf Mitte 2024.
Bei den drei Gebäuden, dem Erdsondenfeld sowie der Umgebung und der gesamten Technik handelt es sich um ein ge-meinsames Bauprojekt der Empa und des Wasserforschungsinstituts Eawag, welches auch Teil des ETH-Bereichs ist. Bei der Forschung ist aber einzig die Empa für das Erdsondenfeld zuständig.
Über Amortisationszeiten oder die Lebensdauer der Anlage können die Planerinnen und Planer zurzeit keine Angaben machen. «Es handelt sich um eine Versuchsanlage», betont Olas. Und er zeigt auf das direkt beim Baugrund befindliche NEST-Gebäude, das schon seit Jahren bestehende modulare Forschungs- und Innovationsgebäude der Empa. Mit dem Projekt «Co-Operate» wird nun eine andere Dimension erreicht bei der Grundlagenforschung und der praktischen Anwendung von Energiespeichern.
Beteiligte Unternehmen
- Implenia Schweiz AG (Totalunternehmer)
- Geowatt AG (Simulation Erdsonden)
- Eberhard & Partner AG (Geologie)
- Norline AG (Bohr-Unternehmer)
- Helbling Beratung + Bauplanung AG (Konzept)