15:30 BAUBRANCHE

„Eindrückliche Aussicht – aber eben auch Nachteile“

Die aktuellen Diskussionen um das Bauen in die Höhe beschäftigen sich vornehmlich mit städtebaulichen und marktwirtschaftlichen Fragen, kaum aber mit psychologischen Aspekten des Wohnens und Arbeitens im Hochhaus. Ein Gespräch mit dem Architekturpsychologen Peter G. Richter.

Wie wirkt sich das Wohnen oder Arbeiten in einem Hochhaus auf das psychologische oder physiologische Befinden der betroffenen Menschen aus?

Peter G. Richter: Leider wissen wir darüber viel zu wenig. Es hat aber mit Sicherheit Auswirkungen. Eine Studie über Freizeitmobilität im Hochhaus hat aufgezeigt, dass Bewohner aus den oberen Geschossen an den Wochenenden häufiger mit dem Auto wegfahren oder sonst unterwegs sind, als diejenigen die unten wohnen. Trotz eindrücklicher Aussicht hat das Wohnen in der Höhe eben auch funktionale Nachteile. Vielfach fehlen Terrassen oder Balkone, oder sie sind sehr klein. Es fehlt die Bodenständigkeit. Wenn die Distanz zwischen Strasse und Wohnung zu gross wird und ein relativ langes Verweilen in einem engen Raum wie dem Aufzug notwendig wird – auch ohne stecken zu bleiben –, kann das einen gewissen Stress und Ängste auslösen. Heute wäre es eigentlich möglich, auf diesem Gebiet vermehrt Forschung zu betreiben, denn es gibt genügend Hochhäuser. Weshalb dies bis jetzt nicht gemacht wurde, kann ich nicht genau sagen.

Eignen sich Hochhäuser also eher für Büros?

Sofern die Grundrisse nicht allzu grosse Gebäudetiefen aufweisen, können gut sogenannte Kombibüros eingerichtet werden. Das heisst, im Zentrum befinden sich gemeinsame Bereiche wie Kaffee-Ecken, Gruppenräume und diverse Infrastrukturen, während der Fassade entlang Zellenbüros für eine oder zwei Personen angeordnet werden können. Für das Wohnen wären terrassierte Hochhäuser ideal, doch dies führt zu einem pyramidenförmigen Vertikalschnitt und zu grossen, schlecht nutzbaren Gebäudetiefen in den unteren Geschossen. Wohnen im Hochhaus ist abhängig von der Lebensphase. Es ist nicht geeignet für die «Familienphase» mit Kindern. Andererseits gibt es Leute, die sehr gerne in der Höhe wohnen. Man spricht von ungefähr 10 bis 15 Prozent, genaue Zahlen sind dazu aber nicht bekannt.

Sind Hochhäuser Machtdemonstrationen?

Ja, das sind sie, vor allem Firmensitze. Das BMW-Hochhaus «Vierzylinder» in München oder die Bankenhochhäuser in Frankfurt sind reine Machtdemonstrationen. Sie haben in dieser Hinsicht eine starke symbolische Wirkung. Die oberen Etagen sind meist dem Kader vorbehalten. Das kann so weit gehen, dass diese für die «normalen» Benutzer gar nicht mehr zugänglich sind, weil es spezielle «Kaderlifte» gibt. Grösse ist aber insgesamt ein Ausdruck der Macht, auch wenn die Ausdehnung in der Fläche geschieht, wie bei den grossen Einkaufszentren. Dort ist die Entwicklung in die Höhe weniger geeignet. Das Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer ist ja auch ein anderes als dasjenige zwischen Chef und Angestelltem.

Ist die mit Hochhäusern angestrebte städtische Dichte aus architekturpsychologischer Sicht wünschenswert?

Dichte ja, aber optimierte Dichte. Zuviel Enge, sogenanntes Crowding, hat negative Effekte und kann zu «Cocooning» und Vereinzelung führen. Das heisst, die Menschen ziehen sich in ihren Privatbereich zurück und meiden die Öffentlichkeit. Die Einfamilienhaus-Zersiedlung auf dem Lande kann aber auch nicht die Lösung sein. Es geht also darum, die richtige Packungsdichte zu finden. Das Mehrfamilienhaus ist vom Ansatz her nichts Schlechtes. Der Nachbar als soziales Wesen wird gebraucht. Zusammenhalt kann aber nur in überschaubaren Gruppen entstehen. Es ist deshalb wichtig, Subgruppen zu schaffen, das kann zum Beispiel auf Etagen geschehen. In einem grösseren Massstab gilt Ähnliches für ganze Städte. Eine Stadt wie Dresden – mit einer halben Million Einwohnern – ist zu gross für ein einziges Zentrum. Die Stadt der Zukunft wird deshalb aus einem Konglomerat von lokalen Teilzentren bestehen.

Was sind die Vor- und Nachteile von Hochhäusern?

Die Nachteile sind grösstenteils dieselben, die jedes grosse Mehrfamilienhaus auch hat. Dazu gehört die Anonymisierung und teilweise eine gewisse Verwahrlosung. Das hängt unter anderem mit den fehlenden Übergangszonen zwischen privaten und öffentlichen Bereichen zusammen. Diesen unmittelbaren Wechsel zu vermeiden, ist im Hochhaus nicht ganz einfach. Es fehlt meistens das halböffentliche Territorium. Solche Pufferzonen, auch «verteidigungsfähige» Zonen genannt, werden oft liebevoll gepflegt. Denken Sie beispielsweise an Vorgärten. Generell spricht aber nichts gegen Hochhäuser, solange es sich um moderate Höhen handelt. Extreme Wolkenkratzer, wie man sie in den Emiraten und in Asien antrifft, schätze ich als problematisch ein. Vielleicht könnte das Hochhaus der Zukunft jedoch einen Beitrag leisten zum Zusammenführen von Funktionen. In den heutigen Städten wurden durch die Zonierung die Funktionen Wohnen, Leben und Arbeiten auseinanderdividiert. Dies führt zu innerstädtischem Pendelverkehr und nachts oder an Wochenenden zu ausgestorbenen Gebieten. Mit der Reurbanisierung versucht man heute, diese Funktionen wieder zusammenzubringen. Da könnten Hochhäuser mit gemischten Nutzungen ein möglicher Lösungsansatz sein. (Virginia Rabitsch)

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