Düstere Aussichten für Küstenstädte
Städte wie Istanbul und Los Angeles sind auf unsicherem Grund gebaut. Denn Küstenstädte in der Nähe von tektonischen Verwerfungen haben ein höheres Tsunamirisiko als bisher angenommen. Dies stellten Forscher der University of Texas fest.
Quelle: Piqs.de/carmenmark
Istanbul liegt in einer Gefahrenzone.
Die US-Wissenschaftler kamen bei ihren Forschungen zum Schluss, dass Erdbeben im Meer keine vertikalen Plattenbewegungen auslösen müssen, damit sich ein Tsunami bilden kann. Auch abrutschende Sedimente, die locker an Steilküsten gelagert sind, können eine solche gefährliche Welle auslösen. Die Forschergruppe um Matt Hornbach suchte nach der Ursache des Tsunamis, der beim folgenschweren Erdbeben in Haiti letzten Januar auftrat. Sie analysierten den direkten Ort des Bebens oder vielmehr den Meeresboden nahe der Küste. Dabei zeigte sich, dass durch das Beben lockere Sedimente bei küstennahen Unterwasser-Steilhängen abgerutscht waren und die dortigen Wasserschichten verdrängt hatten. Dieser Umstand löste dann den Tsunami aus.
Hangrutsch-Tsunamis
„Hangrutsch-Tsunamis sind in der Geologie bekannt. Sie können die Höhe eines Tsunamis verstärken oder diesen auch auslösen. Während Erdbeben erst ab Stärke 6,5 zum Tsunami führen können, ist das bei Hangrutschen schon bei Stärke 4,5 bis 5 der Fall“, erklärt dazu Jörn Lauterjung, Seismologe am Geoforschungszentrum Potsdam gegenüber dem News-Service Pressetext. Hangrutsche sind für Tsunami-Frühwarnsysteme, die in erster Linie starke Erdbeben registrieren, ein grosses Problem. „Ihr Eintreten kann man kaum vorhersagen, da dies von der Lage der Sedimente unter Wasser abhängt“, so Lauterjung.
Nicht bekannt war bisher, wie oft solche Hangrutsch-Tsunamis vorkommen. Mittels historischer Vergleichen gelangten die US-Forscher zum Schluss, dass weltweit etwa jeder dritte Tsunami auf solche Rutschungen zurückgeht. Bislang vermutete man, dass dies gerade mal bei jedem dreissigsten der Fall ist. Um das Zehnfache unterschätzt habe man dieses Risiko bisher für die Region Haiti, ähnlich auch für Los Angeles, Istanbul oder die jamaikanische Hauptstadt Kingston, so der Forscher. Alle diese Orte liegen sowohl bei Verwerfungszonen als auch am Meer.
Erdbeben „steht längst aus“
„In Istanbul wie auch in Los Angeles steht ein grösseres Erdbeben längst aus“, so Lauterjung. Weil es in der Nähe beider Städte Verwerfungszonen unter Wasser gebe, sei im Fall eines Erdbebens auch die Auslösung eines Tsunamis möglich. Die seismische Lücke, die Istanbul zur Gefahrenzone macht, liegt im östlichen Teil des Marmara-Meeres. Für Los Angeles sei die Bedrohung durch das Erdbeben selbst noch grösser. Hangrutsche seien auch vor Kalifornien möglich. Diese erforderten jedoch ein sehr starkes Erdbeben. Auf ein solches Ereignis in Kalifornien in den nächsten Jahrzehnten deutet jedoch einiges. Wie Fachzeitschrift „Geology“ berichtet, greifen bisherige Prognosen über Bebenstärken noch zu tief: „Der gesamte 550 Kilometer lange Südteil der St. Andreas-Verwerfung könnte beben. Das würde eine Stärke von 8,1 bedeuten“, schreibt die Studienautorin Lucy Jones vom California Institute of Technology. Das letzte Grossbeben dieser Region im Jahr 1857 verlief nur über 320 Kilometer mit der Stärke von 7,9, weil der südlichste Teil schon 45 Jahre zuvor gebebt hatte. „Wirkt sich die tektonische Kraft über die gesamte Zone aus, bedeutet dies ein deutlich stärkeres und längeres Beben“, so die Forscherin. (mai/mgt)