Diplome für Arbeiter ohne Abschluss
Die Gewerkschaft Travail.Suisse will Angestellten ohne Ausbildung einen nachträglichen Berufsabschluss ermöglichen. Mit jedem Diplom könnten soziale Kosten zwischen 100'000 und 210'000 Franken eingespart werden, rechnet sie vor.
Diesen Leuten will die Gewerkschaft ein nachträgliches Diplom ermöglichen - und zwar nicht auf dem klassischen Weg einer Lehre, sondern über die sogenannte Validierung ihrer Fähigkeiten. Das Verfahren wird heute bereits in 13 Kantonen für eine eingeschränkte Berufsauswahl angeboten.
Travail.Suisse fordert, dass in den nächsten zehn Jahren mindestens 30'000 Erwerbstätige den Berufsabschluss auf diesem Weg nachholen können, wie Präsident Martin Flügel am Dienstag vor den Medien in Bern sagte.
Gegen den Fachkräftemangel
Dadurch werde nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen verbessert, die Schweiz könne sich auf diesem Weg auch gegen den drohenden Fachkräftemangel wappnen und eine Menge Geld sparen. Um diese nachträglichen Berufsabschlüsse zu ermöglichen, brauche es das Bekenntnis von Bund und Kantonen, sagte Flügel. Travail.Suisse möchte ein solches am liebsten im neuen Weiterbildungsgesetz festschreiben. Zu dem Gesetz läuft noch bis Mitte April die Vernehmlassung. Läuft alles nach Plan, tritt es 2014/2015 in Kraft.
Kritik am Weiterbildungsgesetz
"Der Gesetzesentwurf des Bundesrates ist unmotiviert und unspektakulär", kritisierte Bruno Weber-Gobet, der bei Travail.Suisse für Bildungspolitik zuständig ist. Die Gewerkschaft will nach eigenen Angaben nun zuerst das Gespräch mit Bildungsminister Johann Schneider-Ammann suchen. Findet sie dort kein Gehör, sollen es die Parlamentarier richten. Um den Vorschlägen Nachdruck zu verleihen, liess Travail.Suisse von Wissenschaftlern der Berner Fachhochschule für Soziale Arbeit die Möglichkeiten der Nachholbildung abklären.
"Ein fehlender Lehrabschluss eines 30-Jährigen kostet die Gesellschaft rund 180'000 Franken", sagte Studienautor Tobias Fritschi vor den Medien. Menschen ohne Ausbildung seien überdurchschnittlich oft von der Sozialhilfe oder der Invalidenversicherung abhängig, zudem seien sie häufiger von Kündigungen betroffen, begründete er die Kosten.
Abschluss kostet 8000 Franken
Ein nachträglicher Berufsabschluss über die Validierung der Fähigkeiten koste hingegen im Durchschnitt bloss 8000 Franken. Dafür kommen gemäss den Forschern allerdings nur Arbeitnehmende in Frage, die bereits mindestens fünf Jahre im gleichen Betrieb arbeiten. Die nicht-anerkannten Berufsleute, denen teilweise auch ein Schulabschluss fehlt, müssen beim zuständigen Kanton eine Art Bewerbungsdossier einreichen. Die kantonalen Fachleute klären darauf ab, welche Kurse oder Fähigkeiten die Bewerber sich noch aneignen müssen, damit sie zum Beispiel als ausgebildeter Maurer anerkannt werden. Travail.Suisse will das bestehende System der nachträglichen Validierung deutlich ausbauen. Zurzeit bieten erst 13 Kantone selber das Verfahren an, andere Kantone leiten die Anträge weiter.
Auch das Berufsangebot ist mit sieben Berufen - darunter Kaufmann, Fachangestellte Gesundheit oder Logistiker - noch klein. Für einige weitere Berufe laufen Pilotversuche. 2010 erhielten über den Weg der Validierung rund 500 Personen ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis.
(sda)