Die „Seerose“ von Marmorera
Eine besondere Pflanze blüht ab 2013 auf dem Julierpass: Mit „Waterlily“ (Seerose) installieren das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz) und die auf Photovoltaik spezialisierte Firma HydroSun AG im Marmorera-See eine schwimmende Solaranlage.
Quelle: zvg
Von der Optik her hat die "Waterlily" wenig mit einer Pflanze gemein.
Die geplante Solarstrominsel sei keine Konkurrenz zur Photovoltaik auf Dächern und Fassaden, sagt Thomas Nordmann, Verwaltungsratspräsident der HydroSun. Vielmehr wolle man eine zusätzliche Solarstromanwendung etablieren. Mit grossen schwimmenden Solaranlagen auf Stauseen lässt sich die Stromproduktion laut Nordmann nachhaltig steigern - ohne dass dafür etwa Staumauern erhöht werden müssen. Auf dem Sihlsee würde beispielsweise eine Modulfläche von zwei Quadratkilometern ausreichen, um die Stromproduktion von 260 Millionen Kilowattstunden (kWh) zu verdoppeln. Deshalb ist Nordmann überzeugt, dass grosse Photovoltaikanlagen auf Stauseen einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten könnten. Gemäss ewz und von der HydroSun haben Studien gezeigt, dass das Solarstrahlungsangebot an geeigneten Standorten in den Schweizer Alpen bis zu 1.6 mal höher als im Mittelland ist.
400 Quadratmeter auf den Wellen
Die geplante Anlage hat eine Nennleistung von rund 50 Kilowatt (kW) und eine Fläche von 400 Quadratmetern. Die schwimmende Plattform soll jährlich zwischen 60'000 und 90'000 Kilowattstunden (kWh) Strom produzieren, davon 40 Prozent während des Winterhalbjahrs. Dies entspricht etwa dem Energieverbrauch von zehn Haushalten.
Technisch sei die schwimmende Solarstrominsel machbar, erklärt der auf Photovoltaik-Anlagen spezialisierte Ingenieur Josef Kurath. Die Herausforderungen seien aber gross. Schliesslich muss die „Waterlily“ auch bei Wind und Wetter den besonderen Gegebenheiten in den Alpen standhalten. Zusätzlich muss sie im gefrorenen Stausee und bei schwankendem Wasserspiegel funktionieren. Darum wird die Anlage auf einen so genannten Tauchschwimmer montiert, der sich einige Meter unter dem Wasserspiegel befindet und auf dem Seegrund verankert ist. Bei Schneefall können die Solarpanels mit einem Kippmechanismus senkrecht gestellt werden. Dank eines Drehmotors am Kopfende, können sich die Module nach dem Sonnenstand von Osten nach Wesen richten. Auf diese Weise lässt sich laut Kurath der Solarstromertrag fast um den Faktor 1,8 steigern.
Steht die Anlage, ist sie während fünf Jahren Betrieb, 2017 wird sie wieder rückgebaut. Laut der HydroSun hinterlässt sie keine Spuren im See. Die Kosten belaufen sich auf rund einer Million Franken. Die Finanzierung sei noch nicht gesichert, sagte Nordmann. Allerdings erhofft man sich bei der HydroSun, dass sich der Bund und die Stadt Zürich am Pilotprojekt beteiligen werden. Das ewz, das seinen Stausee als „Schwimmlehrbecken“ zur Verfügung stellt, sei sehr interessiert am Pilotprojekt, sagte Michael Roth, Leiter Produktion und Handel.
Der Versuchsbetrieb, wird von einem umfangreichen Mess- und Beobachtungsprogramm begleitet. Damit werden neben dem technischen Betrieb auch die Umweltverträglichkeit und die Synergieeffekte beim Parallelbetrieb mit dem bestehenden Wasserkraftwerk unter die Lupe genommen.
Mulmige Gefühle
Das für die Solarstrominsel nötige Baugesuch wurde bereits bei der Gemeinde Marmorera eingereicht. Wird das Pilotprojekt bewilligt, kann die Anlage nächstes Frühjahr installiert werden. Parallel dazu soll mit zwei weiteren Anlagen auf unterschiedlichen Meereshöhen weitere Erfahrungen gesammelt werden. Um welche Stauseen es sich handelt, wollte Nordmann nicht sagen.
Ob die "Seerose" Rückhalt in der Bevölkerung hat, wird sich in nächter Zeit herausstellen: Er habe ein mulmiges Gefühl gehabt, als er vom Projekt auf dem Stausee gehört habe, sagte René Müller, Gemeindepräsident von Mormorera. Noch sei nicht vergessen, dass das alte Dorf unter dem Stausee liege. An einer Orientierungsversammlung sei aber eine positive Grundstimmung spürbar gewesen. (mai/sda)