Der moderne Baumeister ist ein antiker Baumeister
Seit 40 Jahren bin ich nun schon im Baugewerbe tätig. In dieser Zeit wurde die Branche von nicht weniger als vier Krisen erschüttert. Die Diskussionen waren jedes Mal die gleichen: Es gibt zu viele Unternehmen und zu hohe Kapazitäten. Doch was passierte? Zwar verschwand in der Baubranche in den 1990er-Jahren die Hälfte der Arbeitsplätze. Die Zahl der Unternehmen aber blieb praktisch gleich. Mit anderen Worten: Die Struktur der Baubranche änderte sich über Jahrzehnte hinweg kaum.
Der grosse Wandel fand in der Bauwirtschaft an einem andern Ort statt. Nämlich bei den Bauprozessen und in der Rangordnung der Akteure. Wie war es früher? In der Antike oder im Mittelalter wurden grosse Bauwerke mit vergleichsweise geringem theoretischen Wissen – von einigen rudimentären Geometrie- und Mathematikkenntnissen abgesehen – durch die Meister des Handwerks errichtet. Die Baumeister von damals verfügten über einen ausserordentlichen Erfahrungsschatz. Das Wissen der Baukunst entwickelten sie selber weiter und behielten es in ihren Kreisen. Es gehörte ihnen exklusiv.
Das wirtschaftliche Wachstum und der technische Fortschritt in den letzten 150 Jahren brachte es aber mit sich, dass die Kunst des Bauens über den engen Zirkel der Bauleute hinaus bekannt werden musste. Aufgabenteilung und Spezialisierung waren die Folge. Dies veränderte das Verhältnis zwischen Bauherrschaft und Bauunternehmer grundlegend: Der Bauherr wandte sich nunmehr an einen Planer – einen Architekten oder Ingenieur – der ein Bauwerk bis ins Detail plante und dann standardisierte Leistungsverzeichnisse an die Unternehmer weiterreichte. Den Unternehmern blieb einzig die Aufgabe, für einen effizienten Bauablauf und tiefe Preise zu sorgen. Jeglicher Ideenwettbewerb wurde unterbunden. Diesen Zustand, hier etwas überspitzt dargestellt, kennen wir noch heute. Ich nenne dieses eher technokratische System das «System SIA».
Seit geraumer Zeit glaube ich, bei der Baubranche einen erneuten Wandel beobachten zu können. Auf der Suche nach mehr Wertschöpfung haben sich die Bauunternehmen nämlich immer mehr mit Planungsbüros und technischen Abteilungen verstärkt. Diese Kompetenzverlagerung von den Planern hin zu den Unternehmen machte aus letzteren verlässliche Partner für den gesamten Bauprozess. Also auch für die Projektierungsphase.
Eine Revolution in der Bauwirtschaft also? Nicht wirklich. Viel mehr ist es eine Rückkehr zu den Anfängen und eine Entwicklung, die es erlauben wird, besser, termingerecht und günstiger zu bauen.
Michel Buro, Präsident Fachverband Infra