Der Blick ins Ungewisse
Ein Computermodell, das künftige Folgen menschlicher Entscheidungen auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft aufzeigt: Diesen Menschheitstraum wollen Wissenschaftler nun verwirklichen. Das Pilotprojekt wurde diese Woche in Budapest offiziell gestartet.
Quelle: zvg
Künftig sollen die Menschen wissen, welche Konsequenzen ihr Handeln auf die Erde hat.
Das ist der Menschentraum schlechthin: Eine Wahrheitskugel, mit der man in die Zukunft blicken kann. Zumindest für die Entwicklung der Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft könnte dieser Wunsch in Erfüllung gehen. Denn Wissenschaftler der ETH Zürich unter der Leitung des Komplexitätsforscher Dirk Helbing wollen mit hunderten weiteren Forschern ein Computermodell schaffen, mit dem die Folgen menschlicher Entscheidungen auf die Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft im globalen Massstab mit Wechselwirkungen von zehn Milliarden Menschen simuliert werden können, den „Living Earth Simulator“. Das Projekt ist auf grosse Zustimmung gestossen, sodass es zu den sechs aussichtsreichsten Kandidaten für Fördergelder im Umfang von einer Milliarde Euro gehört. Mit diesem Geld will die EU in den in den nächsten zehn Jahren eine Flaggschiff-Forschungsinitiative für Zukunftstechnologien finanzieren. Das Pilotprojekt wurde diese Woche in Budapest offiziell gestartet.
„Folgen sind nicht mehr überschaubar“
Das Simulieren von Vorgängen ist aber nicht neu, sondern kennt man bereits seit der Wettervorhersage. Wie der Züricher Komplexitätsforscher Dirk Helbing, der das Projekt wissenschaftlich leitet, erklärt übertragen die Forscher „in gewisser Weise dieses Prinzip auf gesellschaftliche Vorgänge. Längst wird überall simuliert - von der Autobranche bis zur Medikamentenentwicklung. Das könnte der vom FuturICT entwickelte Living Earth Simulator bald auch für Politik und Wirtschaft möglich machen." Denn der Bedarf nach der Analyse sei dringender denn je zuvor, seien die Folgewirkungen des menschlichen Verhaltens ständig komplexer. "Unsere zunehmende globale Vernetzung erzeugt immer neue Abhängigkeiten. Diese verursachen Rückkoppelungs- und Dominoeffekte, die kaum mehr überschaubar sind und unsere Intuition überfordern. Wo wir nicht ausreichend auf Erfahrung bauen können, brauchen wir neue Ansätze, um unser globales technisch-sozio-ökonomisches System und seine Entwicklung besser zu begreifen", betont Helbing.
Bei Fussgängern hat es geklappt
Das FuturICT-Konzept beruht auf der Einbindung von interdisziplinären Kompetenzzentren zur Krisenbeobachtung, die Warnzeichen früh erkennen und Lösungsoptionen erarbeiten sollen. Vorhandenes Theoriewissen wird dabei durch Data Mining und massive Computersimulationen erweitert. Bei Fussgängern oder Autofahrern gelang dies dem Team um Helbing schon äusserst erfolgreich, auch bei Meinungsbildung und Kollektivverhalten würde es Fortschritte geben. "Eines Tages wird man die Regeln menschlicher Koordination, Kooperation, sozialer Normen und Konflikte verstehen – zwar nicht das Verhalten des Einzelnen, aber zumindest die statistischen Gesetzmässsigkeiten", so Helbing.
Um zu untersuchen, wie bis zu zehn Milliarden Menschen miteinander interagieren, wird der Living Earth Simulator mit frei oder kommerziell verfügbaren Echtzeit-Daten gefüttert. "Der Fokus liegt hier allein bei den großen Zusammenhängen, nicht beim Verhalten des Individuums", betont Helbing. Veröffentlicht würden die Forschungsergebnisse mit grösstmöglicher Transparenz, analog dem Open-Source-Prinzip. (ffi/mgt)
Linktipps: Website zum Projekt: www.futurict.ethz.ch; Artikel auf www.ethlife.ch