09:07 BAUBRANCHE

Chinas Grossstädte sinken laut Studie stetig ab

Geschrieben von: Pascale Boschung (pb)
Teaserbild-Quelle: Freeman Zhou, unsplash

Der Boden unter vielen Städten in China sinkt stetig ab, bei rund 45 Prozent mehr als drei Millimeter pro Jahr. Dies zeigt eine neue Studie. Die Autoren bringen die Senkungen mit mehreren Faktoren in Verbindung, darunter die Entnahme von Grundwasser und das Gewicht von Gebäuden. 

Blick auf Shanghai

Quelle: Freeman Zhou, unsplash

Chinas Grosstädte sinken stetig ab. Im Bild: Shanghai.

China erlebt seit Jahrzehnten eine massive Landflucht. Laut einer Erhebung der Weltbank lebten im Jahr 1980 bereits 19 Prozent der Bevölkerung in Städten. Innert 20 Jahren stieg der Anteil auf 36 Prozent und 2021, wiederum zwei Jahrzehnte später, wohnten 63 Prozent der Chinesinnen und Chinesen in Städten. Das sind gewaltige Zahlen, wenn man bedenkt, dass Stand 2022 insgesamt 1,4 Milliarden Menschen im Land lebten. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, setzt die Regierung auf den Bau von Entlastungsstädten – erweiterte oder neu gegründete Siedlungen an den Stadträndern oder im Umland, die die riesigen Kernstädte von der enormen Zuwanderung entlasten sollen. 

Ein Beispiel dafür ist der neue Stadtbezirk «Xiong’an», der seit 2017 im Osten von Baoding in der Provinz Hebei gebaut wird. Die dereinst 2000 Quadratkilometer grosse Planstadt, soll das rund 100 Kilometer entfernte Peking von der Zuwanderung entlasten. Die geplante Einwohnerzahl: bis zu 2,5 Millionen Menschen. Neben «Xiong’an» gibt es zudem zahlreiche weitere geplante oder bereits im Bau befindliche Retortenstädte. Die «Nanhui New City» etwa, eine Hafenstadt, die dem enormen Bevölkerungswachstum in Shanghai entgegentritt. Sie umfasst eine Fläche von rund 74 Quadratkilometern und soll im Endausbau Platz für 800'000 Menschen bieten. 

Bodenstabilität wird untergraben 

Dieser massive Städtebau hat aber auch Folgen: Zahlreiche Hochhäuser und Bauten schiessen in relativ kurzer Zeit in die Höhe, das Strassennetz wird massiv ausgebaut und das Grundwasser in rasantem Tempo genutzt. Während all diese Baumassnahmen Millionen Menschen ein modernes Leben ermöglichen, können sie gleichzeitig die Stabilität des Bodens untergraben. Die Folge sind grossflächige Bodensenkungen. Dass dies eine reale Bedrohung ist, zeigt ein Forschungsteam um Zurui Ao von der South China Normal University in Foshan in einer neuen Studie, die kürzlich im Fachmagazin «Science» veröffentlicht wurde. 

In den letzten Jahrzehnten hätten die durch Bodensenkungen verursachten Katastrophen in China einen jährlichen, direkten wirtschaftlichen Schaden von mehr als 7,5 Milliarden Yuan (964 Millionen Franken) verursacht, schreiben die Forscher. Solche Ereignisse seien in China aber nicht neu, wie betont wird. «Bereits in den 1920er-Jahren gab es erste Anzeichen für Bodensenkungen in Shanghai und in Tianjin.» Die negativen Folgen davon seien sowohl in Küsten- als auch in Binnenstädten beobachtet worden. 

Allerdings war eine systematische Bewertung dieser Vorkommnisse bislang nicht möglich, da sich vorhandene Untersuchungen hinsichtlich des Zeitrahmens und der Methodik unterschieden, wie die Autoren schreiben. Ausmass, Muster oder Geschwindigkeit dieser Senkungen waren deshalb bisher genauso unklar, wie der konkrete Anteil der städtischen Bevölkerung im Land, der davon betroffen sein könnte. Diesem Aspekt haben sich die Forscher angenommen. 

Grafik Bodensenkungen Grossstädte China

Quelle: Zurui Ao et al.

Nationales Muster des Absinkens von Städten in China: Von den untersuchten Gebieten sinken 45 Prozent schneller als drei Millimeter pro Jahr.

Mithilfe eines weltraumgestützten Radarinterferometers nahm das Team eine systematische Bewertung der Bodensenkungen in 82 chinesischen Grossstädten im Zeitraum zwischen 2015 und 2022 vor. Analysiert wurden alle Städte mit mehr als zwei Millionen Einwohnern, alle Provinzhauptstädte sowie wichtige Industriestädte – im untersuchten Zeitrahmen lebten hier gemäss der Studie bereits rund 74 Prozent der Bevölkerung. Für die Bewertung wurde ein standardisiertes «InSAR»-Verfahren genutzt – eine satellitenbasierte Methode, die präzise Höhenmodelle liefert. Mit der Überlagerung von gleichzeitig erstellten Radarbilderpaaren (Interferoprogrammen) lassen sich Karten fertigen, die Aussagen zu Landabsenkungen im Millimeterbereich ermöglichen. Validiert wurden die Daten anhand von GNSS-Bodenmessungen (Global Navigation Satellite System). 

Auf diese Weise eruierten die Forscher das Ausmass der Stadtsenkungen und ermittelten landesweit ihr Muster. Von den untersuchten Gebieten senken sich demnach 45 Prozent schneller als drei Millimeter und 16 Prozent schneller als zehn Millimeter pro Jahr ab. Davon betroffen sind 29, respektive sieben Prozent der Stadtbevölkerung. Stand 2020 lebten den Forschern zufolge insgesamt 920 Millionen Menschen in den städtischen Gebieten Chinas – davon geschätzt etwa 270 Millionen auf sinkendem Boden. Besonders bedroht sind zudem dicht besiedelte Küstenregionen. Die Autoren prognostizieren, dass dort wegen des zusätzlich zu den Bodensenkungen hinzukommenden, steigenden Meeresspiegels, in den nächsten 100 Jahren etwa ein Viertel der Flächen unter dem Meeresspiegel liegen könnte. 

Bodensenkungen in Kpstenregionen in China

Quelle: Zurui Ao et al.

Anteil der städtischen Flächen in Küstenregionen, die in den nächsten 100 Jahren in vier Szenarien unter dem Meeresspiegel liegen werden.

Schwere Bauten sinken weniger 

Neben dem Muster dieser grossflächigen Ereignisse identifizierte das Team auch mehrere natürliche und menschliche Faktoren, die Senkungen begünstigen, darunter die Entnahme von Grundwasser und das Gewicht der Gebäude. «Der erste Faktor ist das geologische Umfeld unter der Stadt», heisst es in der Studie. So konnten die Forscher einen deutlichen Unterschied in der Tiefe des Untergrunds zwischen mässig und schnell absinkenden Gebieten beobachten, was den Einfluss der Geologie verdeutlicht. In einem engen Zusammenhang mit den geologischen Gegebenheiten stehe das Gewicht von Gebäuden, das einen geostatischen Druck auf den städtischen Untergrund ausübe. 

Dieser Druck könne sowohl elastische Veränderungen im tieferen Gestein und in der Kruste, als auch eine unelastische Festigung des flacheren Sediments bewirken. Erstere seien in der Regel gering, während letztere vor allem in den ersten Jahren nach dem Bau erheblich sein könnten. Ein solches Phänomen wurde auch beobachtet: «Je später das Gebäude gebaut wird, desto schneller ist die Senkung.» Gebäude mit Baujahr 2017 sinken also generell weniger schnell als jene mit Baujahr 2021. Weiter stellte das Team fest, dass schwerere Gebäude tendenziell langsamer absinken. Dies möglicherweise, weil die Bauten auf tieferem Felsen verankert sind und daher weniger zum Absinken neigen. Diese Hypothese konnte gemäss der Studie durch die am Boden aufgezeichneten Daten zur Tiefe der Pfahlgründungen in Shanghai bestätigt werden. 

Ein weiterer wichtiger Faktor ist laut den Autoren der Grundwasserverlust: Er senkt den Porendruck und verdichtet den Untergrund. Dies kommt weltweit vor, etwa in Houston in den USA, Mexiko-Stadt oder in Delhi in Indien. Und auch China ist hier keine Ausnahme. Die Forscher haben mit einer Datenbank aus 1619 Grundwasserüberwachungsbrunnen im Land einen weit verbreiteten Einfluss von Grundwasserveränderungen auf die Senkungen festgestellt. Die meisten davon waren menschlichen Ursprungs. Im Rahmen eines staatlichen Projekts wurde zum Beispiel in Nordchina Wasser aus dem Jangtse in die nördlichen Städte geleitet. Damit wurde der Grundwasserspiegel angehoben und das Absinken der Städte stabilisiert, etwa in Peking. 

Faktoren für Bodensenkungen in Grosstädten China

Quelle: Zurui Ao et al.

Schematische Darstellung der Faktoren, die potenziell zur Senkung von Städten beitragen.

Kontrolle der Grundwasserentnahme 

Weitere Faktoren, die sich auswirkten, aber nicht überall beobachtet wurden, waren die städtischen Verkehrssysteme. Diese verursachen laut den Forschern durch wiederholte, dynamische Belastung des Grundes und durch Vibrationen eine Verdichtung des Untergrunds und des Gleisbetts, was zu Setzungen beitragen kann. Weiter treten Landabsenkungen auch in Öl- und Gasfördergebieten auf, in denen sich der Flüssigkeitsdruck verringert und das Gestein der Lagerstätte verdichtet. Zu guter Letzt hat wohl auch der Untertagebau entsprechende Folgen, da damit Leerräume geschaffen werden und der Grundwasserspiegel damit häufig sinkt. 

«Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, die Schutzmassnahmen zu verstärken, um mögliche Schäden durch Senkungen zu mindern», halten die Autoren fest. Global habe sich eine langfristige und nachhaltige Kontrolle der Grundwasserentnahme, wie sie in Tokio und Osaka praktiziert werde, als erfolgreich erwiesen. Laut den Forschern könnte das auch in China dazu beitragen, die Absenkungsrate zu stabilisieren. Die Regierung habe denn auch bereits Massnahmen ergriffen, um das Absinken der Städte einzudämmen, darunter die Kontrolle der Grundwasserentnahme und ein Wassertransfer zwischen den Einzugsgebieten.

«Die wirksame Bewältigung des Problems der Stadtsenkungen erfordern gemeinsame und koordinierte Anstrengungen der Beteiligten auf verschiedenen Ebenen», heisst es im Schlusswort. Vor diesem Hintergrund werden die im Zuge der Studie erarbeiteten Karten nun der Forschungsgemeinschaft, politischen Entscheidungsträgern und Bauingenieuren zur Verfügung gestellt. 

Literaturhinweis

A national-scale assessment of land subsidence in China’s major cities

Zurui Ao, Xiaomi Hu, Shengli Tao, Xie Hu, Guoquan Wang, Mingjia Li, Fang Wang, Litang Hu, Xiuyu Liang, Et. Al.

Science, DOI: 10.1126/science.adl4366

Sinkende Küstenmetropole

In einigen Mega-Agglomerationen wie in Hong-Kong oder Shanghai wird die Netto-Entnahmerate von Grundwasser inzwischen gut gesteuert, heisst es in einem Beitrag der Earth System Knowledge Platform (ESKP), einer früheren Wissensplattform der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren. Im Zentrum der Metropolregion Shanghai, im Mündungsgebiet des Jangtse, ist die Entnahmerate seit den 1980er-Jahren zwar konstant, der Trend zur Bodenabsenkung setzt sich aber fort. In den 1990er-Jahren wurden laut ESKP viele Arbeiten im Untergrund in einer einzigen Grundwasserschicht durchgeführt, die als Multi-Aquifer-Aquitard System (MAAS) bezeichnet wird. Aquifere führen das Grundwasser, Aquitarde sind schwach durchlässig für Grundwasser. 

Wasser- oder Gasleitungen, elektrische Kabel, Tunnel für Metrolinien aber auch Fundamente für Hochhäuser beeinflussen den natürlichen Grundwasserfluss. Die trennenden Effekte in grundwasserführenden Schichten seien ein wesentlicher Grund für das erneute Absinken des Grundwasserspiegels, welcher zu Bodenabsenkungen führe. Grundwasser entweiche aber auch ungewollt. Es sickert beispielsweise langsam in Tunnelsysteme und geht dadurch dem natürlichen Kreislauf verloren. Oberirdisch drückt zudem die immense Auflast der Gebäude auf die Böden und verfestigt sie. Laut ESKP wird heute relativ deutlich sichtbar, dass seit den 1990er-Jahren vor allem auch Untergrundstrukturen mit all ihren Folgen für den Grundwasserfluss das Absinken der Grossstadt Shanghai verursachen. (Text: eskp.de, CC BY 4.0 / Bearbeitung: pb) 

Bodensenkungen ein globales Problem

Bodensenkungen sind weltweit bekannt. Zwar ist laut diversen Untersuchungen der asiatische Raum besonders stark davon betroffen, die Ereignisse kommen aber auch in anderen Ländern vor. Im Jahr 2021 machten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Spanischen Instituts für Geologie und Bergbau in einer Studie anhand von Berichten rund 200 Gebiete in 34 Ländern aus, die stark vom Absinken des Bodens betroffen sind. Die Autoren ziehen ein ähnliches Fazit, wie jene der chinesischen Studie. Das Team machte zwei Hauptgründe aus. Zum einen die Beschaffenheit des Untergrunds, da sich einige Gebiete in grossen Flussdeltas befinden – zum Beispiel in Vietnam, Ägypten oder den Niederlanden – oder aber in Sedimentbecken im Landesinneren liegen, wie Mexiko und Iran. Zum anderen tritt das Phänomen laut den Forschern primär dort auf, wo die Bevölkerungsdichte gross und der Wasserbedarf hoch ist. Denn wird viel Wasser aus unterirdischen Speichern entnommen, fehlt es im Untergrund und lässt den darüberliegenden Erdboden absacken. Und dadurch können sich die wasserführenden Schichten dauerhaft für die Wiederbefüllung durch Niederschläge schliessen. (pb) 

Die Studie erschien 2021 im Fachmagazin «Science». DOI: 10.1126/science.abb8549

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Redaktorin Baublatt

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