Biber und Dachs: Baumeister oder Plagegeister?
Der eine gräbt weitverzweigte Höhlen im Untergrund, der andere legt Dämme an. Seit sich die Bestände des Dachses und Bibers erholt haben, nehmen die Konflikte mit Menschen zu. Untergrabene Wege und überflutete Felder beschäftigen immer öfters Behörden und Gerichte.
Quelle: 272447, Pixabay, Public Domain-ähnlich
Der Biber kann einen langweiligen Kanal in eine paradiesische Feuchtgebietslandschaft verwandeln.
Er ist der König der Unterwelt und der Meister des Tiefbaus. Mit seinen ausgesprochen lang ausgebildeten Krallen an den Vorderpfoten kann der Dachs unterirdische Höhlen mit mehreren Gängen, Kammern und Eingängen graben. In Grossbritannien wurde ein Dachsbau vermessen, der 50 Kammern und 178 Eingänge aufwies, die durch insgesamt 879 Meter Tunnel miteinander verbunden waren Ein untersuchter Bau in Niedersachsen mass etwa 2500 Quadratmeter, verfügte über 93 Löcher sowie 29 Kessel und wies insgesamt 219 Meter an Röhren und Gängen auf. Dafür mussten etwa 13 Kubikmeter Boden bewegt werden.
Seine weitverzweigten Behausungen baut Meister Grimbart, wie er in der Fabelwelt heisst, am liebsten in einen Hügel oder in die Wand einer Anhöhe. Die Tiere mit der schwarz-weissen Gesichtsmaske können dort leichter tief in die Erde hinein graben als in flachem Gelände. Mit den Vorderpfoten wühlen sie die Erde auf, die sie dann mit den Hinterbeinen nach hinten und weiter ins Freie befördert. Dachsbaue können mehrere 100 Jahre alt sein. Eine Generation nach der anderen buddelt Tunnel, Eingänge, Luftröhren, Wohnkammern, oft sogar in mehreren Stockwerken. Über Jahrzehnte bauen die Dachse die Behausung aus, in die auch Füchse, Wildkaninchen und im Winter sogar Frösche mit einziehen.
Bauherr, Landschaftsarchitekt und Holzfäller in einem ist der Biber. Seine übergrossen Zähne sind der Traum jedes Heimwerkers: Sie schärfen sich selbst und wachsen ein Leben lang. Der Biber erreicht damit eine Beisskraft von von 735 Newton pro Quadratzentimeter – der Mensch schafft gerade 490. Einen Baum von 30 bis 40 Zentimeter Stammdurchmesser beisst ein Biber ohne weiteres in einer Nacht um. Wie eine Sanduhr sieht der rundum abgenagte Stamm aus – dann fällt er.
Quelle: BadgerHero, CC BY-SA 3.0, Wikimedia Commons
Der Dachs kann unterirdische Höhlen mit mehreren Gängen, Kammern und Eingängen graben. Dachsbaue können mehrere 100 Jahre alt sein.
Für Dammbauten bekannt
Bekannt ist Meister Bockert, wie er in einigen Fabeln genannt wird, für seine Dammbauten. Der vermutlich weltgrösste Biberdamm in Alberta in Nordwestkanada ist 850 Meter lang. Wahrscheinlich haben viele Generationen über Jahrzehnte an diesem Damm gearbeitet. Der Biber legt bei Gewässern mit einem stark schwankenden Wasserstand einen Damm an, damit die Eingänge zu seiner Burg nicht plötzlich trocken fallen. Wenn die Eingänge immer unter Wasser liegen, haben es ungebetene Gäste schwer, in den Bau zu gelangen.
Beim Dammbau zeigt der Biber sein Können als Baukünstler. Der Nager steckt Zweige und Stämme senkrecht in den Grund des Bachs und beschwert und befestigt sie mit Steinen, Schlamm, Schilf und was ihm sonst zwischen die Pfoten kommt. Oft benutzt er auch einen über den Fluss gestürzten oder einen angeschwemmten Baum als Halt, um ihn allmählich zu einem Damm auszubauen. Die angeschleppten Stämme und Äste werden dann zur Abdichtung mit Schlamm verkleistert. Schlamm befördert der Biber mit seinen Vorderbeinen, die er dabei wie Hände benützt, Äste und Stämme schleppt er mit den Zähnen.
Mit solchen Dämmen sind Biber in der Lage, ein Gewässer mehr oder weniger zu regulieren. Bei Hochwasser und Überschwemmungsgefahr für den Wohnkessel entfernen sie die obersten Äste des Damms, damit mehr Wasser ablaufen kann. Bei Wassermangel erhöhen sie den Damm, bis schliesslich fast kein Wasser mehr abfliesst. Mit seinem Heim ist ein Biber nie zufrieden. Ständig werkelt er an einer Ecke etwas, baut neue Äste und Zweige ein, vergrössert und verändert. Nicht von ungefähr sagt man manchmal von einem betriebsamen Menschen, er arbeite wie ein Biber.
Biber sind die einzigen Tiere, die ihren Lebensraum selbst gestalten. Mit ihren Grab- und Stauarbeiten sind die Vierbeiner für den Naturschutz willkommene Helfer bei der Renaturierung von Bächen und Flüssen. Sie können einen langweiligen Kanal in eine paradiesische Auenlandschaft verwandeln und damit neuen Lebensraum für eine Vielzahl von Insekten, Amphibien, Fischen und Vögeln sowie für seltene Pflanzenarten schaffen. So erhöhen sie die Artenvielfalt.
Quelle: Bernd Peters, pixelio.de
Die Biber sind in der Forstwirtschaft sind die Biber unbeliebt. Obwohl sie meist jüngere Bäume nutzen, nagen sie teilweise auch ausgewachsene Bäume an und legen sie um.
Bei Landwirten unbeliebt
Für seine Dammbauten ist der Biber nicht nur berühmt, sondern auch berüchtigt. Wenn er Gewässer staut, werden benachbarte flache Uferbereiche oder landwirtschaftliche Flächen überflutet. Gefährlich wird es, wenn Strassen oder Landwirtschaftsland dem Wasser nahe kommen: Weil die Biber im weichen Uferboden ihre Wohnkessel bauen, können Strassen, Wege und Ackerland unterhöhlt werden.
Wird der Druck von oben zu gross, brechen die Höhlen ein. Fährt beispielsweise ein Traktor über einen Feldweg, unter dem sich ein Biberbau verbirgt, kann die Strasse einstürzen. Im schlimmsten Fall endet das für Mensch und Biber tödlich. Auch in der Forstwirtschaft sind die Biber unbeliebt. Obwohl sie meist jüngere Bäume nutzen, nagen sie teilweise auch ausgewachsene Bäume an und legen sie um.
Nach einer Schätzung des Bunds verursacht der Biber in der Schweiz jährlich Schäden in der Höhe von rund einer Million Franken an Infrastrukturen. Gemäss dem revidierten Jagdgesetz müssen der Bund und die Kantone für Biberschäden an Infrastrukturanlagen im Gewässerraum aufkommen. Bisher mussten die Eigentümer der beschädigten Infrastruktur die Kosten übernehmen.
Quelle: Graham-H, Pixabay, Public Domain-ähnlich
Der Biber legt bei Gewässern mit einem stark schwankenden Wasserstand einen Damm an, damit die Eingänge zu seiner Burg nicht plötzlich trocken liegen.
Unter Schutz gestellt
Biber und ihre Bauten sind geschützt. Ende des 19. Jahrhunderts war der Biber in Mitteleuropa ausgerottet. Sein unglaublich dichter Pelz, das als Aphrodisiakum begehrte Bibergeil und sein Gestaltungsdrang waren ihm zum Verhängnis geworden. Seit dem Beginn der Wiederansiedlung 1956 hat er sich in der Schweiz stark ausgebreitet und lebt heute an den grossen Mittellandflüssen und -seen. Die Population ist auf 2800 Tiere gewachsen. Da der Biber noch nicht alle geeigneten Lebensräume flächendeckend besiedelt hat, ist mit seiner weiteren Ausbreitung in den nächsten Jahrzehnten zu rechnen.
Doch die Konflikte zwischen dem putzigen Nagetier und dem Menschen haben zugenommen. Das Bundesamt für Umwelt hat deshalb 2016 das Konzept für den Umgang mit dem kleinen Baumeister angepasst. Seither kann ein Kanton bei einer erheblichen Gefährdung von Infrastrukturen im öffentlichen Interesse alle Biber in einem Gewässerabschnitt entfernen. Nötig ist aber die Zustimmung des Bundesamts für Umwelt (Bafu).
Solche Massnahmen seien zeitlich befristet, schreibt das Bafu. Sie sollen Zeit geben für nachhaltige Präventionslösungen. Weil der Biber sowie seine Bauten und Dämme unter gesetzlichem Schutz stehen, kommt Massnahmen zur Prävention von Schäden eine grosse Bedeutung zu. Natürliche und naturnahe Gewässer mit genügend breitem Uferbereich tragen laut dem Bundesamt wesentlich zur Vermeidung von Konflikten mit Bibern bei.
Das Konzept führt aus, welche technischen Massnahmen oder Eingriffe in den Lebensraum sowie den Bestand der Tiere Schäden verhindern können. Dabei geht es um die Regulierung von Biberdämmen, die Revitalisierung eines Gewässers oder die Entfernung von einzelnen Bibern. Die kantonalen Fachstellen beraten Bewirtschafter und Grundeigentümer bei der Umsetzung. Für Massnahmen an Biberdämmen und -bauen braucht es gemäss dem Konzept eine kantonale Bewilligung.
Kürzlich genehmigte beispielsweise der Kanton Luzern die Entfernung eines Biberdamms in Buchrain. Weil sich durch den Damm der Wasserpegel in einem Bach erhöht hatte, stieg die Hochwassergefahr für ein Industriegebiet. Das mögliche Schadenpotenzial liege im ein- bis zweistelligen Millionenbereich, erklärte der Kanton.
Quelle: Gomera, CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons
Seine Behausungen baut der Dachs am liebsten in einen Hügel. Dort kann er leichter tief in die Erde hinein graben als in flachem Gelände.
Gericht schützt Biberdamm
Biberdämme dürfen aber nur eingeschränkt zerstört werden, wie das Solothurner Verwaltungsgericht vor zwei Jahren in einem wegweisenden Urteil entschieden hat. Das kantonale Amt für Wald, Jagd und Fischerei hatte der Gemeinde Buchegg erlaubt, Biberbauten während fünf Jahren zu entfernen. Entlang eines Bachs hatte es Terraineinbrüche und Löcher im Weg gegeben. Die Gemeinde hoffte, mit der Zerstörung des Damms die Tiere zu vertreiben. Doch das Verwaltungsgericht legte sein Veto ein.
«Würden Massnahmen wie die hier verfügte zur Regel werden, wäre der gesetzlich verankerte Schutz des Bibers illusorisch», schrieb das Gericht. Es sei unverhältnismässig, «einzig auf Zusehen hin während fünf Jahren sämtliche Biberdämme zu entfernen, um mögliche Schäden am Feldweg zu verhindern». Bei einem solchen «Freipass für die Vertreibung des Bibers» müsste die Gefahrenlage denn schon grösser sein. Es müsste etwa eine Überschwemmung von bewohntem Gebiet drohen.
Eigentlich gebe es keine Biberschäden, sagt der Aargauer Biberexperte Andres Beck. «Der Biber zeigt uns lediglich auf, wie nah wir mit Verkehr und Landwirtschaft an die Flüsse herankommen.» Der Biber entfernt sich nicht mehr als zehn Meter vom Ufer. Die kantonalen Gewässerschutzgesetze schreiben Mindestabstände zwischen Ufer und Landwirtschaftsland oder Strasse vor, doch diese Vorgaben werden längst nicht immer eingehalten.
Streit um «Abschussgesetz»
In der Schweiz dürfen einzelne Biber abgeschossen werden, die grosse Schäden verursachen. Der Entscheid darüber liegt beim Bafu. Bei der Revision des Jagdgesetzes haben sich die eidgenössischen Räte dagegen ausgesprochen, den Biber auf die Liste der Tierarten zu setzen, die zur Bestandsregulierung abgeschossen werden dürfen. Der Bundesrat erhält aber die Kompetenz, den Biber oder weitere geschützte Arten wie Luchs, Bär, Fischotter, Graureiher und Gänsesäger als regulierbar zu bezeichnen, falls es die Situation erfordert.
Die Natur-, Umwelt- und Tierschutzverbände, die das Referendum ergriffen haben, sprechen deshalb von einem «Abschussgesetz». Der Bund könne den Biber und andere Wildtiere jederzeit auf dem Verordnungsweg zur Regulierung freigeben, wenn das Parlament Druck mache, die Liste zu erweitern. Das letzte Wort zum revidierten Jagdgesetz wird das Stimmvolk sprechen. Die ursprünglich auf den 17. Mai angesetzte Volksabstimmung wurde wegen des Corona-Lockdowns auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
Wie der Biber ist auch der Dachs auf dem Vormarsch. Nach einem Tiefstand in den 1980er-Jahren hat sich in der Schweiz die Anzahl der scheuen Raubtiere in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Immer häufiger werden sie auch in städtischen Gebieten beobachtet. Dort finden sie viel Nahrung. Bis zu 250 Dachse leben in Zürich, wie Aufnahmen von Fotofallen zeigen. Nach dem Stadtfuchs scheint es nun auch den Stadtdachs zu geben.
Gleichzeitig häufen sich die Probleme mit den Tieren. Sie hinterlassen nicht nur Wühlschäden in Gärten, weil sie dort nach Regenwürmern und Engerlingen graben, sondern unterhöhlen auch Wintergärten, Garagen und Terrassen. In Weinbergen sind Menschen schon in Erdlöcher gefallen oder mit Traktoren auf Wegen eingebrochen.
Quelle: Salix, CC BY-SA 3.0, Wikimedia Commons
Perfekte Grabwerkzeuge: Die Vorderpfoten des Dachses sind mit ausgesprochen lang ausgebildeten Krallen ausgestattet.
Friedhof unterhöhlt
Im solothurnischen Zuchwil ist schon vor über 20 Jahren eine grosse Dachsfamilie in der Nähe des Friedhofs heimisch geworden. 2018 störten die Tiere die Friedhofsruhe: Wege und Grabfelder brachen ein, Grabsteine kippten, und Bäume drohten umzustürzen, weil die Frechdachse den Gottesacker untergruben. Angehörige von Verstorbenen beschwerten sich, aber auch die Sicherheit auf den unterhöhlten Gehwegen war nicht mehr gewährleistet.
Die örtliche Werkkommission schlug eine bis zu 90 000 Franken teure bauliche Massnahme vor: Mit Stahlblechen in einem sechs Meter tiefen Graben sollte den Störenfrieden der Weg zum Friedhof versperrt werden. Doch der Gemeinderat winkte ab: Die Dachse hätten wohl Wege um die Barrieren herum gesucht. Schon während einigen Jahren hatte die Gemeinde erfolglos offenliegende Hohlräume zubetoniert oder mit Kies aufgefüllt. Als einzige Lösungen blieben eine Umsiedlung oder eine Dezimierung der Tiere – «natürlich im Rahmen des vom Tierschutz Erlaubten», wie der Gemeinderat betonte.