Beschaffungen: Parlament auf Kollisionskurs mit der WTO
Wegen einer Änderung des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) muss das Beschaffungsgesetz revidiert werden. Der Ständerat hat dieser Tage über die Vorlage diskutiert. Wie der Nationalrat verfolgte er dabei das Ziel, gleich lange Spiesse für Schweizer Unternehmen zu schaffen. Dafür ist er sogar bereit, an die Grenzen des internationalen Rechts zu gehen.
Quelle: Manuela Talenta
Baustelle in Galgenen im Kanton Schwyz, Symbolbild.
Der wohl schwerwiegendste Grenzfall ist das vom Nationalrat eingeführte Kriterium, dass bei der Vergabe das Preisniveau im Land berücksichtigt wird, in welchen die Leistung erbracht wird. Damit hätten Schweizer KMU die gleichen Bedingungen wie Anbieter aus Tieflohnländern, sagte Kommissionssprecher Pirmin Bischof (CVP/SO). Laut Peter Föhn (SVP/SZ) geht es um Schweizer Arbeitsplätze. Man müsse sich fragen, ob heute Schweizer Unternehmen bei Ausschreibungen im Ausland nicht aufgrund der hohen Kosten diskriminiert würden, sagte Stefan Engler (CVP/GR).
Finanzminister Ueli Maurer konnte diese Argumente zwar nachvollziehen. Schweizer Löhne würden durch die flankierenden Massnahmen geschützt. Wenn aber die Leistung im Ausland erbracht werde, gebe es keinen Schutz, sagte er. Gleichzeitig warnte Maurer davor, dass es sich um einen "krassen Verstoss gegen WTO-Regeln" handle. Das führe fast mit Sicherheit zu Klagen. "Sie würden ein sehr grosses Risiko eingehen", sagte der Finanzminister.
Eine Minderheit des Ständerats wollte dieses Risiko nicht eingehen. Das Zuschlagskriterium sei protektionistisch, völkerrechtswidrig und wettbewerbsfeindlich, sagte Andrea Caroni (FDP/AR). Würde es umgesetzt, gerate die Schweiz in einen Beschaffungskrieg, unter dem vor allem Schweizer Unternehmen leiden würden. Caroni wies auch darauf hin, dass die Bestimmung kaum umzusetzen wäre - vor allem dann, wenn Vorleistungen in verschiedenen Ländern erbracht werden. Er unterlag jedoch mit 32 zu 7 Stimmen.
Billig ist nicht alles
In eine ähnliche Richtung geht die Ergänzung, dass Anbieter die am Ort der Leistung geltenden Umweltvorschriften einhalten müssen. Zudem sollen künftig auch Kriterien wie Lebensdauer oder Unterhalt bei der Vergabe einbezogen werden. Ausserhalb von WTO-Ausschreibungen sollen zudem Lehrstellen, Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmende oder die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen eine Rolle spielen.
Konsequenterweise erhält künftig nicht das billigste Angebot den Zuschlag, sondern jenes mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Indem Preis und Qualität auf die gleiche Stufe gestellt würden, werde der Werkplatz Schweiz gestärkt, sagte Maurer. Damit bekämen inländische und ausländische Anbieter gleich lange Spiesse.
Nach der ersten Beratungsrunde bleiben zahlreiche weitere Differenzen zwischen National- und Ständerat. Gestrichen hat die kleine Kammer die Verlässlichkeit des Preises als Zuschlagskriterium, weil es ihrer Meinung nach im Kriterium Plausibilität des Angebots enthalten ist. Abgelehnt hat sie auch die Ergänzung, dass ein Verstoss gegen die berufliche Ethik oder gegen "allgemein anerkannte Verhaltensregeln" zum Ausschluss vom Verfahren oder zum Widerruf des Zuschlags führen kann.
Umstrittenes Einsichtsrecht
Eine weitere Differenz betrifft das Einsichtsrecht, das schon im Nationalrat zu reden gegeben hatte. Der Bundesrat schlägt vor, dass Auftraggeber bei freihändig vergebenen Aufträgen im Wert über einer Million Franken Einsicht in sämtliche Akten nehmen können, die als Grundlage zur Preisbildung dienten. Die Unterlagen will er der Geheimhaltung unterstellen. Der Nationalrat hatte die Geheimhaltungsbestimmungen aus dem Gesetz gestrichen. Gegen den Widerstand der Linken verwarf der Ständerat nun das Einsichtsrecht insgesamt. Dieses sei heute in der Verordnung geregelt, sagte Kommissionssprecher Bischof. Dabei soll es bleiben.
Milliardenmarkt
Die Totalrevision des Beschaffungsrechts ist nötig wegen einer Änderung des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA). Diese hat der Ständerat ebenfalls gutgeheissen. Im gleichen Zug wird das Beschaffungsrecht von Bund und Kantonen angeglichen. Für letztere hat die Regelung grosse Bedeutung: Das jährliche Volumen der Zahlungen im Beschaffungswesen wird auf über 40 Milliarden Franken geschätzt. 80 Prozent davon stammen von Kantonen und Gemeinden.
Bauwirtschaft mehrheitlich zufrieden
Bauenschweiz, der Dachverband der Schweizer Bauwirtschaft, zeigt sich erfreut über die Beschlüsse des Ständerats. Wie es in einer Mitteilung heisst, ortet er aber in einzelnen Punkten Verbesserungspotenzial: "Er soll dem Nationalrat folgend dem vorteilhaftesten und nicht wie vom Ständerat beschlossen dem wirtschaftlich günstigsten Angebot der Zuschlag erteilt werden." Mit der Revision wolle das Parlament den Beschaffungsstellen ein griffiges Instrument in die Hand geben, um dem qualitativ besten Angebot den Zuschlag erteilen zu können, begründet der Verband seinen Einwand. Denn das sei gerade bei Bauwerken wichtig, die Jahrzehnte nach Erstellung noch Bestand hätten. Mit rund 20 Milliarden Franken flössen jährlich rund die Hälfte aller öffentlichen Beschaffungen in den Bau. "Die Lebenszykluskosten erhalten dabei gegenüber dem reinen Vergabepreis eine immer grössere Bedeutung", schreibt Bauenschweiz. Die Revisionsvorlage biete insgesamt eine echte Deregulierungschance, weil künftig für die Unternehmen beim Bund wie auch in allen Kantonen die gleichen Spielregeln gelten würden. (sda/mt)