Bauregion Bern: Schwergewicht mit Vorsicht unterwegs
Nach kantonalen Abstimmungen über die Finanz- und Energiepolitik muss sich der Kanton neu aufstellen. Dabei ist der politische Handlungsspielraum kleiner geworden. Dabei steht der wirtschaftlich bedeutende Kanton vor einer Dekade mit grossen Bauvorhaben. Dynamisch haben sich der Wohnbau und der übrige Hochbau in den Zentren entwickelt. Eigene Akzente setzt die Stadt Bern.
Städte im Berner Mittelland sind als Wohn- und Arbeitsorte beliebt, was in der Agglomeration Bern eine dynamische Entwicklung ausgelöst hat. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Einwohner im engsten Stadtgürtel um 9,6 Prozent erhöht (Kanton: +6,7%). In der Stadt Bern hat sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt gleichwohl etwas entspannt. Denn die Zahl leerstehender Wohnungen hat sich im letzten Jahr auf 0,56% erhöht, nach einer rekordtiefen Quote von 0,45% davor (Kanton: 1,87%). Das Angebot an bezahlbaren Wohnungen ist knapp, weshalb viele Zuzüger in die Agglomeration ausweichen. Die Stadt Bern, die eine Fusion mit fünf Vorortsgemeinden ins Auge fasst, will künftig vermehrt in den Immobilienmarkt eingreifen und preisgünstige Wohnungen fördern.
Günstig Wohnen auf Stadtarealen
Seit Anfang dieses Jahres muss bei neuen Wohnüberbauungen, die mittels Planungsverfahren realisiert werden, der Anteil gemeinnütziger oder preisgünstiger Einheiten mindestens ein Drittel betragen. So will es die Wohninitiative «Für bezahlbare Wohnungen», welche die Stadtbevölkerung 2014 angenommen hatte. Heute liegt der Anteil gemeinnütziger Wohnungen auf städtischen Arealbebauungen bei rund zehn Prozent. Die Stadt ist sogar selber direkt auf dem Immobilienmarkt aktiv geworden und hat für 38,5 Millionen Franken 75 Wohnungen gekauft.
Bern mit weniger Ertrag
Nach Jahren mit positiven Ergebnissen schrieb die Stadt für das Rechnungsjahr 2019 aber rote Zahlen. Weil die Steuereinnahmen von rund 486 Millionen Franken tiefer ausfielen als kalkuliert, werden rund 30 Millionen Franken in der Stadtkasse fehlen. Das Defizit der Stadt ist insbesondere auf tiefere Steuereinnahmen von juristischen Personen im Gefolge des Wechsels beim Steuersystem auf Bundesebene zurückzuführen, namentlich bei den Holdinggesellschaften. Mit knapp 1,4 Prozent des Budgets liege das Defizit aber im Rahmen normaler Schwankungen und rechtfertige keine Abbaupolitik. Insgesamt ist laut einer Studie der Credit Suisse die finanzielle Lage der Stadt stabil. Der Kanton trägt rund 12 Prozent zum Bruttoinlandprodukt der Schweiz bei, wobei auf die 28 Gemeinden der Region Bern 48 Prozent davon entfielen.
Quelle: Insel Gruppe, Pascal Gugler
Die Bauarbeiten für das neue Hauptgebäude des Inselspitals gleichen einer Operation am offenen Herzen. Laufender Betrieb, Rückbauten, neue Gewerke. Realisiert wird der Bau bis Sommer 2023 als eines der ersten Grossprojekte nach Big BIM. (Bild: Schalung der Bodenplatte).
Mit Arealen oder Höhe verdichten
Damit das Wohnangebot mit der Bevölkerungsentwicklung Schritt halten kann, soll in den nächsten Jahren auf mehreren Arealen die Innenverdichtung vorangetrieben werden. Die neue Politik wird auch Einfluss auf eine Reihe grösserer Bauprojekte haben, wie Stadtpräsident Alec von Graffenried gegenüber der Zeitung «Der Bund» erklärte. Für die Entwicklung des Grossprojekts Vierer- und Mittelfeld sei in der ersten Etappe für den Bau von rund 300 Wohnungen eine Zusammenarbeit von Wohnbaugenossenschaft und einem Anleger-Konsortium mit drei marktorientierten Investoren vorgesehen. Auf sieben weiteren Arealen sind in den nächsten Jahren Wohnungen oder «urbane Mischnutzungen» geplant. Andernorts führt die Innenverdichtung in die Höhe wie in Ostermundigen, wo sich der Bäre-Tower in Bau befindet, oder in Gümligen, wo ein 60-Meter-Hochhaus geplant ist.
Auch in Thun geht es mit grossen Wohnbauprojekten vorwärts. Das Wohnbauprojekt «Hoffmatte» hat mit dem Ja der Stimmbevölkerung zur Schaffung einer neuen Zone mit Planungspflicht (ZPP) eine wichtige Hürde genommen. Zudem soll in Heimberg bei Thun auf dem bahnhofnahen Areal der Rigips AG nach Änderung in eine ZPP-Zone ein durchmischtes Wohnquartier entstehen.
Der Thuner Gemeinderat will in den nächsten Jahren weiter in die Sanierung der städtischen Infrastruktur investieren. Die Stadt kann einen positiven Abschluss der Rechnung 2019 vorweisen, doch zeichne sich ab, dass das Coronavirus «deutliche Spuren im städtischen Finanzhaushalt hinterlassen wird».
Priorisierungen angedacht
In diesem Jahrzehnt stehen im Kanton Bern zahlreiche grosse und wichtige Bauvorhaben an, etwa die Verkehrssanierungen im Emmental und Oberaargau, Umbauten und Sanierungen. Der Investitionsbedarf ist hoch, wie die Grossratsdebatte zum Aufgaben- und Finanzplan 2021 bis 2023 zeigte, wobei ab 2022 ein negativer Finanzierungssaldo droht. Mit einem Investitionsfonds sollte ein Instrument geschaffen werden für die Bewältigung künftiger Aufgaben, der aber im Grossen Rat unter Beschuss geriet. Eine ins Auge gefasste Anpassung der Schuldenbremse für die Investitionsrechnung benötigt eine Verfassungsänderung mit Zustimmung der Berner Stimmbevölkerung.
Weiter vertieft werden laut der Regierung auch Massnahmen und Verfahren für eine Priorisierung, Etappierung und Redimensionierung des Investitionsbedarfs, wobei die Finanzierung von Projekten damit allerdings noch nicht abschliessend gesichert ist. Für Unterhaltsarbeiten und betriebliche Anpassungen an kantonseigenen Liegenschaften beantragt die Regierung dem Grossen Rat für die Jahre 2021 bis 2024 einen Rahmenkredit von 224 Millionen Franken.
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