08:43 BAUBRANCHE

Bauregion Aargau: Kanton ohne Schulden

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: Ben Kron

Ob Corona-Krise, Ukraine-Krieg oder explodierende Energiekosten: Der Aargau trotzte in den letzten Jahren der politischen Grosswetterlage. Auch fürs 2022 springt ein Plus heraus, so dass der Kanton in ein paar Monaten alle Schulden abbezahlt haben wird.

Bauregion AG 2023, Kantonsspital Aarau, Dreiklang

Quelle: Ben Kron

Das neue Kantonsspital in Aarau, Projektname Dreiklang, wird am Ende rund 560 Millionen Franken kosten.

Der Kanton Aargau ist in Sachen Finanzen topfit. So ergab sich 2020 ein Gewinn von 238 Millionen Franken, 2021 waren es gar 314 Millionen. Und die Staatsrechnung fürs zurückliegende Jahr schliesst wiederum im Plus, trotz der schwierigen Umstände. Diesmal sind es immerhin 116 Millionen. 

Und Finanzdirektor Markus Dieth kann verkünden: «Unsere Schulden sind getilgt.» Also könne der Kanton seine Reserven weiter auffüllen: Seit 2017 sind knapp 840 Millionen Franken zusammengekommen, für bevorstehende schwierige Zeiten. Denn für die Budget- und Planjahre 2023 bis 2026 resultieren «herausfordernde Defizite». Schon fürs nächste Jahr ist ein Minus von 300 Millionen vorgesehen.

Das Plus kam trotz einer nicht budgetierten Rückstellung von 240 Millionen Franken zustande: Diese Finanzhilfe be-nötigt das vom Konkurs bedrohte Kantonsspital Aarau. Und der Kanton fragt sich, wie das Spital derart in Notlage geraten konnte; zumal das Kantonsspital Baden weit besser dasteht. Die Verantwortlichen in Aarau nennen als Gründe die Pandemie, den Krieg, den Fachkräftemangel, die Inflationsrate sowie die Teuerung, welche die Kosten für den Neubau in die Höhe trieb. 

Die Aufarbeitung läuft, eine Volksabstimmung über die Finanzspritze könnte kommen. Und die Bauarbeiten am neuen Kantonsspital, die im Sommer 2021 be-gannen, gehen weiter; der Rohbau des viergeschossigen Sockelgebäudes steht. Die Eröffnung ist für das Jahr 2025 geplant.

Kantonalbank schüttet aus

Passend zum finanziellen Höhenflug des Kantons geht es auch der Aargauischen Kantonalbank gut. Ja: Es läuft so gut wie noch nie. Die Bank hat letztes Jahr viele neue Kunden gefunden und am Ende einen Reingewinn von fast 180 Millionen Franken erzielt. Was natürlich wiederum gut für den Kanton ist, den Eigentümer des Geldinstituts. So wird der Aargau rund 104 Millionen Franken dieses Reingewinns abschöpfen.

Auch die Finanzen der einzelnen Gemeinden sind mehrheitlich solide. So konnten die Gemeinden im Jahr 2021, für welches die Auswertung vorliegt, mehrheitlich positiv abschliessen und die Nettoschuld weiter reduzieren. «Die Pandemie hat in den Jahresrechnungen kaum Spuren hinterlassen», so die Aufsicht über die Gemeindefinanzen des Departements Volkswirtschaft und Inneres. 

So erzielten die damals noch 210 Gemeinden zusammen einen Ertragsüberschuss von 239 Millionen Franken. Im Jahr zuvor waren es bereits 206 Millionen. So resultierte zum vierten Mal in Folge ein Selbstfinanzierungsgrad von über 100 Prozent, letztes Jahr waren es sogar 143. 

Bauregion AG 2023, Spreitenbach, Tivoli-Garten, Limmattalbahn

Quelle: Ben Kron

Die ganz grosse Kelle wird in Spreitenbach geschwungen: Blick auf die entstehende 445 Wohnungen umfassende Überbauung «Tivoli-Garten».

Aarau mit hohem Gewinn

Sehr gut abgeschnitten hat unter anderem die Kantonshauptstadt Aarau, die dank unerwartet hohen Steuereinnahmen ein Plus von über 7 Millionen Franken machte. Auch die Gemeinden Oftringen Lenzburg und Spreitenbach vermeldeten, sie hätten deutlich mehr Geld eingenommen als budgetiert. Auf der anderen Seite gibt es auch Gemeinden mit Geldsorgen. Das Amt schätzt, dass «die Finanzlage in 10 bis 15 Prozent der Gemeinden angespannt ist». 

Auf kantonaler Ebene hat der Kanton Mitte letzten Jahres Senkungen beschlossen. Zum einen wird die nach Gewinn gestaffelte Steuerberechnung für Unternehmen abgeschafft – neu werden alle gleich besteuert. Damit entgehen Kanton und Gemeinden pro Jahr 123 Millionen Franken. Dafür hofft man darauf, mit den tieferen Steuern neue Unternehmen in den Kanton zu locken.

Aargau will Reiche anlocken

Ebenfalls um einen Prozentpunkt leicht gesenkt wurde der kantonale Steuerfuss, der nun bei 107 Prozent liegt. Weit wichtiger ist aber die langfristige Steuerstrategie, welche der Regierungsrat unlängst verabschiedet hat. Diese will vor allem gut verdienende Steuerzahler in den Kanton locken, während man tiefere Einkommen gleich hoch wie andere Kantone besteuern will. Dazu will der Kanton im Steuerwettbewerb um juristische Personen unter den Top Ten vertreten sein. Dies die zentralen Inhalte der zwanzig Punkte umfassenden Strategie.

Der Beschluss des Regierungsrates hat zwar keine direkte Wirkung. Doch das Papier gibt für die nächsten Jahre eine Richtung vor, ähnlich wie etwa die Energie- oder Mobilitätsstrategie, und wird als Basis für die Ausarbeitung von Gesetzesvorlagen herangezogen.

Bauregion AG 2023, Turnsport Aargau, Turnhalle

Quelle: Turnsport Aargau

Crowdfunding machte es möglich: Ende 2022 wurde das 1900 Quadratmeter grosse Turnzentrum Lenzburg eröffnet: Der Turnverband trug selber 2 der total 14 Millionen Franken Baukosten zusammen.

Stabile Steuern

Stabil ist die Lage in Sachen Gemeindesteuern. Die meisten Aargauer Kommunen haben nach einer Einschätzung der Gemeindeammännervereinigung hohe Überschüsse erzielt, sind aber wegen der erwähnten kommenden Herausforderungen beim Thema Steuern konservativ. Heisst: Bei 172 von total 200 Gemeinden bleibt der Steuerfuss unverändert, 20 haben ihn gesenkt, 8 erhöht. So meldet es das kantonale Departement Finanzen und Ressourcen. Wobei die Fusionen an einigen Orten für Entlastung sorgen: So zahlt man in Kaiserstuhl, Rekingen und Rietheim dank des Zusammenschlusses zur Grossgemeinde Zurzach weniger Steuern. 

Ebenfalls profitieren die Bewohner von Hornussen, Bözen und Effingen von der Fusion zur Gemeinde Böztal. Und weil Gallenkirch, Linn, Ober-und Unterbözberg ab 2023 zu Bözberg fusioniert sind, wurde der Steuerfuss von 99 auf 96 Prozent gesenkt. In die Röhre gucken hingegen die Steuerpflichtigen von Baldingen, Wislikofen und Böbikon: Sie erhalten wegen der Fusion zur Gemeinde Zurzibiet höhere Steuern. 

Bauregion AG 2023, Polizei- und Justizzentrum Aarau

Quelle: Ben Kron

Neben Telli-Hochhaus und wellenförmigem Wohnhaus entsteht der neue «Posten» für die Aargauer Gesetzeshüter: 5500 Quadratmeter Nutzfläche für 65 Millionen Franken. Projektende Sommer 2025.

Steuer-Juwel am Mutschellen 

Oberwil-Lieli, das «Juwel am Mutschellen» konnte seine Steuern um fünf Prozentpunkt senken und ist nun das günstigste Dorf im Kanton. 48 Prozent – einen so tiefen Steuerfuss hatte in den vergangenen sechs Jahrzehnten keine Aargauer Gemeinde.

Am anderen Ende der Skala liegen wie in den Vorjahren Tägerig und Hallwil mit 127 Prozent. Zu ihnen gesellt sich neu die Gemeinde Mellikon, die dank einer Erhöhung um sieben Prozentpunkte nun ebenfalls die Bezeichnung teuerste Aargauer Gemeinde tragen darf. Im Fall von Mellikon aber ein kluger Schachzug, denn nun erhält man aus dem kantonalen Topf Ergänzungsbeiträge.

Fusionen gehen weiter

Eben erst beschlossen wurde die Fusion der beiden Nachbarn Baden und Turgi. Die Stimmberechtigten beider Gemeinden stimmten dem Zusammenschluss deutlich zu. In Turgi betrug der Ja-Anteil stolze 86 Prozent – wobei auch hier ein konkreter Nutzen besteht: Der Turgemer Steuerfuss, aktuell noch bei 113 Prozent, wird nach dem Zusammengehen dem Steuerfuss von Baden angeglichen, der bei tiefen 92 Prozent liegt.

Die Stadt Baden wiederum wächst mit der Fusion um einen Schlag um fast 3000 Menschen an. Und darf sich deshalb ab 2024 als grösste Gemeinde des Kantons bezeichnen, mit dannzumal 22 800 Einwohnerinnen und Einwohnern. Das Fest zur Fusion steigt schon im Vorfeld: vom 24. Juli bis 10. September findet, wie nur alle zehn Jahre, die Badenfahrt statt. Das Volksfest ist mit rund einer Millionen Besucher das grösste seiner Art in der Schweiz und bietet rund um die Altstadt und den Bahnhof viele Möglichkeiten, sich zu verpflegen und zu vergnügen.

Akara Tower Baden, Bauregion AG 2023, Hochhaus

Quelle: Ben Kron

150 Wohnungen entstehen im 66 Meter hohen Akara-Tower in Baden. Ende dieses Jahres soll das 90 Millionen Franken teure Projekt abgeschlossen sein.

Bauregion AG 2023, Müllerbräu-Areal Baden, Bauprofil

Quelle: Ben Kron

Nahe beim Akara-Tower entsteht für knapp 64 Millionen Franken die Müllerbräu-Überbauung: ein Komplex aus drei Gebäuden, das höchste zehn Stockwerke oder 37 Meter hoch, mit total 137 Wohnungen.

Baustopp in Baden

Die Bedeutung der Badenfahrt ist dabei so gross, dass währenddessen alle Bau-arbeiten auf öffentlichem Grund ruhen. Auf Privatgrundstücken sind gewisse Bau- und Unterhaltsarbeiten möglich. So wartet man auf dem geschichtsträchtigen Müllerbräu-Areal, nordwestlich des Bahnhofs, bis aufs Ende der Badenfahrt, bevor die Bauarbeiten beginnen. 

Für knapp 64 Millionen Franken entsteht hier ein Komplex aus drei Gebäuden, das höchste zehn Stockwerke oder 37 Meter hoch, mit total 137 Wohnungen. Wobei die Bauherrin, die Brauerei H. Müller AG, den Fortbestand des traditionsreichen Biergartens garantiert. Ab Sommer 2026 sollen hier die ersten Mieter einziehen, wo heute noch Bauprofile stehen. 

Akara-Tower bald fertig

Vom Volksfest nicht betroffen ist der Akara-Tower, nur wenige Schritte vom Müllerbräu-Areal entfernt: Hier steht das markante, 66 Meter hohe Gebäude, direkt bei den Gleisen und in Bahnhofnähe, wo es schon jetzt eins der neuen Wahrzeichen der Bäderstadt ist. Bereits Ende dieses Jahren sollen die 150 Wohnungen im 90-Millionen-Projekt bezogen werden. Ende nächsten Jahres wird im übrigen in Baden «Agnes» in Betrieb gehen, der 545 Millionen Franken teure Neubau des Kantonsspitals. 

Auch in der Kantonshauptstadt Aarau sind gleich mehrere Grossprojekte in Arbeit: Neben dem neuen Kantonsspital «Dreiklang», mit 560 Millionen Franken etwas teurer als der Neubau in Baden, laufen neben dem Telli-Hochhaus die Arbeiten am neuen Gebäude der Kantonspolizei. Auf fünf Stockwerken erhalten die Aargauer Gesetzeshüter 5500 Quadratmeter Nutzfläche für 65 Millionen Franken. Im Sommer 2025 soll der Neubau fertig sein, der die Anforderungen von Minergie-P-ECO Standard und dem Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz erfüllt.

Bauregion AG 2023, Bahnhof Süd Aarau

Quelle: Ben Kron

Zwischen den Gleisen der SBB und der Aargau Verkehr entsteht das Gebäude Bahnhof Süd, das Ende nächsten Jahres fertiggestellt sein soll.

«Torfeld Süd»: Warten aufs neue Stadion 

Leider immer noch nicht zu den laufenden Grossprojekten gehört das «Torfeld Süd». Die Überbauung besteht aus vier Wohn-türmen, mit denen das dazwischenliegende Fussballstadion querfinanziert werden soll. Nun hat zwar das Bundesgericht zwei Beschwerden abgewiesen, die im Kontext der Richtplankonformität des Wohnschwerpunkts und der Lärmproblematik eingegangen waren.

Doch muss man abklären, ob das Urteil dennoch Anpassungen auf der Ebene des Gestaltungsplans nötig macht. Sollte dies der Fall sein, muss der Gestaltungsplan erneut öffentlich aufgelegt werden. Mit allen möglichen Einsprachemöglichkeiten. Heisst: Nicht vor 2025 wird im Torfeld der Baustart erfolgen. 

Auch dem Projekt «Tivoli-Garten» in Spreitenbach wehte anfangs ein kräftiger Gegenwind ins Gesicht: Der Verkehrsklub der Schweiz hatte sich bis vor Bundes-gericht gegen die Parkplatzbewirtschaftung gewehrt. Doch 2019 kam es zu einer Einigung und zum termingerechten Baubeginn. Mitte 2024 werden die insgesamt sechs Gebäude, davon zwei Hochhäuser, mit total 445 Wohnungen fertiggestellt sein. Und Spreitenbach wird auf einen Schlag um tausend Bewohner wachsen. Bereits seit letzten Sommer existiert die Haltestelle der Limmattalbahn, die direkt unter dem Gebäudekomplex durchfährt.

Bauregion AG 2023, Frick, Überbauung Lammet

Quelle: Zahnder Immo

Etwas kleinere Kelle, aber immerhin: Im Projekt Lammet in Frick werden rund 300 Wohnungen neu erstellt.

Frick boomt

Nicht ganz so gross ist die Kelle, die in Frick im Gebiet Lammet geschwungen wird. Dort dürften in Kürze zwei Projekte starten, die insgesamt 300 Wohnungen sowie einige Reihen- und Doppeleinfamilienhäuser umfasst. Auch die Fricktaler Metropole wird damit einen zünftigen Wachstumsschub erhalten.

Solche grossen Wohnbauprojekte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Wohnungsmarkt auch in Aargau unter Druck gerät, wenngleich die Lage noch nicht so dramatisch ist wie beim Nachbarn Zürich. Das Bevölkerungswachstum und die Ansiedlung von Firmen sorgen für einen Anstieg der Marktmieten und eine Verknappung des Angebots. Die Leerwohnungsziffer hat mit 1,65 einen historischen Tiefstand erreicht.

Run auf Geisterstädte

Die Bautätigkeit kann mit dem Wachstum nicht mithalten, zumal diese bescheiden ausfällt. Im Aargau wurden im Jahr 2020 exakt 1059 Gebäude mit Wohnnutzung und darin 3771 Wohnungen neu erstellt. Das sind 98 Gebäude weniger als im Jahr zuvor, bei den Wohnungen sind es rund 1000 Einheiten weniger. Deshalb werden leere Wohnungen für Zuzüger knapp. Diese kommen nach wie vor in erster Linie aus dem Kanton Zürich. Und der Zustrom sorgt dafür, dass jetzt auch Überbauungen gefüllt werden können, die zuvor einen schweren Stand bei der Vermietung hatten. Oder wie es der Blick formuliert: «Plötzlich sind auch Geisterstädte beliebt».

Zahlen Aargau

Quelle: Bundesamt für Statistik

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