Bauregion Aargau: Kanton ohne Schulden
Ob Corona-Krise, Ukraine-Krieg oder explodierende Energiekosten: Der Aargau trotzte in den letzten Jahren der politischen Grosswetterlage. Auch fürs 2022 springt ein Plus heraus, so dass der Kanton in ein paar Monaten alle Schulden abbezahlt haben wird.
Quelle: Ben Kron
Das neue Kantonsspital in Aarau, Projektname Dreiklang, wird am Ende rund 560 Millionen Franken kosten.
Der Kanton Aargau ist in Sachen Finanzen topfit. So ergab sich
2020 ein Gewinn von 238 Millionen Franken, 2021 waren es gar 314 Millionen. Und
die Staatsrechnung fürs zurückliegende Jahr schliesst wiederum im Plus, trotz
der schwierigen Umstände. Diesmal sind es immerhin 116 Millionen.
Und Finanzdirektor Markus Dieth kann verkünden: «Unsere
Schulden sind getilgt.» Also könne der Kanton seine Reserven weiter auffüllen:
Seit 2017 sind knapp 840 Millionen Franken zusammengekommen, für bevorstehende
schwierige Zeiten. Denn für die Budget- und Planjahre 2023 bis 2026 resultieren
«herausfordernde Defizite». Schon fürs nächste Jahr ist ein Minus von 300
Millionen vorgesehen.
Das Plus kam trotz einer nicht budgetierten Rückstellung von
240 Millionen Franken zustande: Diese Finanzhilfe be-nötigt das vom Konkurs
bedrohte Kantonsspital Aarau. Und der Kanton fragt sich, wie das Spital derart
in Notlage geraten konnte; zumal das Kantonsspital Baden weit besser dasteht.
Die Verantwortlichen in Aarau nennen als Gründe die Pandemie, den Krieg, den
Fachkräftemangel, die Inflationsrate sowie die Teuerung, welche die Kosten für
den Neubau in die Höhe trieb.
Die Aufarbeitung läuft, eine Volksabstimmung über die
Finanzspritze könnte kommen. Und die Bauarbeiten am neuen Kantonsspital, die im
Sommer 2021 be-gannen, gehen weiter; der Rohbau des viergeschossigen
Sockelgebäudes steht. Die Eröffnung ist für das Jahr 2025 geplant.
Kantonalbank schüttet aus
Passend zum finanziellen Höhenflug des Kantons geht es auch
der Aargauischen Kantonalbank gut. Ja: Es läuft so gut wie noch nie. Die Bank
hat letztes Jahr viele neue Kunden gefunden und am Ende einen Reingewinn von
fast 180 Millionen Franken erzielt. Was natürlich wiederum gut für den Kanton
ist, den Eigentümer des Geldinstituts. So wird der Aargau rund 104 Millionen
Franken dieses Reingewinns abschöpfen.
Auch die Finanzen der einzelnen Gemeinden sind mehrheitlich solide. So konnten die Gemeinden im Jahr 2021, für welches die Auswertung vorliegt, mehrheitlich positiv abschliessen und die Nettoschuld weiter reduzieren. «Die Pandemie hat in den Jahresrechnungen kaum Spuren hinterlassen», so die Aufsicht über die Gemeindefinanzen des Departements Volkswirtschaft und Inneres.
So erzielten die damals noch 210 Gemeinden
zusammen einen Ertragsüberschuss von 239 Millionen Franken. Im Jahr zuvor waren
es bereits 206 Millionen. So resultierte zum vierten Mal in Folge ein
Selbstfinanzierungsgrad von über 100 Prozent, letztes Jahr waren es sogar
143.
Quelle: Ben Kron
Die ganz grosse Kelle wird in Spreitenbach geschwungen: Blick auf die entstehende 445 Wohnungen umfassende Überbauung «Tivoli-Garten».
Aarau mit hohem Gewinn
Sehr gut abgeschnitten hat unter anderem die
Kantonshauptstadt Aarau, die dank unerwartet hohen Steuereinnahmen ein Plus von
über 7 Millionen Franken machte. Auch die Gemeinden Oftringen Lenzburg und
Spreitenbach vermeldeten, sie hätten deutlich mehr Geld eingenommen als
budgetiert. Auf der anderen Seite gibt es auch Gemeinden mit Geldsorgen. Das
Amt schätzt, dass «die Finanzlage in 10 bis 15 Prozent der Gemeinden angespannt
ist».
Auf kantonaler Ebene hat der Kanton Mitte letzten Jahres
Senkungen beschlossen. Zum einen wird die nach Gewinn gestaffelte
Steuerberechnung für Unternehmen abgeschafft – neu werden alle gleich
besteuert. Damit entgehen Kanton und Gemeinden pro Jahr 123 Millionen Franken.
Dafür hofft man darauf, mit den tieferen Steuern neue Unternehmen in den Kanton
zu locken.
Aargau will Reiche anlocken
Ebenfalls um einen Prozentpunkt leicht gesenkt wurde der
kantonale Steuerfuss, der nun bei 107 Prozent liegt. Weit wichtiger ist aber
die langfristige Steuerstrategie, welche der Regierungsrat unlängst
verabschiedet hat. Diese will vor allem gut verdienende Steuerzahler in den Kanton
locken, während man tiefere Einkommen gleich hoch wie andere Kantone besteuern
will. Dazu will der Kanton im Steuerwettbewerb um juristische Personen unter
den Top Ten vertreten sein. Dies die zentralen Inhalte der zwanzig Punkte
umfassenden Strategie.
Der Beschluss des Regierungsrates hat zwar keine direkte
Wirkung. Doch das Papier gibt für die nächsten Jahre eine Richtung vor, ähnlich
wie etwa die Energie- oder Mobilitätsstrategie, und wird als Basis für die
Ausarbeitung von Gesetzesvorlagen herangezogen.
Quelle: Turnsport Aargau
Crowdfunding machte es möglich: Ende 2022 wurde das 1900 Quadratmeter grosse Turnzentrum Lenzburg eröffnet: Der Turnverband trug selber 2 der total 14 Millionen Franken Baukosten zusammen.
Stabile Steuern
Stabil ist die Lage in Sachen Gemeindesteuern. Die meisten
Aargauer Kommunen haben nach einer Einschätzung der Gemeindeammännervereinigung
hohe Überschüsse erzielt, sind aber wegen der erwähnten kommenden
Herausforderungen beim Thema Steuern konservativ. Heisst: Bei 172 von total 200
Gemeinden bleibt der Steuerfuss unverändert, 20 haben ihn gesenkt, 8 erhöht. So
meldet es das kantonale Departement Finanzen und Ressourcen. Wobei die Fusionen
an einigen Orten für Entlastung sorgen: So zahlt man in Kaiserstuhl, Rekingen
und Rietheim dank des Zusammenschlusses zur Grossgemeinde Zurzach weniger
Steuern.
Ebenfalls profitieren die Bewohner von Hornussen, Bözen und
Effingen von der Fusion zur Gemeinde Böztal. Und weil Gallenkirch, Linn,
Ober-und Unterbözberg ab 2023 zu Bözberg fusioniert sind, wurde der Steuerfuss
von 99 auf 96 Prozent gesenkt. In die Röhre gucken hingegen die
Steuerpflichtigen von Baldingen, Wislikofen und Böbikon: Sie erhalten wegen der
Fusion zur Gemeinde Zurzibiet höhere Steuern.
Quelle: Ben Kron
Neben Telli-Hochhaus und wellenförmigem Wohnhaus entsteht der neue «Posten» für die Aargauer Gesetzeshüter: 5500 Quadratmeter Nutzfläche für 65 Millionen Franken. Projektende Sommer 2025.
Steuer-Juwel am Mutschellen
Oberwil-Lieli, das «Juwel am Mutschellen» konnte seine
Steuern um fünf Prozentpunkt senken und ist nun das günstigste Dorf im Kanton.
48 Prozent – einen so tiefen Steuerfuss hatte in den vergangenen sechs
Jahrzehnten keine Aargauer Gemeinde.
Am anderen Ende der Skala liegen wie in den Vorjahren
Tägerig und Hallwil mit 127 Prozent. Zu ihnen gesellt sich neu die Gemeinde
Mellikon, die dank einer Erhöhung um sieben Prozentpunkte nun ebenfalls die
Bezeichnung teuerste Aargauer Gemeinde tragen darf. Im Fall von Mellikon aber
ein kluger Schachzug, denn nun erhält man aus dem kantonalen Topf
Ergänzungsbeiträge.
Fusionen gehen weiter
Eben erst beschlossen wurde die Fusion der beiden Nachbarn
Baden und Turgi. Die Stimmberechtigten beider Gemeinden stimmten dem
Zusammenschluss deutlich zu. In Turgi betrug der Ja-Anteil stolze 86 Prozent –
wobei auch hier ein konkreter Nutzen besteht: Der Turgemer Steuerfuss, aktuell
noch bei 113 Prozent, wird nach dem Zusammengehen dem Steuerfuss von Baden
angeglichen, der bei tiefen 92 Prozent liegt.
Die Stadt Baden wiederum wächst mit der Fusion um einen
Schlag um fast 3000 Menschen an. Und darf sich deshalb ab 2024 als grösste
Gemeinde des Kantons bezeichnen, mit dannzumal 22 800 Einwohnerinnen und
Einwohnern. Das Fest zur Fusion steigt schon im Vorfeld: vom 24. Juli bis
10. September findet, wie nur alle zehn Jahre, die Badenfahrt statt. Das
Volksfest ist mit rund einer Millionen Besucher das grösste seiner Art in der
Schweiz und bietet rund um die Altstadt und den Bahnhof viele Möglichkeiten,
sich zu verpflegen und zu vergnügen.
Quelle: Ben Kron
150 Wohnungen entstehen im 66 Meter hohen Akara-Tower in Baden. Ende dieses Jahres soll das 90 Millionen Franken teure Projekt abgeschlossen sein.
Quelle: Ben Kron
Nahe beim Akara-Tower entsteht für knapp 64 Millionen Franken die Müllerbräu-Überbauung: ein Komplex aus drei Gebäuden, das höchste zehn Stockwerke oder 37 Meter hoch, mit total 137 Wohnungen.
Baustopp in Baden
Die Bedeutung der Badenfahrt ist dabei so gross, dass
währenddessen alle Bau-arbeiten auf öffentlichem Grund ruhen. Auf
Privatgrundstücken sind gewisse Bau- und Unterhaltsarbeiten möglich. So wartet
man auf dem geschichtsträchtigen Müllerbräu-Areal, nordwestlich des Bahnhofs,
bis aufs Ende der Badenfahrt, bevor die Bauarbeiten beginnen.
Für knapp 64 Millionen Franken entsteht hier ein Komplex aus
drei Gebäuden, das höchste zehn Stockwerke oder 37 Meter hoch, mit total 137
Wohnungen. Wobei die Bauherrin, die Brauerei H. Müller AG, den Fortbestand des
traditionsreichen Biergartens garantiert. Ab Sommer 2026 sollen hier die ersten
Mieter einziehen, wo heute noch Bauprofile stehen.
Akara-Tower bald fertig
Vom Volksfest nicht betroffen ist der Akara-Tower, nur
wenige Schritte vom Müllerbräu-Areal entfernt: Hier steht das markante, 66
Meter hohe Gebäude, direkt bei den Gleisen und in Bahnhofnähe, wo es schon
jetzt eins der neuen Wahrzeichen der Bäderstadt ist. Bereits Ende dieses Jahren
sollen die 150 Wohnungen im 90-Millionen-Projekt bezogen werden. Ende nächsten
Jahres wird im übrigen in Baden «Agnes» in Betrieb gehen, der 545 Millionen
Franken teure Neubau des Kantonsspitals.
Auch in der Kantonshauptstadt Aarau sind gleich mehrere
Grossprojekte in Arbeit: Neben dem neuen Kantonsspital «Dreiklang», mit 560
Millionen Franken etwas teurer als der Neubau in Baden, laufen neben dem
Telli-Hochhaus die Arbeiten am neuen Gebäude der Kantonspolizei. Auf fünf
Stockwerken erhalten die Aargauer Gesetzeshüter 5500 Quadratmeter Nutzfläche
für 65 Millionen Franken. Im Sommer 2025 soll der Neubau fertig sein, der die
Anforderungen von Minergie-P-ECO Standard und dem Standard Nachhaltiges Bauen
Schweiz erfüllt.
Quelle: Ben Kron
Zwischen den Gleisen der SBB und der Aargau Verkehr entsteht das Gebäude Bahnhof Süd, das Ende nächsten Jahres fertiggestellt sein soll.
«Torfeld Süd»: Warten aufs neue Stadion
Leider immer noch nicht zu den laufenden Grossprojekten gehört das «Torfeld Süd». Die Überbauung besteht aus vier Wohn-türmen, mit denen das dazwischenliegende Fussballstadion querfinanziert werden soll. Nun hat zwar das Bundesgericht zwei Beschwerden abgewiesen, die im Kontext der Richtplankonformität des Wohnschwerpunkts und der Lärmproblematik eingegangen waren.
Doch muss man abklären, ob das Urteil dennoch Anpassungen auf der Ebene
des Gestaltungsplans nötig macht. Sollte dies der Fall sein, muss der
Gestaltungsplan erneut öffentlich aufgelegt werden. Mit allen möglichen
Einsprachemöglichkeiten. Heisst: Nicht vor 2025 wird im Torfeld der Baustart
erfolgen.
Auch dem Projekt «Tivoli-Garten» in Spreitenbach wehte anfangs
ein kräftiger Gegenwind ins Gesicht: Der Verkehrsklub der Schweiz hatte sich
bis vor Bundes-gericht gegen die Parkplatzbewirtschaftung gewehrt. Doch 2019
kam es zu einer Einigung und zum termingerechten Baubeginn. Mitte 2024 werden
die insgesamt sechs Gebäude, davon zwei Hochhäuser, mit total 445 Wohnungen
fertiggestellt sein. Und Spreitenbach wird auf einen Schlag um tausend Bewohner
wachsen. Bereits seit letzten Sommer existiert die Haltestelle der
Limmattalbahn, die direkt unter dem Gebäudekomplex durchfährt.
Quelle: Zahnder Immo
Etwas kleinere Kelle, aber immerhin: Im Projekt Lammet in Frick werden rund 300 Wohnungen neu erstellt.
Frick boomt
Nicht ganz so gross ist die Kelle, die in Frick im Gebiet
Lammet geschwungen wird. Dort dürften in Kürze zwei Projekte starten, die
insgesamt 300 Wohnungen sowie einige Reihen- und Doppeleinfamilienhäuser
umfasst. Auch die Fricktaler Metropole wird damit einen zünftigen
Wachstumsschub erhalten.
Solche grossen Wohnbauprojekte können nicht darüber
hinwegtäuschen, dass der Wohnungsmarkt auch in Aargau unter Druck gerät,
wenngleich die Lage noch nicht so dramatisch ist wie beim Nachbarn Zürich. Das
Bevölkerungswachstum und die Ansiedlung von Firmen sorgen für einen Anstieg der
Marktmieten und eine Verknappung des Angebots. Die Leerwohnungsziffer hat mit
1,65 einen historischen Tiefstand erreicht.
Run auf Geisterstädte
Die Bautätigkeit kann mit dem Wachstum nicht mithalten, zumal diese bescheiden ausfällt. Im Aargau wurden im Jahr 2020 exakt 1059 Gebäude mit Wohnnutzung und darin 3771 Wohnungen neu erstellt. Das sind 98 Gebäude weniger als im Jahr zuvor, bei den Wohnungen sind es rund 1000 Einheiten weniger. Deshalb werden leere Wohnungen für Zuzüger knapp. Diese kommen nach wie vor in erster Linie aus dem Kanton Zürich. Und der Zustrom sorgt dafür, dass jetzt auch Überbauungen gefüllt werden können, die zuvor einen schweren Stand bei der Vermietung hatten. Oder wie es der Blick formuliert: «Plötzlich sind auch Geisterstädte beliebt».
Quelle: Bundesamt für Statistik