Basel: Helvetia darf am Steinengraben bauen
Die Helvetia Versicherung darf am Basler Steinengraben alte Wohnhäuser abreissen und einen Büro-Neubau erstellen. Die gesetzlichen Vorgaben würden eingehalten, hielt das baselstädtische Appellationsgericht am Montag fest und wies Rekurse ab.
Quelle: Visualisierung zvg
So soll der Neubau aussehen.
Die Helvetia-Versicherung, welche das umstrittene Projekt mit der Übernahme der National Versicherung geerbt hatte, will die aus den 1870er-Jahren stammenden Liegenschaften am Steinengraben 30 bis 36 abreissen. In Verbindung mit dem angrenzenden jüngeren Haus 28 will sie ein Bürohaus mit Wohnungen erstellen. Gegen den Abriss wehrten sich Mietende und der Mieterverband. Sie kritisieren das Projekt als mit ein paar Alibi-Wohnungen dekorierten Büroklotz, dem rarer günstiger Wohnraum und wertvolle Bäume geopfert würden. Die vier Häuser als Gesamtprojekt unter Einbezug eines Bestandesbaus zu sehen sei unzulässig, ebenso Flächenberechnungen.
Die Mietenden blitzten schon vor dem Bau- und Gastgewerbeinspektorat (BGI) im März 2016 ab. Dieses erteilte die Baubewilligung mit der Begründung, das neue Wohnraumfördergesetz (WRFG) werde korrekt angewendet, denkmalschutzwürdig seien die Altbauten nicht, die Bäume würden adäquat ersetzt, und die wertvollen Gärten wögen das Interesse an neuem Wohnraum nicht auf.
BRK wollte mehr Platz für Baumwurzeln
Nach Einsprachen änderte die Baurekurskommission (BRK) zwar leicht die Flächen-Berechnungsweise, doch nicht die Einschätzung der WRFG-Konformität. Beim Baumschutz jedoch war die BRK kritischer: Zwei Aussparungen in Tiefgarage für Bäume seien zu knapp, weshalb das Bauprojekt zu überarbeiten sei, urteilte die BRK im August 2016.
Das Appellationsgericht in Dreierbesetzung hat dies nun aber am Montag gekippt: Nach einem Augenschein hob es den Vorinstanzentscheid der BRK wieder auf. Damit gilt die Baubewilligung des BGI – sofern das Urteil nicht ans Bundesgericht weitergezogen wird. Laut Gerichtspräsident ist die Denkmalfrage ausreichend abgeklärt; Schützwürdigkeit sei weder im Quartierzusammenhang noch in der Bausubstanz gegeben. Auch sei eine Gesamt- statt Einzelbetrachtung im Sinne des Gesetzgebers, da guter Wohnraum angestrebt werde. Ebenfalls zulässig sei, das Haus 28 einzubeziehen.
Gesetzlich entpolitisierte Berechnung
Das WRFG operiere überdies korrekt mit der – von der SIA-Norm 416 definierten – Nettogeschossfläche: Damit entfalle mit Absicht eine politische Bewertung, ob etwa Nebennutzflächen wie Keller und Estriche wichtiger seien als Einstellhallen-Parkplätze; dort ergäben sich Verschiebungen von den Abbruchhäusern zum Projekt.
Weiter verwies das Appellationsgericht auf die Interessenabwägung der Vorinstanzen, wonach die Altbau-Gärten zwar ein Naturobjekt seien, aber eben "kein hochrangiges", das wichtiger wäre als das Bauprojekt. Der Bund wünsche innere Verdichtung im Siedlungsgebiet, und das Areal ist laut Gerichtspräsident heute "klar unternutzt". Die zweistöckigen Altbauten stehen in der Zone 5.
Dem neuen Gebäude fällt konkret eine Hainbuche zum Opfer; vier weitere Bäume (Buche, Kastanie, Zypresse und Eibe) müssen für den Bau der Tiefgarage entfernt werden, die unter den Garten reicht.
Das BGI hat für die Gärten samt altem Baumbestand indes Ersatz verlangt; der Bepflanzungsplan muss vor Baubeginn bewilligt sein.
Nach dem Augenschein mit Ausführungen eines Baumschutzexperten hält das Gericht insbesondere zwei geplante Aussparungen in der Tiefgarage für Ersatzbäume für ausreichend. Das BGI hatte diese verlangt, damit mindestens drei mittel- bis grosskronige Bäume als Ersatz dort gepflanzt werden und ausreichend Wurzelraum finden.
Investorenfreundliches Präjudiz
Zwar können so je nach Baumart Wurzeln auch über die Tiefgarage wachsen, was bei einer Sanierung später zur Fällung führen dürfte. Doch dies wäre auch bei grösseren Aussparungen ein mögliches Problem, sagte der Präsident weiter. Künftig würden wohl weniger Tiefgaragen von oben saniert, zumal dies viel teurer sei als von innen; die Raumhöhe sei dazu hier grösser projektiert als früher üblich. So hätten die Ersatzbäume wohl 70 bis 80 Jahre Zeit aufzuwachsen, was in der Güterabwägung angemessen sei.
Die BGI-Vertreterin wie auch ein Vertreter der Bauherrschaft hatten gewarnt, zu restriktiver Baumschutz hätte als Präjudiz Folgen für spätere Bauprojekte. Kleinere Einstellhallen würden auch den Druck auf oberirdische Parkflächen erhöhen, sagte die BGI-Vertreterin. Ein BRK-Vertreter hatte demgegenüber vor dem Gericht argumentiert, zu viel Entgegenkommen für Bauwillige habe Folgen für den gesamten städtischen Baumbestand: Langlebige Bäume könnten so mit der Zeit rar werden. (sda)