Auffällig unauffällig, erfinderisch und gut
Die Landschaftsarchitekten Rotzler Krebs Partner aus Winterthur, auch bekannt für die Gestaltung des Lettenareals in Zürich, schaffen lebendige Freiräume, die beeindrucken –„mehr durch Einfachheit als durch Exaltiertheit“, wie Stefan Rotzler sagt. Für ihre umsichtige, subtile Arbeit ist das Büro mit dem Schulthess-Gartenpreis 2011 ausgezeichnet worden.
Friedliche Gelassenheit. Friedlich ist das Wort, das diesen gestohlenen Ort hier besser als jedes andere beschreibt. Hier, das ist der Streifen Grün, der zwischen backsteinernem Fabrikgebäude und Bahngleisen wahren Oasencharakter atmet: Feigenbäume, Palmen, Stauden und Gräser. Das urbane Arkadien liegt dem Büro Rotzler Krebs Partner zu Füssen. Wer die Landschaftsarchitekten auf dem Sulzerareal in Winterthur besucht, wandelt über Kopfsteinpflaster auf alten Industriepfaden: In über 150 Jahren wuchs die erste Bronzegiesserei der Familie Sulzer zu einem global agierenden Grosskonzern mit 33'000 Mitarbeitern; heute ist das ehemalige Industriegelände ein heterogenes Stadtquartier mit Wohnungen, Kleinbetrieben, Künstlerateliers und dem Charme vergangener Zeiten.
Industriespuren zieren auch die Büroräumlichkeiten der Architekten: alte Steinböden, welliges Fensterglas, im Gang verlaufen noch Schienen für Transportwaggons. Später wird Alexander Heinrich – neben Matthias Krebs, Stephan Herde und Stefan Rotzler – seit 2011 Partner von Rotzler Krebs, seinen gestalterischen Leitbegriff verraten: Aneigbarkeit. Einen Raum wahrnehmen, erkunden, erobern, interpretieren. Wenn es dies also gibt, einen «angeeigneten Ort», sind Garten und Büro der Winterthurer Architekten das beste Beispiel dafür: Hier wird «Raum» individuell gelebt, subjektiv gedacht und interaktiv gestaltet.
Der bildenden Kunst abgeschaut
Ein anderer, diesmal öffentlicher Rückzugsort, den Rotzler Krebs Partner «zur Aneignung» entworfen und realisiert haben, ist der Brühlgutpark am äusseren Rand des Sulzerareals. 2006 von der Stadt Winterthur als Studienauftrag ausgeschrieben, sollte der ehemals private Villengarten zum Stadtteilpark mit breit gefächerten öffentlichen Nutzungsmöglichkeiten werden. Was für Alexander Heinrich die Aneignung ist, läuft für Bürogründer Stefan Rotzler auf die «erfinderische Anamnese» heraus: «Wir erleben Urbanität und damit auch Landschaft als Reibung. Entwürfe entstehen bei uns, indem wir die Aufgabe hinterfragen, durchleuchten, auseinanderschrauben und die Bedürfnisse an den Ort entflechten, um dann alles schöpferisch und emotional zu kombinieren und neu zusammenzusetzen.» Ein ingeniöser Akt, der Risiken birgt – und manchmal zu der Einsicht führt: «Auch durch Unauffälligkeit kann man auffallen.»
Steht man dann allerdings im Brühlgutpark, kommen einem erst einmal andere Vokabeln in den Sinn: Prägnanz, Grosszügigkeit, auch Sinn für feinen Humor. Die soziale Mitte des Parks haben Rotzler Krebs Partner als ovale, oder besser: eiförmige Grünfläche angelegt. Umschmiegt wird das Rasenei von einem Betonband, dem «Collier», das seine Höhe in kommunikativem Spiel mit der Gelände- und Wegmodellierung variiert. Eine zeitgemässe Sitzgelegenheit, die auch Liege, Balancier-Mauer und Picknicktisch sein kann – abgeschaut aus der modernen Kunst. Stefan Rotzler lacht: «Es ist wie mit dem Huhn und dem Ei: Wir wissen einfach nicht mehr, ob das Bild zuerst da war, oder die Idee – und das Bild tauchte, wie zur Bestätigung, erst später auf.» Das Bild: «Minimalismus» (1972) von Robert Mangold. Der US-Künstler, bekannt für eindrückliche Gemälde von grossflächiger Wirkung, irritierender Form und ungewöhnlicher Farbgebung, setzt seit Mitte der 1960er Jahre die Grundelemente der Malerei – Umrissform, Linie, Fläche und Farbe – in spannungsreiche Beziehung zueinander. Für Rotzler, der über ein Studium der Kunstgeschichte und «die wunderschönen Landschaftsbilder der Renaissance» zur Gartenarchitektur kam, ist die bildende Kunst eine der ergiebigsten Inspirationsquellen.
Urbaner Garten par excellence
«Die Idee des zentralen Pleasureground», merkt Alexander Heinrich an, «ist aber schon in den historischen Plänen zu erkennen.» 1870 wurde der Brühlgutpark als damals typischer Landschaftgarten mit geschwungenen Wegen, dekorativen Baumgruppen und einer freien Rasenfläche vom berühmten Gartenarchitekten Conrad Loewe aus Württemberg geschaffen. Während 100 Jahren fristete der ab Mitte des letzten Jahrhunderts öffentliche Park ein weitgehend unbeachtetes, fast ungepflegtes Dasein. Für die überfällige Umgestaltung und Anpassung an die Bedürfnisse der Parknutzer – Flaneure, Mütter mit Kindern, Velofahrer, Menschen aus dem Alterszentrum Brühlgut – haben Rotzler Krebs Partner den renommierten Schulthess-Gartenpreis 2011 des Schweizer Heimatschutzes gewonnen. Gewürdigt wird, wie es in einer Medienmitteilung heisst, die «umsichtige Arbeit» des Büros, das «gekonnt den vorhandenen Bestand mit neu eingefügten Elementen zu einem wegweisenden Grünraum» verknüpft.
Wegweisend heisst: Rotzler Krebs Partner haben einen urbanen Garten par excellence geschaffen. «Einen Begegnungsraum, in dem jeder seine Nische finden kann», wie Stefan Rotzler sagt. Gleichzeitig auch einen Park, der durch seine grüne Gestaltung den landschaftlichen Bürgergarten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf subtile Weise aufleben lässt: Als reizvoller Kontrast zur formalen Rasenfläche gruppieren sich rund um den «Pleasureground» üppige Staudenpflanzungen und Ziergehölze (immergrüne Ölweiden, Duftblüten, Stechpalmen und Buchssträuchern), eingerahmt vom alten Baumbestand des ehemaligen Villengartens. «Aquarellieren ist ein ureigenes Thema der Landschaftsarchitektur», sagt Rotzler. Und so hat sich der Brühlgutpark auch dank seiner reichen Pflanzenwelt, mit Blüten rund ums Jahr, wieder zu einem Stück Kulturgut gemausert, wie es der Gartenstadt Winterthur bestens steht.
Mensch, Fauna und Flora in friedlicher Koexistenz
Landschaft, sagen Stefan Rotzler und Alexander Heinrich im Gespräch, sei vor allem gekennzeichnet durch Konstanz; gerade dadurch könne sie bei uns Gefühle von Vertrauen, Identität und Heimat evozieren. Und wenn im urbanen Kontext jede Form von Landschaft fehlt? Wenn beispielsweise das grossflächige Areal einer ehemaligen Deponie, auf der im Zuge neuer Besiedlungskonzepte neuer Wohnraum entsteht, einem naturellen Nichts gleicht? Wie schaffen es die Architekten da, eine identitätsbildende Umgebung zu schaffen, einen naturnahen Freiraum für Bewohner und Besucher?
«Mit einem strategischen Trick.» Man merkt, das gerade abgeschlossene Projekt «Wohnüberbauung Hardegg, Bern» hat Stefan Rotzler Spass gemacht. «Wir konnten das beteiligte Architekturbüro Matti Ragaz Hitz Architekten aus Liebefeld überzeugen, die Wohnungen in hochverdichteten, raumbildenden Baukörpern zusammenzufassen.» Durch die bauliche Konzentration auf ein Langhaus (Mietwohnungen) und einzelne Punktbauten (Eigentumswohnungen) ergab sich auf dem Areal jene innere Weite, die Rotzler Krebs Partner vor Augen schwebte: «Unser Ziel war ein entspannter, unaufgeregter Wohnpark, in dem Mensch, Fauna und Flora in friedlicher und selbstverständlicher Koexistenz leben.» Den Puls der Bebauung bildet der unterirdisch verlaufende Sulgenbach, den die Architekten auf dem Hardegg-Areal mittels einer Pumpstation an die Oberfläche führten. Als Lebensader mäandert der Bach nun durchs Quartier, zwischen bespielbaren Betoninseln, bevor er über einen Sturzbrunnen wieder in der Tiefe versinkt.
Und die Pflanzenwelt, die dem neuen Wohngebiet einen fast steppenartigen, wilden Charakter verleiht? Stefan Rotzler nickt: «Ja, da haben wir uns für eine recht unmoralische Mischung entschieden.» Auf den verschiedenen Kiessubstraten der Freiflächen sind artenreiche Magerwiesen angesät, einheimische Pflanzen treffen auf Wüsten-Exoten, etwa Tamariskensträucher, die rosa- bis purpurfarben blühen. Es sei ihnen wichtig gewesen, sagen die Architekten, einen Vegetationsprozess anzustossen, der sich nun selbstständig zu einem natürlichen Idyll entwickeln darf. «Das Erlebnis der konstanten Veränderung der Pflanzengesellschaften und die Zyklen von Wachsen, Blühen und Vergehen erzeugen ein Gefühl der Vertrautheit und Zugehörigkeit.» Die Natur reguliert sich selbst. Und was machen die Landschaftsarchitekten? Beobachten die Langzeitentwicklung der Artenvielfalt – gespannt und respektvoll.
Ein Jahrhundertprojekt entsteht
Gespannt ist Alexander Heinrich auch, wie sich das «Projekt Europaallee» in Zürichs Mitte entwickeln wird. Bis 2020, erzählt der Architekt, soll neben dem Gleisfeld des Zürcher Hauptbahnhofs ein neues Quartier mit Gastronomie, Handel und Wohnungen gewachsen sein. Die Gestaltung des öffentlichen Raums, der Europaallee als verbindendes stadträumliches Element, obliegt dem Winterthurer Büro – eine Aufgabe, die vorausschauendes Denken und grosse Flexibilität erfordert. Als Zwischenlösung legten Rotzler Krebs Partner ein Gestaltungskonzept vor, das in Wechselwirkung mit dem laufenden Bauprozess steht. «Es galt, auf die Rahmenbedingungen zu reagieren und gleichzeitig einen neuen, erinnerbaren Raum zu schaffen», erklärt Heinrich. Die Kernidee: Sitzringe aus rohem Holz, die auf dem vorläufigen Asphaltbelag variabel gruppiert und auch von den Restaurantbetrieben genutzt werden können. Bunte, kreisförmige Farbmarkierungen auf dem Boden korrespondieren mit den robusten Sitzgelegenheiten. Für zusätzliche Farbtupfer in der grauen Umbauphase sorgen auf dem Belag aufliegende Schmuckpflanzungen mit periodisch wechselndem Blütenflor, die je nach Bedarf mit den Baufeldern mitwandern.
Ab 2017 soll dann mit dem eigentlichen Ausbau der Allee begonnen werden. Alexander Heinrich verrät: «Prägen wird diesen stark urbanen Raum die charakteristisch schlanke Gestalt der Ginkgobäume.» Für ein grossangelegtes, nachhaltig geplantes Langzeitprojekt wohl die richtige Wahl: Der Ginkgo gilt als stadtverträglicher, widerstandsfähiger Baum, dessen Wurzeln immerhin 300 Millionen Jahre zurückreichen.
von Alice Werner