08:09 BAUBRANCHE

AKW-Fessenheim: Der Pannenmeiler und der Rückbau

Teaserbild-Quelle: EDF

Regelmässig geriet es in die Schlagzeilen wegen seiner zahlreichen Stillstände und seiner Lage im erdbebengefährdeten Oberrheingraben. Beides machte das Kernkraftwerk Fessenheim im Elsass über Jahrzehnte zu ein Hotspot für Demos der Atomkraftgegner. Nun wird es rückgebaut.

AKW Fessenheim

Quelle: EDF

Das Kernkraftwerk nördlich von Mulhouse im Elsass befindet sich am Rheinseitenkanal (Grand Canal d’Alsace), aus dem das Kühlwasser bezogen wurde. 106 Hektaren umfasst das Gelände.

1977 waren die beiden Fessenheimer Reaktoren in Betrieb gegangen. Ursprünglich war sogar der Bau von zwei weiteren Reaktoren vorgesehen. EDF gab die Pläne für Block III und IV erst 1991 endgültig auf. Fessenheim liegt im Elsass, lediglich vierzig Kilometer nördlich von Basel. Daher hatte man in der Nordwestschweiz unter anderem wegen der Erdbebengefahr schon lange auf das Abschalten des regelmässig als «Pannenreaktor» in den Medien erschienenen Kraftwerks gedrungen. Auch im nur wenige Kilometer entfernten Freiburg im Breisgau war der Druck auf die EDF gross, die die Abschaltung allerdings über viele Jahre zu verhindern verstand. – Die Geschichte des Atomkraftwerks Fessenheim ist – auch es keinen Strom mehr produziert – noch lange nicht zu Ende. Auch die Gefahren bleiben vorerst erhalten.

Reaktoren in Chooz als Vorbild

Gemäss Angaben der Betreiber werden es allein die Vorbereitungsarbeiten für den Abbau der Reaktoren fünf Jahre dauern. Die Demontage selbst ist mit weiteren 15 Jahren veranschlagt. Kosten: mindestens eine Milliarde Euro. Danach soll auf dem Gelände ein grenzübergreifendes Vorzeigeprojekt entstehen, um das bereits heftig gerungen wird. Dazu später.In Fessenheim selbst, einer 2300-Einwohner-Gemeinde, ist das Unbehagen gross. Der Ort lebt beinahe vollständig und sehr gut vom Kraftwerk, das die Steuerkasse füllt und hunderte Arbeitsplätze bietet. Niemand weiss, ob ein Nachfolgeprojekt gelingt und wer dort Arbeit finden wird.

Das Vorbild für das grundlegende Vorgehen beim Rückbau liefert der Abbruch einer der drei Reaktoren in Chooz (F) in den Ardennen, 30 Kilometer von der belgischen Grenze entfernt. Dort wurde ein technologisch ähnlicher Reaktor bereits 1991 abgeschaltet. Seit 1999 wird er rückgebaut, 2022 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.

Die fünfjährige Frist bis zum Demontagebeginn in Fessenheim werden laut EDF dafür genutzt, die vorhandenen Installation zu analysieren, die Kreisläufe zu reinigen und natürlich das radioaktive Material abzutransportieren. Der Reaktorbehälter von Block 1 ist bereits im März 2020 entleert worden, Block 2 folgte im Juli. Nun lagern alle Brennstäbe in Abklingbecken. Zur grossen Erleichterung der zahlreichen Atomkraftgegener, die sich in Frankreich, Deutschland und der Schweiz über Jahrzehnte vehement für die Abschaltung eingesetzt hatten.

Früh in den Schlagzeilen

Schon früh nämlich sorgte der Atommeiler in Fessenheim für Schlagzeilen. In Frankreich, aber vor allem in den atomkraftkritischeren Nachbarländern.  So sind bereits 1979 Haarrisse im Stahl eines Reaktordruckbehälters bekannt geworden. Die Basler Zeitung (BaZ) schrieb schon 1980 von einer «wahren Pannen-Kaskade», als ein Schaden in einem Dampferzeugerrohr zum Austritt von gering radioaktivem Wasser vom Primär- in den Sekundärkreislauf führte.

Beide Reaktoren mussten abgeschaltet werden. Immer wieder kam es zu Pannen die zu Abschaltungen führten. Anfang der 1990er Jahre, so schreibt die BaZ, habe der damalige Fessenheim-Direktor Philippe Gustin am Rande einer Präsentation der Jahreszahlen dennoch gesagt: «Ich erinnere Sie daran, dass Fessenheim erst 15 Jahre alt ist. Das ist für einen Industriebetrieb noch jung. Wir streben an, das AKW 40 Jahre zu betreiben.» Das sollte tatsächlich gelingen.

Oberrheingraben und Rheinseitenkanal

Eigentlich hätte, wie Jürg Stöcklin immer wieder erklärt, in Fessenheim niemals ein Kernkraftwerk gebaut werden dürfen. Stöcklin ist Präsident des Trinationalen Atomschutzverbands TRAS, in dem sich seit 2005 grenzüberschreitend vor allem Gemeinden, Städte, Landkreise und Kantone zusammengeschlossen haben. Im Laufe der Zeit wurden es immer mehr. Am Schluss hatte TRAS etwa 100 Mitglieder. Dass sich so viele Städte und Kommunen engagierten hat verschiedene Gründe. Fessenheim liegt im Oberrheingraben, einer Erdbebenzone. Bei einem Dammbruch das angrenzenden Rheinseitenkanals würde Überschwemmung drohen. Es gab nicht wenige Experten die der Ansicht gewesen sind, dass an dieser Stelle niemals ein Atomkraftwerk hätte gebaut werden dürfen.


Maschinenhalle AKW Fessenheim.

Quelle: EDF

Die EDF plant, manche Komponenten zu sichern und in anderen Kraftwerken als Ersatzteile zu nutzen. Im Bild: Die Maschinenhalle des AKW Fessenheim.

Die Gutachtenschlachten und Prozesse, die TRAS führte, schienen eigentlich schon einige Jahre früher zum Erfolg geführt zu haben. Kaum gewählt erklärte Präsident François Hollande, dass Fessenheim spätestens 2016 geschlossen werden würde. Doch die EDF wusste das hinauszuzögern. Hollande musste zurückkrebsen. Zuerst wurde die Schliessung an die Inbetriebnahme des neuen Meilers in Flamanville gekoppelt, die für 2018 anvisiert war. Flamanville weisst jedoch bis heute so viele Mängel auf, dass es noch immer nicht am Netz ist.  2019 gelang es, die Schliessung Fessenheims von der Inbetriebnahme Flamanvilles wieder zu entkoppeln. Es dauerte noch bis ins Folgejahr, bis die Elsässer Reaktoren endgültig heruntergefahren wurden.

377 Millionen Euro als Entschädigung

Die EDF hatte die Zeit genutzt, um eine Millionenentschädigung herauszuverhandeln. Diese basiert auf dem Argument, dass man den Reaktor noch lange Jahre hätte weiter betreiben können und man einen Ausgleich für diese Verluste bekommen müsse. Stöcklin sah das in einer Pressekonferenz zur Abschaltung des Reaktors so: «Die Schliessung beruht letztlich auf dem Eingeständnis, dass Erdbebenrisiko und technische Mängel untragbar geworden sind. Fessenheim hätte die nächste Zehnjahresprüfung, die ja bald fällig gewesen wäre, nicht überstanden. Für die EDF hätten teure Nachrüstungen angestanden.»

Die EDF fährt also vielleicht gar nicht schlecht mit der Schliessung. Die Zeitung Dernières Nouvelles d`Alsace (DNA) meldete im November, der Staat habe zugesagt bis Ende 2020 377 Millionen Euro als Entschädigungszahlung zu überweisen. Dazu komme noch ein variabler Teil, der noch berechnet werden solle. Er berücksichtigt die nicht mehr produzierten Strommengen, die die EDF bei einem hypothetischen Betrieb bis 2041 rein rechnerisch hätte produzieren können.  Auch wenn das Kraftwerk niemals für eine derart lange Betriebszeit ausgelegt war und dem in jedem Fall enorme Investitionen zur Ertüchtigung gegenübergestanden hätten. Allein zwischen 2013 und 2018 musste die Stromproduktion wegen Wartungen oder Sicherheitsabschaltungen an 1044 Tagen eingestellt werden. Das entspricht dem Stillstand eines der beiden Reaktoren an fast zwei von fünf Jahren.

Immerhin ist nun ein Abbruch innerhalb von zwanzig Jahren geplant. Erst 2001 nämlich hat die EDF ihren lange gehegten Plan aufgegeben, die Gebäude nach der Entsorgung der Brennstäbe einfach zunächst einmal einige Jahrzehnte lang stehen zu lassen und abzuwarten, bis sich die Radioaktivität von selbst gesenkt hat. Das wäre erst einmal so bequem wie billig gewesen, die teure Entsorgung wäre künftigen Generationen aufgebürdet worden. Auch hätte man für den Rückbau nicht mehr vom Wissen und die Erfahrung der in den Betrieb involvierten Fachleuten profitieren können.

Gemäss Berechnungen der Société française d`énergie nucléaire (Sfen) fallen in Fessenheim 380 000 Tonnen Abbaumaterial an. Davon können 94 Prozent als konventionelle Abfälle behandelt werden. Die erste Etappe nach der endgültigen Abschaltung konnte noch 2020 vollendet werden. Die Brennelemente aus beiden Reaktorblöcken sind in einer aufwendigen Aktion in die Abklingbecken gebracht worden. Läuft alles nach Plan, so werden sie tranchenweise bis Mitte 2023 nach La Hague gebracht. Der Zeitplan der EDF nach Ansicht von Experten aber durchaus sportlich, da die Transportkapazitäten begrenzt sind und im Betrieb befindliche Kernkraftwerke bei Transporten Priorität haben.

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Quelle: EDF

Die Energie wurde von zwei Druckwasserreaktoren mit einer Leistung von je 900 [Achtelgeviert] MW produziert.

Mehrfach Nachbesserung gefordert

André Herrmann, ehemaliger Präsident der Eidgenössischen Strahlenschutzkommission, hat sich als Experte für TRAS die Abbaupläne angesehen – und deutlichen Nachbesserungsbedarf gefunden. So seien weiterhin die europäischen Normen für Erdbebensicherheit bei den Abklingbecken, Grundwasserpumpen und Reservoirs nicht gewährleistet. Die zuständige Aufsichtsbehörde, die Autorité de Sûreté Nucléaire (ASN), habe diese Schwächen mehrfach bei der EDF gerügt. Deren Stellungnahmen stünden aus. Die ASN sendete auch den Rückbauplan mehrfach zur Nachbesserung an die EDF zurück, weil er die nötigen Auflagen noch nicht erfüllte, wie DNA berichtete.

Herrmann stellte vor der Presse klar, die erste Fassung des Rückbauplans vom August 2019 sei «mangelhaft, gar unseriös» gewesen und haben den Eindruck erweckt, eine Alibi-Übung zu sein. Die zweite Fassung vom Mai 2020 war immerhin doppelt so umfangreich, habe aber noch immer nicht alle Auflagen der ASN erfüllt. Das sei für die verbindlichere, dritte Fassung angekündigt worden.

Das gesamte nukleare Inventar der beiden Anlagen wird in zwei Becken ausserhalb der Reaktorgebäude gebracht, was das Risiko bei Erdbeben, Terrorangriffen oder anderen Gefahrenquellen erhöht.

André Herrmann, ehemaliger Präsident der Eidgenössischen Strahlenschutzkommission

Herrmann bringt vor allem Bedenken wegen der Störanfälligkeit der Abklingbecken von Fessenheim vor. Anders als bei Siedewasserreaktoren wie etwa Mühleberg, befinden sich diese Becken bei Druckwasserreaktoren, wie in Fessenheim, nicht im relativ gut gegen externe Einflüsse geschützten Reaktorgebäude, sondern ausserhalb. «Das gesamte nukleare Inventar der beiden Anlagen wird in zwei Becken ausserhalb der Reaktorgebäude gebracht, was das Risiko bei Erdbeben, Terrorangriffen oder anderen Gefahrenquellen erhöht.»

Die ebenfalls bemängelte Gefahr durch ungenügende Kühlwasserreserve oder Wasserverlust in den Becken kontert die EDF laut Herrmann mit dem Argument, es dauere 255 Stunden, bis die Brennelemente in den Becken nicht mehr mit Wasser abgedeckt seinen. Das genüge allemal, um eine Notkühlung herzustellen. Die Gefahr eines Flugzeugabsturzes auf Fessenheim sei trotz des nahen Flughafens Basel/Mulhouse mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 bis 7 so gering, dass die Richtlinien erfüllt seien.  TRAS fordert mit Nachdruck, die Erdbebenfestigkeit des Gebäudes der Abklingbecken, der Grundwasserpumpe und des Schachtes sowie der Reservoirs entsprechen der EU-Anforderungen anzupassen, zusätzliche Kühlwassertanks vor Ort zu platzieren und die Becken gegen Terrorangriffe zu stärken.

Technopark statt AKW

Ganz verschwinden wird das Kernkraftwerk Fessenheim trotzdem nicht. Die EDF versucht, Bauteile für andere Kraftwerke zu sichern. Schon im Oktober 2020 wurde beispielsweise eine Wellendrehvorrichtung entnommen. Thierry Losson, Geschäftsleiter der Unité Logistique Maintenance der EDF, zeigte sich nach erfolgreichen Abtransport des 20 Tonnen schweren Apparates erleichtert, dass alles glatt ging und versichert: «Fessenheim wird weiterleben. Mit Ersatzteilen, die zum Betrieb unserer verbleibenden Kraftwerke beitragen.»

Fessenheim wird weiterleben. Mit Ersatzteilen, die zum Betrieb unserer verbleibenden Kraftwerke beitragen.

Thierry Losson, Geschäftsleiter der Unité Logistique Maintenance der EDF

Der tatsächliche Rückbau, der also frühestens in fünf Jahren beginnen kann, wird dann in vier Phasen unterteilt. Zuerst werden die elektromechanischen Komponenten abgebaut, darunter die Dampfgeneratoren, der Primärkreislauf, der Reaktorbehälter sowie die Becken für die Brennstäbe. Es folgt der Abbau der Reaktorgebäude selbst, wobei erst alle verbleibenden radioaktiven Komponenten entfernt werden, bevor die Gebäude selbst konventionell abgerissen werden und entsprechend einfacher entsorgt werden können. Der Abbau der Gebäude erfolgt bis in einen Meter Tiefe. Die weiteren Betriebsgebäude werden abgerissen, sobald sie nicht mehr benötigt werden. Als letzte Phase schliesst sich die Wiederherstellung des Baugrunds an, bevor, soweit die aktuelle Idee, auf dem Gelände ein Deutsch-Französischer Technopark angesiedelt wird.

Zeitungsberichten zufolge soll dort unter anderem ein Recyclingpark für radioaktive Metallkomponenten entstehen, der bis zu 150 Arbeitsplätze schafft. Kaum wurde das bekannt, sandten umgehend mehreren Dutzend Organisationen Protestschreiben an die EDF. Diese vertröstete vorerst und versicherte, vor 2023 werde der Entscheid keinesfalls getroffen.

Das älteste Atomkraftwerk in der Schweiz

Regierungsrat Lukas Engelberger, Vorsteher des Gesundheitsdepartements Basel-Stadt, merkte aus Schweizer Sicht an: «Das älteste sich noch in Betrieb befindliche AKW der Welt steht allerdings in der Schweiz. Ich kann Ihnen versichern, dass der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt den Betrieb des AKW Beznau ebenso kritisch begleitet, wie er dies bei Fessenheim tut. Auch dieses AKW weist erhebliche Mängel auf: So können wichtige Sicherheitsstrategien aufgrund von Platzmangel nicht umgesetzt werden. Der Reaktordruckbehälter ist aufgrund des langen Betriebes des AKW geschwächt. Und 2012 wurden beim Nachweis der Erdbebensicherheit aus unserer Sicht zu hohe Dosisgrenzwerte verwendet.» Das Ziel müsse sein, auch das AKW Beznau baldmöglichst vom Netz zu nehmen. Man baue auch hier wieder gerne auf die gute Zusammenarbeit mit TRAS.

Der Energie-Artikel in der Verfassung des Kantons Basel-Stadt verpflichte den Regierungsrat sogar explizit, sich gegen die Nutzung von Kernenergie zu wenden. Statt dessen habe er dafür zu sorgen, dass umweltfreundlichere und weniger gefährliche Energiequellen ausgebaut würden. Das entspricht auch dem Beschluss des Bundesrates zum schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie.

Verbotstafel

Quelle: Alexandra von Ascheraden

Das Gebiet rund um den Atomreaktor ist eine Hochsicherheitszone. Das wird auch in der Zeit während des Rückbaus so bleiben.

Geschrieben von

Regelmässige freie Mitarbeiterin für das Baublatt. Ihre Spezialgebiete sind Raumplanung, Grünräume sowie Natur- und Umweltthemen.

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