30 Jahre nach Asbest-Verbot: Die Wunderfaser ist noch nicht vom Tisch
Vor 30 Jahren wurde die Verwendung von Asbest verboten, seit 2016 ist die Abklärung von Asbestvorkommen bei Bauvorhaben an Gebäuden mit Baujahr vor 1990 Pflicht. Das Material ist immer noch sehr präsent: 2019 wurden der Suva 7664 Sanierungsbaustellen gemeldet.
Quelle: Gemeinfrei
Amphibol-Asbestfasern, Symbolbild.
Nicht alle sind sich der Asbest-Problematik bewusst: «Es gibt noch Unmengen von Kleinbaustellen, bei denen weder vor einem Eingriff getestet noch fachgerecht entsorgt wird», sagt Daniel Bürgi, Präsident der Vereinigung für Asbestberater, auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Eine Abklärung auf asbesthaltiges Material sei meist zwingend, denn der Baustoff komme in 90 Prozent der Gebäude, die vor dem Verwendungsverbot 1990 gebaut wurden, vor. «Es gibt gemäss heutigem Wissensstand praktisch keine Fläche mehr, die in diesen Gebäuden nicht asbestverdächtig ist.»
Meldepflicht bei Suva
Seit Januar 2016 ist für baubewilligungspflichtige Vorhaben an solchen Gebäuden eine Pflicht zur Abklärung von Asbestvorkommen sowie anderen möglichen Bauschadstoffen gesetzlich vorgeschrieben, wie Bürgi sagt. Falls anschliessend ein Asbestsanierer die Entsorgung vornimmt, muss die Baustelle dem Unfallversicherer Suva gemeldet werden.
Für die Abklärung von Asbestvorkommen sei der Bauherr zuständig, Dieser könne sich so auch rechtlich absichern und Bussen vermeiden, sagt Bürgi. Interessant sei, dass sich seit der Einführung der Abklärungspflicht bei bewilligungspflichten Bauvorhaben die Entsorgungsmenge von Asbest zum Beispiel im Tessin versiebenfacht habe. Dies sei ein deutlicher Hinweis, dass ohne klare Verpflichtung die notwendige Risikoabklärungen ungenügend durchgeführt würden.
7664 Asbest-Baustellen
In den 1990er- und 2000er-Jahren wurden der Suva etwa 50 bis 100 Sanierungsbaustellen pro Jahr gemeldet, wie Sprecher Christian Winiker auf Anfrage mitteilt. Seit der Meldepflicht für diese Art von Sanierungsarbeiten im Jahr 2009 wurden ein Jahr später bereits rund 2000 Baustellen gemeldet. 2013 waren es 3500 und 2017 über 5000. Vergangenes Jahr wurden 7664 Asbest-Sanierungsbaustellen registriert.
Bei normaler Nutzung bestehe durch Asbest keine Gefährdung für Bewohner, sagt Bürgi, der auch Dozent für Umwelttechnik an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) ist. Wichtig sei es aber, bei Bauarbeiten sauber mit dem Material umzugehen.
Quelle: Raimond Spekking, CC, wikimedia.org
So kommt Asbest in der Natur vor: Seidenglänzender Krokydolith.
Kosten werden gescheut
Bei nicht-baubewilligungspflichten Vorhaben liege die Abklärungspflicht beim Unternehmer oder der Privatperson. Oft gehe die eigentlich notwendige Schadstoffabklärung aber – bewusst oder unbewusst – «vergessen». Bei den Baubranchen seien noch immer nicht alle Unternehmen sensibilisiert. Die Kosten für eine Asbestsanierung belaufen sich für ein durchschnittliches Einfamilienhaus auf 10'000 bis 15'000 Franken.
Ein Posten, der oftmals nicht eingerechnet werde, lieber gönne sich man dafür ein etwas teureres Badezimmer, sagt Bürgi. Bei den Beratungsfirmen und Asbestsanierern gebe es teilweise grosse Preisunterschiede, es lohne sich, verschiedene Offerten einzuholen.
Sanierung in Eigenregie
Die Kosten würden teilweise dazu verleiten, den Betrag einzusparen und selber das Material zu entfernen. Dies sollte immer unter der Einhaltung von Suva-Regeln geschehen. Doch nicht alle Sanierungen sind in Eigenregie möglich, wie Bürgi sagt: «Vielen privaten Bauherren ist es ohne böse Absichten schon passiert, dass ihnen erst nach dem eigenhändigen Entfernen der Küchenfliesen in den Sinn kam, dass da asbesthaltiger Fliesenkleber gewesen sein könnte.»
Doch er rät, kein Drama zu machen, falls jemand einmal im Leben kurzzeitig in Kontakt mit Asbestfasern gekommen ist. Gefährlich seien die Fasern vor allem für Berufsleute, die fast täglich damit in Kontakt kommen. «Auf die Dauer der Exposition und die Konzentration in der Luft kommt es an, man muss deshalb die Relationen bewahren.» Dieser Ansicht ist auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG). So sei die Gesamtzahl an Asbestfasern, die über Jahrzehnte eingeatmet wurden relevant, wie das BAG schreibt.
Unia: Heute noch ein Problem
Die Gewerkschaft Unia setzt sich seit Jahren für eine Sensibilisierung zum Thema Asbest ein. Immer wieder komme es vor, dass betroffene Arbeitnehmende verlangten, dass die Unia beim Arbeitgeber interveniere, damit die Sicherheitsmassnahmen eingehalten oder sogar Arbeiten gestoppt würden, sagt Giuseppe Reo, Regionalleiter Berner Oberland, der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
«Schon nur diese Haltung zeigt den Umgang mit Asbest. Oft will man nicht richtig hinschauen, um keine Massnahmen einleiten zu müssen, aus Kostengründen.» Reo ist überzeugt, dass mit dem Thema, das er einen «schlafenden Tiger» nennt, nach wie vor fahrlässig umgegangen wird – auf Baustellen, Deponien und bei der Entfernung. Zudem fehle bei ausländischen Arbeitnehmenden die Sensibilisierung: «Man versucht, sich mit Hygienemasken zu schützen, was völlig ungenügend ist.»
Dass aber auch professionelle Maske nicht immer schützen zeigt der Rückruf von FFP-Schutzmasken mit Mängel Mitte Juli. Bei einer Stichprobe von Atemschutzmasken fielen über 60 Prozent der getesteten Produkte durch. Die Suva und die Schweizerische die Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) eröffnen nun Verfahren gegen Importeure und Händler. Seit wann diese auch von Asbestsanieren benutzte Masken im Umlauf sind, ist der Suva nicht bekannt, wie es auf Anfrage hiess. (sda/pb)
Das virtuelle Asbesthaus der Suva zeigt auf, wo das Material in einem vor 1990 erbauten Haus typischerweise vorkommen kann.