240'000 Kubikmeter in 90 Tagen?
Poverty Point in Louisiana gehört zu den wichtigsten archäologischen Fundstätten Nordamerikas: Vor über 3000 Jahren errichteten hier Nomaden eine Anlage aus sechs halbrunden, hintereinander liegenden Erdwällen mit einem Durchmesser von 1200 Metern. Ebenfalls Teil des Komplexes sind sechs künstliche Hügel. Der grösste mit einer Grundfläche von 50'000 Quadratmetern wurde vermutlich in 90 Tagen erbaut, und nicht wie bisher angenommen in mehreren Jahrzehnten. Zu diesem Schluss kam ein Forscherteam von der Washington University in St. Louis.
Die riesige Kultanlage liegt auf einer Terrasse, etwa zehn Meter über dem sumpfigen Schwemmland des Mississippi. Die sechs Wälle sind heute noch etwa einen Meter hoch und massen ursprünglich wohl bis zu zwei Meter. Sie sind parallel angeordnet, in Abständen von 45 bis 60 Metern, und werden von fünf „Gassen“ druchbrochen. Zudem gehören zur Anlage sechs künstlich aufgeschüttete Hügel oder sogenannte Mounds. Der grösste, der T-förmige Mound A, liegt ausserhalb des Komplexes und ist etwa zehn Meter hoch, Archäologen vermuten, dass er nach seiner Fertigstellung etwa doppelt so hoch gewesen sein dürfte.
Der Komplex besteht vor allem aus Erdmaterial der Umgebung. Aus der klumpigen Struktur des Hügel-Aufbaus schliessen die Archäologen, dass das Material in Körben transportiert und aufgeschüttet wurde - die unterschiedlichen Klumpenformate von wenigen bis zu 25 Kilos deuten darauf hin, dass sich auch Frauen und Kinder am Bau beteiligt haben. Sie gehörten zu einem Volk von Jägern und Sammlern und verfügten weder über Wagen und Schubkarren noch Zugtiere. Einziges Transportmittel waren Körbe oder Säcke alleine für den grössten Hügel wären acht Millionen Körbe à 25 Kilogramm notwendig gewesen, in Wirklichkeit wohl mehr.
Logistische Meiterleistung
Für den grössten Hügel mit seinen 240'000 Kubikmetern Erde gibt es nun neue Erkenntnisse: Wie das Team um Archäologe T.R. Kidder von der Washington University im Rahmen einer Studie herausfand, wurde der Mound A zwischen 1311 und 1217 v.Chr. erbaut. Eine genaue Analyse der Erdschichten zeigt, dass diese kontinuierlich aufgebaut wurden - ohne Anzeichen von während der Bauphase eingetretenen Erosionen infolge von Regengüssen. Die Aufschüttung erfolgte somit während einer längeren Trockenphase. Allerdings hält es die Klimaforschung für ausgeschlossen, dass es damals länger andauernde Trockenperioden von viel mehr als 90 Tagen gegeben hatte. Das heisst: Der Umstand, dass es keine Hinweise auf Erosionen während der Aufschüttungsphase gibt, lässt auf eine unglaublich kurze Bauzeit von rund 90 Tagen schliessen. Immerhin entspricht das Volumen ungefähr 30'000 Fuhren von Lastwagen. Die Forscher rechnen, dass für diese kurze Bauzeit der Einsatz von mindestens 3000 Menschen notwendig gewesen war.
Trotz dieser Erkenntnis sind viele Fragen unbeantwortet und werden es wohl auch bleiben: Wer hatte damals die Autorität, ein solches Riesenprojekt durchzuziehen? Wie haben es die Organisatoren vor über 3000 Jahren geschafft, aus einer nomadisierenden Bevölkerung ein so grosses Aufgebot an Arbeitern zu rekrutieren und zielführend einzusetzen? Wie wurde das überhaupt kommuniziert und geplant? Das alles verbirgt sich im Nebel der Vergangenheit - es gibt ja keine Dokumente und schriftliche Zeugnisse aus jener Zeit.Was bleibt, ist Respekt für eine unglaubliche logistischen Leistung. (mai)