100 Jahre Gasser Felstechnik: Die Felsflüsterer
Hohe Berge, tiefe Stollen: Die Firma Gasser Felstechnik AG aus Lungern ist schweizweit führend, wenn es um schwierige Bauarbeiten am und im Fels geht. Vor 100 Jahren begann die Geschichte des Unternehmens, das seit vier Generationen in Familienhand ist.
Quelle: Gasser Felstechnik AG
Arbeiten unter Extrembedingungen: Bei Felssicherungsarbeiten bei einem Minenprojekt in Grönland hielt ein BBC-Team im Jahre 2010 die oft unwirklichen Bedingungen für die Felstechniker in einer Dokumentation fest.
Ein Blick auf die Schweizer Landkarte genügt: Gebirge prägen hier die Topografie. So ist auch die Gemeinde Lungern in Obwalden auf 750 m ü. M. von steilen Bergflanken umgeben, von welchen Wildbäche, Lawinen und Steinschlag niedergehen. Es scheint auf der Hand zu liegen, dass die Firma Gasser Felstechnik AG, eine der heute marktführenden Schweizer Spezialunternehmungen in der Felstechnik, hier ansässig ist. Als Karl Gasser-Meier vor 100 Jahren sein Baugeschäft gründet, stand diese Entwicklung jedoch noch in den Sternen.
Aufbruch: 1920er bis 1980er
Als Dorfbaumeister baut Karl Gasser-Meier anfangs vor allem Wohnhäuser und Ställe, führt in den 1920ern aber bereits anspruchsvolle Tiefbauarbeiten durch. Um das Baugeschäft auch in den Wintermonaten über Wasser zu halten, räumt die Firma Schnee am Brünigpass.
Erste Sprengarbeiten in den 1940er- und 1950er-Jahren ergeben sich aus den topografischen Gegebenheiten der Marktregion und weisen Karl Gasser-Meiers Firma den Weg zur Spezialisierung Sprengtechnik formt den Fels, ermöglicht Wege und Stollen. Was mit dem Ausbruch eines Luftschutzkellers unter der Lungerer Kirche beginnt, nimmt bald grössere Dimensionen an. Sprengtechnik kommt bei den Fundamenten von Hochspannungsmasten an der Grimsel zum Einsatz und für den Tunnelbau der Frutt-Werke. Der Sohn Karl Gasser jun. baut die Spreng-Kompetenz weiter aus, als er 1956 die Firmenleitung übernimmt.
Quelle: Gasser Felstechnik AG
Schwindelfreiheit ist Voraussetzung für die Felssicherungsspezialisten.
Zentraler Meilenstein
Eine entscheidende Bewährungsprobe für die Firma stellt 1959 die Sicherheitssprengung eines instabilen Felsvorsprungs zwischen Kaiserstuhl und Lungern dar. Der 30 bis 40 Kubikmeter mächtige Felsblock weist einen vier Meter langen Riss auf und droht auf die Gleise der Brünigbahn zu fallen. In der Nacht vom Montag, 16. November 1959, ist Sprengtermin. Gassers Männer bohren auf dem Felsvorsprung, gesichert über Seile, 13 je vier Meter tiefe Sprenglöcher. Diese werden mit rund 15 Kilogramm patroniertem Altorfit-Sprengstoff geladen, verteilt auf 39 Ladungen. Jedes Bohrloch enthält drei Ladungen auf verschiedenen Höhen, welche mit Knallzündschnur verbunden werden.
Die Fahrleitung muss in nächtlicher Arbeit heruntergenommen und die Schienen mit Holzschwellen abgedeckt werden. Kurz vor Mitternacht erfolgt die Zündung und bereits am nächsten Morgen kann der Bahnverkehr wieder fahrplanmässig aufgenommen werden. Diese erste Sicherheitssprengung gegen Felssturzrisiken erweist sich in der Rückschau als ein zentraler Meilenstein der Firmengeschichte.
Felssicherung wird neben dem Tunnel- und Spezialtiefbau zu einem Kerngeschäft von Gasser Felstechnik. Neue gesetzliche Regulierungen der Sprengstoffnutzung erfordern in den frühen Achtzigern eine Professionalisierung im Bereich der Sprengtechnik. 1982 wird die Abteilung Felsabbau gebildet, der strategische Schritt zur heutigen Gasser Felstechnik.
Alles Spezialisten
Eine grosse Stärke von Gasser lag und liegt in der konsequenten Aus- und Weiterbildung einheimischer Mitarbeiter. Dies stellt nicht nur einen wirtschaftlich bedeutenden Faktor für die Region dar. Es bedeutete auch, staatliche Aufträge zum Beispiel bei Umbauten von militärischen Untertaganlagen zu gewinnen, da nur Schweizer Staatsbürger dafür eingesetzt werden durften. So folgen in den 1980ern grösser und komplexer werdende Aufträge im Tunnelbau und in Steinbrüchen.
Diese und auch alle weiteren Aufträge erfordern Fachkenntnisse und eine hohe Qualität der Ausführung. Die Kompetenz, Erfahrung und die Sicherheit der Mitarbeitenden spielen bei Gasser Felstechnik eine grosse Rolle. Denn die Spezialisten müssen unter oft widrigen Bedingungen bei Wind und Wetter, in grosser Höhe oder tief unter der Erde ihre Leistung erbringen. Die hohe Investitionsbereitschaft von Gasser Felstechnik sorgt für die dafür notwendigen modernen Gerätschaften und Technik.
Zudem treiben die Mitarbeitenden selbst Innovationen voran, wie zum Beispiel die beiden eigenentwickelten Bohr-LKWs, mit denen fast installationslos Felssicherungs- und Sprengarbeiten ausgeführt werden können: Hinfahren, bohren, Strasse wieder öffnen.
Wachstum und Expansion – die 1990er bis heute
Dass das weisse G auf blauem Grund heute schweizweit zu sehen ist, ist besonders Thomas Gasser zuzuschreiben. Als er 1992 die Leitung in dritter Generation übernimmt, zählt die Firma rund 60 Mitarbeitende, heute sind es über 300. Er forciert die Spezialisierung mit Fels- und Hangsicherungen sowie Schacht- und Stollenbau energisch. Der Baurezession der späten Neunziger begegnet Thomas Gasser erfolgreich mit einer mutigen Nischenstrategie und gezielten Investitionen.
«Wenn man motiviert ist und die richtigen Menschen um sich hat, kann man alles erreichen. Und genau das haben wir geschafft. Oft waren wir einfach frech und bewarben uns, ohne zu wissen, ob wir die Aufgabe überhaupt stemmen können. Geschafft haben wir es immer. Unkonventionell, hartnäckig in der Sache und hoch motiviert. Das macht die Gasser Felstechnik noch heute aus», beschreibt Thomas Gasser die Firmenphilosophie.
Quelle: Gasser Felstechnik AG
Gewaltige Kräfte: Die Sicherheitssprengung an der A2 Gurtnellen 2006.
Quelle: Gasser Felstechnik AG
Bundespräsident Moritz Leuenberger dankte den Sprengverantwortlichen nach der Sicherheitssprengung an der A2 Gurtnellen 2006 persönlich.
Die rasche Verschiebung der Geschäftsfelder vom Hochbau hin zur Felstechnik stellt für die Mitarbeitenden eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. «Das Arbeiten in selbstständigen Gruppen mit einem ganzheitlichen Leistungsauftrag muss in der Firma Gasser zur Norm werden», fordert Thomas Gasser 1998. Eine Strategie, die das KMU ins neue Jahrtausend führt. Agiles Denken im traditionellen Baugeschäft zu implementieren, zahlt sich aus. Mit einem Umsatzsprung von über 20 Prozent startet man unter dem neuen Firmennamen Gasser Felstechnik AG ins Jahr 2000, inklusive der nun als eigene Abteilung geführten Gasser Bauservice. Zwischen 2004 und 2009 verdoppelt sich der Umsatz von knapp 30 auf über 60 Millionen CHF.
Die starke Wachstumsphase ermöglicht die Eröffnung eines modernen Betriebscenters mit Werkstatt und Hochregallager sowie die Durchführung von Grossprojekten in allen Tätigkeitsbereichen. Ein Eckpfeiler des Erfolgs bleibt die grosse Innovationskraft. Aus dem lokalen Hoch- und Tiefbau heraus entwickeln sich Spezialisierungen für den nationalen Markt, wie der Umbau von SAC-Hütten oder der Bau von Anlagen für Berg- und Seilbahnen. Neben Untertagebau, Felssicherungen, Sprengtechnik sowie Hoch- und Tiefbau hat sich im letzten Jahrzehnt besonders die Kompetenz im Spezialtiefbau stark entwickelt: Zum Leistungsportfolio gehören heute Mikropfahlfundationen, Ankerarbeiten, Baugrubenabschlüsse und Zielbohrungen.
Spektakuläre Höhen- und Tunnelarbeiten
Das Know-how, das Gasser Felstechnik über 100 Jahre erwirbt, ermöglicht viele anspruchsvolle Grossprojekte, wie zum Beispiel die Grosssprengungen von 2001 und 2002 am Chapf, oberhalb der Grimselstrasse nach Guttannen (BE). Wochenlang wird unmittelbar auf den instabilen Felspfeilern gebohrt und schliesslich einmal 150'000 und einmal 100'000 Kubikmeter absturzgefährdeter Fels gesprengt. Dies etabliert Gasser Felstechnik als Schweizer Marktführer für Sicherheitssprengungen und führt zu weiteren Aufträgen durch die öffentliche Hand.
Quelle: Gasser Felstechnik AG
2017: Ein Beispiel für die hohe Spezialisierung sind hochalpine Bohrarbeiten: Bau der 3S-Bahn am Klein Matterhorn.
Quelle: Gasser Felstechnik AG
12‘000 Kubikmeter Fels wurden 2020 in der Sicherheitssprengung Boca Neira gesprengt.
Als am 2. Juni 2006 ein Blockschlag die Autobahn A2 in Gurtnellen (UR) trifft und die Nord-Süd-Achse unterbricht, erhalten die Spezialisten von Gasser den Zuschlag. Drei Wochen benötigen die Sprengmeister für die Planung der Sprengung. Am 23. Juni zünden 1’500 Kilogramm Sprengstoff und lösen die Gefahrenquelle auf. Eine Woche später rollt der Verkehr wieder über die A2. Der damalige Bundespräsident Moritz Leuenberger überbrachte den Sprengverantwortlichen persönlich seinen Dank.
Der Ausbau der Grimsel-Kraftwerke für die Kraftwerke Oberhasli (KWO) führt zur grössten selbstständigen Tunnelbaustelle. Über zehn Kilometer Tunnel, Schächte und verschiedene Kavernen werden dort ausgeführt. Im Jahr 2006 gewinnt Gasser Felstechnik in einer ARGE mit Implenia und Bürgi (Alpnach) den Auftrag zum Bau des Umfahrungstunnels Lungern. Mit einer Bausumme von über 100 Mio. Franken stellt der Auftrag eines der grössten Projekte in der Firmengeschichte dar.
Mit dem Gletschergarten Luzern nimmt Gasser Felstechnik eine weitere spannende Herausforderung an: Von 2018 bis 2019 brechen die Mineure dort entlang der angetroffenen Geologie sowie architektonischen Vorgaben die Attraktion «Felsenwelt» aus, dies zum Teil in Handarbeit. Auch internationale Aufträge für spezielle Problemstellungen mehren sich. In Grönland wird zwischen 2007 und 2010 inmitten einer steilen Felswand über einem Fjord an einer Personenseilbahn gearbeitet, welche das dortige Minenprojekt erschliessen soll. Und den Kárahnjúkar-Staudamm des staatlichen isländischen Energiekonzerns Landsvirkjun sichern die Spezialisten in mehreren Etappen von 2015 bis 2021 vor geologischen Risiken.
In der Schweiz fordert zwischen 2015 und 2018 eine Baustelle auf 3’883 m ü. M. mit zweistelligen Minustemperaturen von den Mitarbeitenden alles ab: Am Klein Matterhorn werden umfangreiche Sprengaushub- und Sicherungsarbeiten für die höchstgelegene Bergstation Europas, der neuen 3S-Bahn, durchgeführt. In den hohen, exponierten Lagen, bei niedrigen Temperaturen und plötzlichen Wetterwechseln bewähren sich Mitarbeitende und Technik jeden Tag aufs Neue.
Die Zukunft im Blick
Weitsichtig plant Thomas Gasser in den 2000ern seine Nachfolge. Mit der Übernahme der Geschäftsführung in den operativen Kernkompetenzen durch Matthias von Ah wird 2012 ein erster Schritt in der Nachfolgeplanung umgesetzt. Seit 2017 ist die Firma in einem zweiten Schritt im Eigentum der vierten Familiengeneration – die Geschwister Mira, Sebastian und Ambros Gasser. Sie übernehmen die Aktien der Gasser Felstechnik AG zu 100 Prozent. Die Geschäftsführung liegt weiter in der Hand von Matthias von Ah als CEO. 2022, im Jubiläumsjahr, ist die dritte Phase der Nachfolgeregelung eingeleitet worden. Alle Kinder haben nun einen Sitz im Verwaltungsrat der Gasser Felstechnik AG.
Die historische Stärke, sich neue Bereiche und Märkte zu erschliessen und Innovationen voranzutreiben, bleibt auch in jüngster Zeit prägend. 2016 wird die Gasser Engineering AG als selbstständige Organisation gegründet und damit das Portfolio kontinuierlich mit eigenen Engineering-Lösungen und Gesamtleistungen aus einer Hand ausgebaut. Schon in der Planungsphase können relevante Prozesse der Bauausführung damit berücksichtigt und komplexe Bauvorhaben so mittels pragmatischer Lösungen vereinfacht und ohne Schnittstellen für die Bauherrschaft partnerschaftlich ausgeführt werden.
Auch die Entwicklung der Sprengtechnik wird stetig vorangetrieben. Digitale 3D-Modelle aus Drohnenaufnahmen schaffen heute Planungssicherheit bei Sprengprojekten. Dank moderner Vermessungstechnik und der Sprengplanung am 3D-Modell sind Risiken präzise ermittelbar. Die Ladeberechnung ist genauer und damit auch wirtschaftlicher. Durch diese Innovationskraft ist das Unternehmen seit 100 Jahren am Puls der Zeit geblieben – die Gasser Felstechnik AG kann weiter positiv in die Zukunft blicken.
Quelle: Gasser Felstechnik AG
Eine spektakuläre Sicherung einer alten Steinbruchrückwand an der Sagenmattstrasse Luzern wurde 2016 durchgeführt.
Gasser Felstechnik AG
Untertag-Bau, Felssicherung, Sprengbetriebe, Spezialtiefbau und der Bauservice sind Kernkompetenzen der Gasser Felstechnik AG. Dank einem gut ausgebauten Betriebscenter mit Werkstatt, Logistik und Lager kann die Gasser Felstechnik AG rasch und autonom auf Kundenwünsche reagieren.
Gasser Felstechnik AG
Walchistrasse 30
CH-6078 Lungern
gasser@felstechnik.ch
041 41 679 77 77
www.felstechnik.ch
Quelle: Gasser Felstechnik AG
Aus dem lokalen Hoch- und Tiefbau heraus entwickelt Gasser Felstechnik Spezialisierungen für den nationalen Markt, wie den Umbau von SAC-Hütten.
Quelle: Gasser Felstechnik AG
Ein wichtiges Geschäftsfeld ist der Untertagebau: Sprengvortrieb für die unterirdische Erschliessung des Steinbruchs Kehrsiten 2018.
Quelle: Gasser Felstechnik AG
Gasser Felstechnik baut das Wasserkraftwerk Sousbach bei Lauterbrunnen.