09:43 CORONA-VIRUS

Wie sich das Corona-Virus für Bauunternehmer rechtlich auswirkt

Teaserbild-Quelle: Gabriel Diezi

Das Coronavirus macht auch vor schweizerischen Baustellen nicht halt. Doch was gilt im Bauwerkvertrag nach SIA-118 bei Baubehinderungen und Terminverzug? Baurechtsexperte Thomas Risch beantwortet die wichtigsten Fragen.

Von Rechtsanwalt Thomas Risch, Risch Baurecht

Dunkle Wolken über einer Schweizer Baustelle

Quelle: Gabriel Diezi

Dunkle Wolken über einer Schweizer Baustelle (Symbolbild): Welcher Handlungsbedarf besteht für den Unternehmer, wenn das Coronavirus seinen Terminplan durcheinander wirbelt?

Mit der Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19-Verordnung 2) vom 13. März 2020 (Stand 21. März 2020) hat der Bundesrat im Kampf gegen das Coronavirus Massnahmen für schweizerische Baustellen beschlossen. Die Tessiner Regierung geht noch einen Schritt weiter und schliesst Baustellen. In diesem Beitrag versucht Baurechtsexperte Thomas Risch, eindeutige Antworten auf nicht ganz einfache Fragen rund um die Coronakrise zu geben:

1. Welche Massnahmen müssen auf schweizerischen Baustellen umgesetzt werden?

Gemäss Art. 7d der COVID-19-Verordnung 2 sind die Arbeitgeber im Bauhaupt- und Baunebengewerbe derzeit verpflichtet, die Empfehlungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) betreffend Hygiene und sozialer Distanz einzuhalten. Hierzu sind namentlich die Anzahl der anwesenden Personen auf Baustellen oder in Betrieben entsprechend zu limitieren, die Baustellen- und Betriebsorganisation anzupassen und Menschenansammlungen von mehr als fünf Personen in Pausenräumen und Kantinen zu verhindern.

Die Umsetzung dieser Massnahmen kann dazu führen, dass der Bauablauf gestört wird, Termine nicht gewahrt werden können und Mehrkosten entstehen.

2. Was sind die Konsequenzen, wenn diese Massnahmen nicht umgesetzt werden?

Fehlbare Betriebe und Baustellen können geschlossen werden (Art. 7d Abs. 3 der Verordnung). Darüber hinaus dienen diese Massnahmen dem Ziel, die Schliessung von Baustellen in der Schweiz oder einzelnen Kantonen zu verhindern. Verfehlen sie ihre Wirkung, ist also mit weiteren Massnahmen zu rechnen.

3. Was passiert, wenn vertragliche Termine wegen der Massnahmen nicht eingehalten werden können?

Wurden im Bauwerkvertrag bestimmte Zwischen- oder Endtermine vereinbart und können diese nicht eingehalten werden, kommt der Unternehmer in Verzug (Art. 102 ff. OR). Ausgenommen ist der Fall, dass er einen Terminerstreckungsanspruch geltend machen kann.

Wurde die SIA-Norm 118 vereinbart und liegt keine abweichende vertragliche Regelung vor, hat der Unternehmer einen Terminerstreckungsanspruch, wenn folgende kumulativen Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Den Unternehmer trifft an der Verzögerung kein Verschulden;
  • Er zeigt dem Bauherrn die Verzögerung und deren Ursache unverzüglich an; und
  • trifft alle erforderlichen und zumutbaren Massnahmen zur Einhaltung der vertraglichen Fristen (Art. 95 SIA-Norm 118).

Die erste Voraussetzung dürfte im Zusammenhang mit den vom Bundesrat angeordneten Massnahmen regelmässig erfüllt sein. Wichtig ist daher, dass der Unternehmer dem Bauherrn Behinderungen und weitere Verzögerungen anzeigt.

Aufgrund der aktuellen Dynamik sollte der Unternehmer ausserdem laufend prüfen, ob die angezeigten Ursachen und Verzögerungen immer noch mit der Realität übereinstimmen.

Der dritte Punkt setzt voraus, dass der Unternehmer die Beschleunigungsmassnahmen trifft, zu denen er verpflichtet ist (siehe Frage 4).

4. Zu welchen Beschleunigungsmassnahmen ist der Unternehmer verpflichtet?

Gemäss Art. 95 SIA-Norm 118 ist der Unternehmer zu Beschleunigungsmassnahmen verpflichtet, wenn weder ihn noch den Bauherrn ein Verschulden an der Verzögerung trifft. Diese Bestimmung kommt also etwa bei höherer Gewalt zur Anwendung («Force Majeure»).

Vor diesem Hintergrund sollte der Unternehmer prüfen, ob und falls ja, welche Beschleunigungsmassnahmen zumutbar sind. Falls solche identifiziert werden, hat der Unternehmer:

  • Die Beschleunigung anzuzeigen; und
  • die Einwilligung des Bauherrn einzuholen.

Gibt der Bauherr resp. die Bauleitung die Einwilligung zu den Beschleunigungsmassnahmen, dann ist der Unternehmer verpflichtet, diese auch auszuführen. In diesem Fall hat der Unternehmer Anspruch auf eine Mehrvergütung im Umfang der nachgewiesenen Mehrkosten (der Baubeschleunigung) ohne Zuschlag für Risiko und Gewinn.

Ob Beschleunigungsmassnahmen zum aktuellen Zeitpunkt überhaupt möglich oder sinnvoll sind, muss in jedem Einzelfall geprüft werden. Die Empfehlung lautet hier, frühzeitig das Gespräch mit der Bauherrschaft aufzunehmen und das weitere Vorgehen (nachweisbar) abzustimmen.

5. Was passiert mit vereinbarten Konventionalstrafen?

Konventionalstrafen sind nach Art. 98 Abs. 2 SIA-Norm 118 nicht geschuldet, wenn der Unternehmer einen Terminerstreckungsanspruch hat (siehe oben).

6. Wer trägt die Mehrkosten für Beschleunigungsmassnahmen?

Unter der Voraussetzung, dass weder den Bauherrn noch den Unternehmer ein Verschulden an der Verzögerung trifft und der Bauherr die Einwilligung zu zumutbaren Beschleunigungsmassnahmen erteilt, trägt der Bauherr die Mehrkosten ohne Zuschlag für Risiko und Gewinn (siehe oben, Frage 4).

7. Wer trägt die Mehrkosten, wenn sich die Bauzeit wegen der behördlichen Massnahmen verlängert?

Gemäss Art. 59 SIA-Norm 118 hat der Unternehmer Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung, falls ausserordentliche Umstände, welche nicht vorausgesehen werden konnten oder welche nach den von beiden Vertragsparteien angenommenen Voraussetzungen ausgeschlossen waren, die Fertigstellung hindern oder übermässig erschweren. Auch hier ist vorausgesetzt, dass der Unternehmer dem Bauherrn die besonderen Verhältnisse unverzüglich anzeigt.

Die Vergütung nach Art. 59 Abs. 1 SIA-Norm 118 ist keine volle Vergütung. Vielmehr sollen sich die Parteien das Risiko für ausserordentliche Umstände teilen. Zu orientieren hat man sich dabei nach Art. 373 Abs. 2 OR, wonach sich der Bauherr nur insoweit an den Zusatzlasten beteiligen muss, als sie dem Unternehmer nicht zugemutet werden dürfen. Mit der Mehrvergütung soll also bloss die unzumutbare Leistung des Unternehmers zumutbar gemacht werden. Es handelt sich somit um eine teilweise Vergütung, die nach dem Ermessen des Gerichts festgesetzt wird.

Ausserdem trägt der Unternehmer eine allgemeine Kostenminderungspflicht. Vor diesem Hintergrund ist ihm zu empfehlen, nicht nur allfällige Mehrkosten zu dokumentieren, sondern auch entsprechende Gesuche gestützt auf das «Massnahmepaket zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen» des Bundesrats vom 20. März 2020.

8. Wer trägt die Kosten- und Terminfolgen bei Änderung des Bauvorgangs oder der Herstellungsweise?

Umstellungen im Bauablauf stellen meist eine Bestellungsänderung dar. Somit ist darauf zu achten, dass die Bestellungsänderung ordnungsgemäss ausgelöst wird. Die Termin- und Kostenfolgen bestimmen sich in diesem Fall nach der Bestellungsänderung (Art. 84 ff. SIA-Norm 118) respektive den davon abweichenden, vertraglichen Bestimmungen.

9. Wer trägt die Mehrkosten, wenn die Baustelle aus Mangel an Arbeitskräften oder Material stillgelegt werden muss?

Gemäss Art. 61 SIA-Norm 118 gehen die damit verbundenen Mehrkosten zulasten des Unternehmers.

Handlungsbedarf

In diesen ausserordentlichen Zeiten heisst es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Aus Unternehmersicht sollten folgende Massnahmen nicht fehlen:

  • Unverzügliche Anzeige der ausserordentlichen Umstände an den Bauherrn: Dabei bitte darauf achten, dass die Anzeige (aus Beweisgründen) schriftlich erfolgt, an den Bauherrn respektive seinen Stellvertreter gerichtet ist und konkret beschreibt, welche Ursachen sich wie auf den Bauablauf auswirken
  • Anzeigen wiederholen, wenn sich die Umstände ändern
  • Pro Vertrag: Klauseln zum Thema «Force Majeure» respektive «höhere Gewalt» prüfen: Gibt es Sonderregelungen, die zur Anwendung kommen?
  • Ein allfälliger Mehraufwand und Einflüsse auf den Bauablauf sollten täglich dokumentiert und der Bauleitung zur Kenntnis und – im besten Fall – zur Bestätigung vorgelegt werden (zum Beispiel gegengezeichnetes Protokoll / durch Unterschrift im Baujournal des Unternehmers)
  • Wahrung von Kosten- und Schadenminderungspflichten dokumentieren: Können die Mitarbeiter sinnvoll andernorts eingesetzt werden? Sind Ferienbezüge möglich? Welche Entschädigungen stehen dem Unternehmer und seinen Mitarbeitern vom Staat zu?
  • Beschleunigungsmassnahmen prüfen und dem Bauherrn anzeigen: Welche Beschleunigungsmassnahmen kommen in Befolgung der bundesrätlichen Verordnung in Frage? Welche sind sinnvoll und zumutbar? Fehlt ein Verschulden des Unternehmers an der Verzögerung, dürfen Beschleunigungsmassnahmen erst mit Zustimmung des Bauherrn ausgeführt werden
  • Bestellungsänderungen identifizieren und ordnungsgemäss auslösen: Allfällige Änderungen im Bauablauf stellen meist eine Bestellungsänderung dar
  • Im Zweifel: Rechtliche Beratung in Anspruch nehmen

Zum Autor

Thomas Risch ist Rechtsanwalt für Baurecht. Risch Baurecht GmbH

Quelle: zvg

Thomas Risch ist Rechtsanwalt für Baurecht. Risch Baurecht GmbH

Thomas Risch ist Rechtsanwalt für Baurecht. Als Head Contract Management war er für die Implementierung der Claim Management-Prozesse und Schulungen bei einem der führenden General- und Totalunternehmer der Schweiz verantwortlich.

Seit über zehn Jahren unterstützt er Baufachleute und Entscheidungsträger in schwierigen Claimsituationen zur Wahrung ihrer Rechte.

Er ist Referent im Baurecht und Autor des Online-Seminars «Nachtragsmanagement: AVOR». Die von ihm entwickelte APB-Methode zur Prüfung von Nachträgen wird auf zahlreichen Grossbaustellen eingesetzt.

www.rischbaurecht.ch

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