Neurowissenschaft: Pläne schneller vom Kopf auf die Beine
Zwei Fenster mit Milchglas, durch das spärliches Licht in den Laborraum dringt. Auf der weissen Magnetwand sind Kommunikationsmodelle skizziert. Transaktionsanalyse steht da. Die gegenüberliegende Wand ist mit ausgedruckten Tabellen und Bauplänen tapeziert. Über der Eingangstür hängt ein Plakat: «Der Kopf ist rund, damit die Gedanken die Richtung wechseln können.»
Quelle: Ehimetalor Unuabona, Unsplash
Die Designabteilung der Schule für Gestaltung Zürich (SfGZ) hat bereits konkrete Vorschläge für eine optische Aufwertung der Helme geliefert. Zum Beispiel im Daft-Punk-Stil. Die Bauhelme kämen aber etwas schichter daher.
Dieser Satz wird Francis Picabia zugeschrieben, dem exzentrischer Künstler, der sich um stilistische Dogmen foutierte und mit einem ausgeprägten Hang zu dadaistischem Schabernack als einer der Wegbereiter der modernen Kunst gilt. Wohl das Motto der bahnbrechenden Aktivitäten in diesem Raum.
Nichts deutet darauf hin, dass hier möglicherweise die menschliche Interaktion um eine zusätzliche Dimension erweitert wird. Fünf Probanden sitzen an einem langen Holztisch, Sichtblenden bilden für jeden Einzelnen ein Art Box und verhindern Blickkontakte.
Neue Funktionalitäten für Helme
Alle Probanden tragen eine Kopfbedeckung in unterschiedlichen Formen und Farben. Einer trägt eine Art Bauhelm, beim anderen ist es eher ein Motorradhelm. Die Innenseiten sind jeweils mit Elektroden ausgerüstet mit dem Ziel, die Hirnaktivität von Gruppen gezielt auf ein gemeinsames Ziel auszurichten und dadurch kreative Entwurfsprozesse zu optimieren und zu beschleunigen.
Basis bilden bereits bekannte Forschungen der Neurowissenschaften. Mittels Elektroden werden elektrische Ströme gemessen, die Erkenntnisse über die jeweils gerade aktiven Hirnregionen liefern, was sich auch für die tägliche Arbeit einsetzen lässt. Hoffen zumindest die Forscher. Denn solche Phasen durchleben etwa Architekten immer wieder. Bauherren mäkeln, Generalplaner setzen Termine, Behörden und Gesetze machen Vorgaben. Die zündende Idee kommt nicht oder zu spät.
Gedankenarbeit der Gruppe mittels technischem Brainpooling, könnte eine Lösung sein. Über Bluetooth sind die Probanden miteinander verbunden und haben auf diese Weise Einblick in die Hirnaktivitäten der Gruppe, die auf den Endgeräten dargestellt werden. Das steigert das Potenzial von Gruppen gewaltig. Auch können Ideen dann mittels Algorithmen verfeinert und automatisch auf ihre Praxistauglichkeit getestet und nötigenfalls nach bestimmten Kriterien aussortiert werden. Natürlich liesse sich das Ganze mit der 3D-Brille kombinieren, auf welcher auch der Gemütszustand des Gegenübers ersichtlich ist.
Blaupause für den Entwurf
«Die Stimulanz der Amygdala finde ich jetzt nicht nett», stellt einer der Probanden fest und zeigt auf dem Touchscreen mit dem Finer auf jene Hirnregion, die bei erregender Wahrnehmungen sowie bei der Einleitung entsprechender Impulsreaktionen beteiligt ist. «Bitte setz endlich deinen präfrontalen Cortex unter Strom», übermittelt der zweite schlagfertig im Gruppenchat und deutet auf dem Bildschirm auf das Modell des Denkorgans und meint den Frontallappen, der mit Aufmerksamkeit, Nachdenken, Entscheidung und Planung in Zusammenhang gebracht wird. Als Aussenstehender liesse sich die Stimmung in der Gruppe als gereizt bezeichnen.
Doch Neurowissenschaftler Adrian Beszner, der ein wachsames Auge auf die Truppe hat, winkt ab. «Die sind halt mit Leidenschaft dabei. Aber ganz anders läuft die Kommunikation halt doch nicht.» Die Erfahrungen mit kreativen Prozessen seien bisher aber sehr ermutigend. In einem Fall habe die Probandengruppe, bestehend aus Architekten, Planern, Ingenieuren und Soziologen, die Aufgabe mit Bravour gelöst. Nach einem halben Tag sei bei der Versuchsanordnung für den Bau eines Mehrfamilienhauses die Detailplanung samt baufähigen BIM-Plänen abgeschlossen gewesen, während die Kontrollgruppe noch am Bleistift gekaut habe.
Aufschlussreich war auch der Versuch einer anderen Gruppe, Entwurfsphasen zu simulieren. Die Aufgabe: Den Detailplan für den Bau eines Einfamilienhauses erstellen. Zeit: eine Stunde. Nach einer halben Stunde lagen die Pläne vor, sagt der Studienleiter mit gewissem Stolz. Auf diese Weise wird der Entwurf endlich zeitgemäss. «Dann lassen wir bei der Kreation die Synapsen tanzen», freut sich Beszner.
Welche Institutionen konkretes Interesse gezeigt haben, will er aber nicht verraten, wird aber Grundsätzlich. Fukuyama werde wohl mit dem Ende der Architekturgeschichte drohen. Noch unabsehbare Folgen für die Ästhetik sehe auch Kunstphilosoph Bazon Brock, das Narrativ einer Renaissance der klassischen Moderne gar. You name it, heisst es von Seiten der Wissenschaft.
Quelle: Ehimetalor Unuabona, Unsplash
Ebenfalls zu den konkreten Design-Vorschlägen zählt dieses Exemplar. Für den glänzenden Auftritt. Das Visier ist etwas schmal geraten, doch das spielt keine Rolle, weil die Gruppenmitglieder jeweils über Bluetooth interagieren werden.
Verbesserungspotenzial bekannt
Der Anstoss für die Initiative kommt aus der zwischenmenschlichen Kommunikation. Denn seit der Mensch die Umwelt bewusst wahrnimmt, bestehen Missverständnisse über den wahren Charakter seiner Äusserungen. Das kann gerade im Umgang hinderlich sein und kreative Prozesse mühsam machen oder gar verhindern.
Allerdings verhehlt der Studienleiter nicht, dass es im Hinblick auf die praktische Anwendung noch einige Hürden zu überwinden gilt. Aufgrund von Problemen mit der Schnittstelle sei in einem Fall statt einer schlichten Villa eher ein expressiv dekonstruktivistisches Gemenge von Ideen zustande gekommen, nur wenig dem Funktionalismus verpflichtet und daher von marginalen Nutzwert.
Bei anderen Teilnehmern wirkten Emotionen von Reiseerlebnissen beim elektronischen Köpfe zusammenstecken zu stark nach, was sachgerechte Lösungen beeinträchtige. Das sprenge dann oft den finanziellen Rahmen, weil Pläne für eine Palladiovilla erarbeitet werden, statt sich an Grundrisse zu halten, die sich im mitteleuropäischen Raum bewährt hätten.
Auch stellten sich Sicherheitsrisiken. Einmal hätten sich Hacker ins System geschlichen und den Thalamus sowie den Hypothalamus der Probanden allzu stark stimuliert, sodass es in Gruppen zu Tumulten gekommen sei. Robots versuchten zudem die Urteilsfähigkeit der Probanden zu vernebeln. Schwierigkeit bereite die mangelnde internationale Standardisierung. Auch muss das Zusammenspiel von Mensch und Maschine noch besser aufeinander abgestimmt werden, wobei noch nicht bis in die Details der Boolschen Algebra geklärt ist, wer Client und wer Server ist. Versuche mit Probanden aus der E-Sport-Szene seien aber zufriedenstellend verlaufen.
Weltweites Projekt
Solche grundsätzlichen Fragen will das Massachussets Institute of Technology (MIT) gelöst wissen. Zusammen mit der Universität von Osaka hat die renommierte Technikerschmiede die Zusammenführung verschiedener Disziplinen für die Konstruktion des neuartigen Gadgets vorangetrieben. Seit Anfang Jahr ist auch die ETH Zürich am Forschungsprojekt beteiligt. Dem weltweit operierenden interdisziplinären Team gehören neben Ingenieuren und Architekten auch Linguisten und Ethnologen an, aber auch Ornithologen, Psychologen und Stadtplaner sowie Soziologen.
Mit einem Forschungsbeitrag unterstützt auch der Schweizerische Nationalfonds (SNF) die internationale Initiative. Die Designabteilung der Schule für Gestaltung Zürich (SfGZ) hat zu Testzwecken den neuartigen Helm ausprobiert und kam mit Blick auf mögliche Zielgruppen und Produktverwender zu erstaunlichen Ergebnissen mit schon konkreten Vorschlägen für eine optische Aufwertung der Oberfläche. Etwa das nicht ganz gendergerechte Modell «Glitterati» mit Swarovski-Steinen, gedacht für die Baustellenleiterin mit Chic.
Oder die preiswerte und robuste Ausführung «Suva» in unterschiedlichen Farben. Die Formgebung für einen multifunktionalen Bauhelm sei weit fortgeschritten. Saisonal liesse sich der Besatz anpassen, Pelz im Winter, Seidenüberzug im Sommer. Die Absicht sei es aber nicht, dass sich Sitzungsgemeinschaften oder Baustellen wie eine erweiterte Form der Gruppe «Village People» präsentierten, ist zu vernehmen.
Über die Zukunftsfähigkeit der neuen Technik befragt, wird Beszner wieder grundsätzlich und verweist auf die Erkenntnistheorie – und Steve Jobs. Dieser habe zwar vom Baum der Erkenntnis genascht und den angebissenen Apfel zum Logo einer mittlerweile ansehnlichen Firma gemacht. «Doch was hätte daraus werden können, wenn er den Apfel gegessen hätte.»
Viele neue Anwendungsfelder
Vorstellen können sich die Wissenschaftler viele neue Anwendungsfelder. Die Kopfbedeckung fürs Marketing, um finale Kaufentscheide zu optimieren. Oder für die Heimanwendung, dann mit Spezialstimulanz der Hypophyse. Trendscouts des Silicon Valley hecheln den rasanten Entwicklungen in diesem neuen Forschungszweig hinterher. Auch die Nasa ist mit Blick auf die Marsbesiedlung stark an der neuen Methode interessiert.
Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Und so tüfteln freiwillige Probanden mittels technikgetriebenem Brainpooling an verwinkelten Gedankengebäuden, bauen Luftschlösser, möblieren allenfalls Oberstübchen neu. Für den praxistauglichen Einsatz zur Eroberung neuer Bauwelten dürfte es aber noch ein Weilchen dauern. Aber sicher bis zum nächsten 1. April, wenn wieder reale Pläne im Sinne Picabias vorliegen. (mtg/sts)