14:25 BAUSPASS

Besetztes Haus in Blois: Wenn sich der Stundendrache zeigt

Teaserbild-Quelle: Alexandra von Ascheraden

Sieben Meter lange Drachenköpfe treiben Tag für Tag ihr Unwesen in einem Haus, das sonst den Rest des Tages völlig harmlos wirkt. Es handelt sich um das Maison de la Magie in der französischen Stadt Blois, das dem Magier Jean-Eugène Robert-Houdin gewidmet ist.

Die Drachenköpfe in Aktion. (Video: Alexandra von Ascheraden)

Nicht wenige Touristen reiben sich mitten in ihrem Besuchsmarathon der Loire-Schlösser die Augen, wenn sie nach der Besichtigung des königlichen Schlosses in der französischen Stadt Blois wieder auf den Schlossplatz treten. Tun sie das nämlich per Zufall zur vollen Stunde, bricht im Haus gegenüber urplötzlich ein Spektakel los, das seinesgleichen sucht. 

Sechs Fenster öffnen sich. Rote Augenpaare beginnen im Dunkeln dahinter zu glühen. Zwei Balkongitter werden von Drachentatzen heruntergerissen und ein gigantischer sechsköpfiger Drache steckt seine überdimensionalen Köpfe aus den Fensteröffnungen. Das Spektakel dauert nur fünf Minuten. Danach zieht sich das Monstrum zurück. Die Balkongitter richten sich wieder auf und das Haus sieht so harmlos aus wie alle anderen am Platz. 

Unübersehbarer Werbeträger 

Das Geheimnis des Gebäudes: Es birgt ein Museum der Zauberkunst, das «Musée de la  Magie». Hier wird Jean-Eugène Robert-Houdin (1805 – 1871) gewürdigt. Er war einer der bekanntesten Magier Frankreichs und stammt aus Blois. Mehr als 2000 Quadratmeter Ausstellungsfläche ziehen sich über fünf Stockwerke, die grösstenteils unterirdisch unter dem Platz verlaufen. 

Dank der Drachen kann das Museum wirklich niemand verpassen, mag er auch wirklich nur wegen des gegenüber liegenden Schlosses gekommen sein um zu sehen, in welchen Geheimfächern Caterina de Medici ihre Gifte verwahrt hat, bevor sie hier 1589 mit 70 Jahren starb. Das Sterbebett dieser französischen Königin wird natürlich ebenfalls gezeigt. Grund genug für Geschichtsinteressierte, nach Blois zu fahren – und dann nach der Schlossbesichtigung um so verblüffter auf das Haus gegenüber zu starren. 

Nur 15 Kilogramm pro Kopf

Jeder Drachenkopf misst sieben Meter, die Tatzen 1,5 Meter und der Schwanz, der zeitweise aus einem der Dachfenster gen Himmel dringt, nochmals sechs Meter. Die Haut der Drachen ist aus Karbonfaser und Epoxidharz gestaltet. Daher wiegt jeder der Köpfe trotz seiner beachtlichen Grösse nur 15 Kilogramm. So bereiten die relativ schnellen Bewegungen der Köpfe keine Probleme. Ihre Bewegungen werden pneumatisch ausgelöst und gelingen flüssig ohne zu ruckeln. 

Hergestellt wurden sie 1998 speziell für das Museum vom Künstlerpaar Michell und Jean-Pierre Hartmann. In einem Interview mit «Le Monde» erzählte Jean-Pierre Hartmann damals: «Jeder Drachenkopf hat eine spezielle Persönlichkeit und die passende zufällige Programmierung. Kopf  Nummer zwei ist zum Beispiel nervöser als Nummer drei. Nummer fünf wiederum ist etwas verträumter als die anderen. Wir haben ihre Bewegungen trotzdem aufeinander abgestimmt, weil wir gemerkt haben dass sie wirken wir ein Paket Regenwürmer, das macht was es will, wenn wir keine Szenario hinterlegen. Entsprechend haben wir sie dann programmiert.» 36'000 Zeilen Code sorgen nun für fünf Minuten Spektakel pro Stunde. Jede halbe Stunde zeigt sich zudem ein einzelner Kopf für kurze Zeit.

Wer das Spektakel verpasst dem nützt es nicht, ins Museum zu gehen. Die Drachen sind ausserhalb ihres Fünfminutenauftritts auch von innen nicht zu sehen. Sie verstecken sich in den Mauern. Erst zur vollen Stunde tauchen sie wieder auf. 

Der Magier Jean-Eugène Robert-Houdin

Der Magier Jean-Eugène Robert-Houdin.

Quelle: Alexandra von Ascheraden

Der Magier Jean-Eugène Robert-Houdin.

Das Multitalent wurde 1805 als Jean-Eugène Robert in Blois an der Loire geboren. Er interessierte sich früh für das Uhrmacherhandwerk seines Vaters. Dieser aber wollte höheres für ihn. Jean-Eugène musste eine Stelle bei einem Notar antreten. Er interessierte sich aber deutlich mehr für die Mechanik als für seine Arbeit. Sein Chef hatte bald ein Einsehen und sorgte schliesslich dafür, dass er doch noch Uhrmacher werden durfte.

Nach der Heirat mit einer Uhrmacherstochter nahm er deren Namen an, weil es schon zu viele Uhrmacher mit dem Namen Robert gab. Seitdem hiess er Jean-Eugène Robert-Houdin. Er meldete mehrere Patente an und widmete sich neben der Produktion von Uhren und der  Herstellung ausgeklügelter mechanischer Unterhaltungsapparate, wie sie damals schwer in Mode waren. Später gründete er in Paris ein Illusionstheater, in dem er optische Illusionen, Mentalmagie und Zaubernummern vorführte. Zahlreiche seiner Illusionen basieren auf mechanischen Tricks und der damals noch neuen Elektrizität. 

Er erfand auch Magie-Numern wie den «ätherischen Knaben», einen Vorläufer der schwebenden Jungfrau. Zudem ist er Autor eines Buches über das Falschspiel, das reissenden Erfolg hatte und schnell in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Dieses Buch inspirierte später den Magier Harry Houdini derart, dass er sich Houdins Nachnamen als Künstlernamen entlieh.

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Regelmässige freie Mitarbeiterin für das Baublatt. Ihre Spezialgebiete sind Raumplanung, Grünräume sowie Natur- und Umweltthemen.

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