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Chapelle de Bethléem in Frankreich: Ein Sakralbau für Geeks

Teaserbild-Quelle: Gino Maccarinelli

Goldorak, Gremlin & Co an einer gotischen Kapelle? Ein Steinmetz entwickelte für die Restaurierung von Figuren der Chapelle de Bethléem in Frankreich ganz eigene Ideen. Er stattete sie mit zeitgenössischen Elementen aus. 

Chapelle de Bethléem in Loire-Atlantique

Quelle: Alexandra von Ascheraden

Die «Chapelle de Bethléem» im Département Loire-Atlantique wurde um 1485 erbaut.

Nicht umsonst hat sich eine verlassene, an einer Landstrasse gelegene Kapelle zu einem Geheimtipp für Geeks gemausert. Die «Chapelle de Bethléem» im Département Loire-Atlantique wurde um 1485 erbaut. In ihrer Nähe gab es eine Quelle, die schon seit uralten Zeiten von Druiden verehrt wurde. Nach der Christianisierung errichtete man im 12. Jahrhundert eine erste Kapelle. 

Statt die Quelle zu verehren, rollte man seitdem ersatzweise jeweils an Ostern Kleinkinder auf dem steinernen Altar herum. Das sollte ihnen die Kraft verleihen, früh laufen zu lernen. In Zeiten lang vor Erfindung des Kinderwagens mit Sicherheit eine erstrebenswerte Fertigkeit. Die verfallende Kapelle wurde dann im 15. Jahrhundert durch den gotischen Neubau ersetzt. Dieser steht seit 1911 als historisches Gebäude unter Schutz. 

Gut zwei Dutzend Skulpturen verschwunden 

Mit der Zeit allerdings hat sein Zustand schwer gelitten. Längst waren einige Fialen vom Dach heruntergebrochen und zahlreiche Figuren zerbröselt. Auch die verbleibenden, bedurften dringend einer Restaurierung. Steinmetz Jean-Louis Boisel erhielt Mitte der 90er den Auftrag, die Skulpturen wiederherzustellen. 

28 der Figuren waren leider völlig verloren und mussten komplett neu gestaltet werden. Er schuf Figuren im klassischen Kanon der Gotik, die zu den alten Mythen um die Quelle passten. Und natürlich sollten auch Chimären nicht fehlen, die es mit Sicherheit an dieser gotischen Kapelle ebenso gegeben hatte, wie an jeder anderen aus dieser Zeit. 

Eine Chimäre auf der Chapelle de Bethléem in Loire-Atlantique

Quelle: Gino Maccarinelli

Eine Chimäre auf der Chapelle de Bethléem.

Chimären der Moderne 

Der Steinmetz fasste einen kühnen Plan: Mussten es unbedingt mittelalterliche Gestalten sein, wenn die Kapelle doch für die Menschen von heute da sein sollte? Er fand die Ängste der Menschen seien im Grunde dieselben wie im Mittelalter. Nur die Gestalten, in denen sich diese ausdrückten, seien heute andere.

Also bediente er sich bei der zeitgenössischen Ikonographie der Popkultur der 1980er und 1990er Jahre und liess sich von Kino und Fantasie-Romanen inspirieren. Wer die Kapelle aufmerksam studiert, findet dort Gremlin und passend auch Gizmo, einen Goldorak und einen Alien. 

Jugendliche begeistert

Die Auftraggeber waren von dieser Idee anfangs gar nicht begeistert. Die Jugend der Region aber war hingerissen – und schaffte es, auch die Entscheider zu überzeugen, etwas Ungewöhnliches zu wagen. Immerhin konnte der Steinmetz seinen Entwurf gut begründen: Gizmo sei das gute Monster, das jeder von uns in sich berge, eigentlich nicht böse, eher sanft und Mitgefühl erweckend. 

Chapelle de Bethléem in Loire-Atlantique

Quelle: Alexandra von Ascheraden

Der Steinmetz Jean-Louis Boisel erhielt Mitte der 90er den Auftrag, die Skulpturen wiederherzustellen.

Die Gremlins wiederum seien die bösen Dämonen, die die guten manchmal hervorbrächten. Sie machen Angst, kennen keine Grenzen, sind nicht wirklich grausam, aber trotzdem zerstörerisch und gefährlich wegen ihres unvorhersehbaren Verhaltens. 

Der Goldorak dagegen sei der Ritter modernen Zeiten, der seine Galaxie, die Guten und die Witwen und Waisen verteidige, ganz wie der mittelalterliche Lancelot samt seiner Ritter der Tafelrunde. Und der Leviathan komme sowieso schon in zahlreichen Stellen in der Bibel als Schlange vor, die der Herr erschlagen wird, etwa in Jesaja 27.1 oder Hiob 3.8. 

Kurz: Der Steinmetz beherrschte nicht nur sein Metier und kannte die Bibel – er setzte den Leviathan dann eben so um, wie er zeitgenössisch als Alien im Kino zu sehen war. Seitdem zieht es immer wieder Geeks, die eigentlich brav die Schlösser an der Loire besuchen, auf einen Abstecher nach Saint-Jean-de-Boiseau. Er lohnt sich. 

Chapelle de Bethléem in Loire-Atlantique

Quelle: Alexandra von Ascheraden

Mit der Zeit hat die Kapelle stark gelitten: Einige Fialen brachen vom Dach herunter und zahlreiche Figuren zerbröselten.

Gremlin und Gismo bei Chapelle de Bethléem

Quelle: Alexandra von Ascheraden

Der Steinmetz hatte für die Wiederherstellung der Skulpturen ganz eigene Ideen: Auf dem rechten Turm befinden sich Gremlin und Gizmo.

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Regelmässige freie Mitarbeiterin für das Baublatt. Ihre Spezialgebiete sind Raumplanung, Grünräume sowie Natur- und Umweltthemen.

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