10:34 BAUPROJEKTE

Umbau Schulzentrum Raron: Vom grossen Pausenplatz zum Campus

Geschrieben von: Manuel Pestalozzi (mp)
Teaserbild-Quelle: Arge Valentin Surber Architektur GmbH und Studio Knaus

Die Gemeinde Raron in der Nähe der «Boomstadt» Visp im Wallis wächst kontinuierlich. Deshalb benötigt sie mehr Raum für ihre Schulen. Dieser soll auf dem bisherigen Areal entstehen. Ein Projektwettbewerb brachte einen Vorschlag hervor, der die Anlage durch eine Aufstockung und Neubauten in einen richtigen Campus verwandelt.

Schulzentrum Raron_Vis_Platz

Quelle: Arge Valentin Surber Architektur GmbH und Studio Knaus

Der Pausenplatz von Raron soll zu einem Schulhof werden, dank einem Neubau (links) und einer Aufstockung der Orientierungsschule (Mitte), die auch eine neue Fassadenschicht erhält. Die Primarschule (rechts) bleibt weitgehend unverändert.

Die Walliser Gemeinde Raron, Bezirkshauptort des Zenden Raron, nennt sich auch Rilkedorf. Der weltberühmte, in Prag geborene Dichter, lebte zwar weiter talabwärts, im Château de Muzot, einem Schlösschen oberhalb von Siders. Nach seinem Tod 1926 wurde er aber, wie von ihm gewünscht, auf dem Burghügel von Raron beigesetzt. Die Grabstätte ist ein gerne besuchter «Pilgerort» für Lyrikbeflissene. Das Dorf am Ausgang des Bietschtals, am Nordrand der Rohneebene, verfügt über zahlreiche landschaftliche Reize. 

Es ist auch ein beliebter Wohnort, der vom wirtschaftlichen Boom in der nahen Stadt Visp profitiert. Die Bevölkerungszahl hat stetig zugenommen, 1950 betrug sie noch etwas weniger als tausend, demnächst dürfte sie die Grenze von zweitausend überschreiten. Das Siedlungsgebiet hat sich von der Bergflanke sukzessive in die Ebene ausgedehnt, vor allem in Richtung des Bahnhofs, der am südlichen Ufer der Rohne steht. Östlich der Bahnhofstrasse ist in den 1970er-Jahren eine neue Schulanlage entstanden, zusammen mit der Schulhausstrasse als Erschliessung und Begrenzung gegen Nordwesten. Der neue gerade Strassenzug verläuft vom südöstlichen Rand des Ortskerns bis zur Bahnhofstrasse, auf die sie in einem spitzen Winkel trifft. 

Das Schulareal nahm mit der Zeit in etwa die Form eines Trapezes an. Heute steht auf ihm im Norden das im Grundriss annähernd quadratische, zweigeschossige Orientierungsschulhaus aus den 1970er-Jahren, die Südostecke wird eingenommen vom dreigeschossigen Primarschulhaus mit Mehrzweckhalle, welches 1993 in Betrieb genommen wurde. Die drei Bauten fassen nach Osten und Süden eine grosse Platzfläche ein. Zur Schulhausstrasse wird sie durch eine dreieckige, baumbestandene Grünfläche ergänzt.

Schulzentrum Raron_Vis_Boulevard

Quelle: Arge Valentin Surber Architektur GmbH und Studio Knaus

Bei der Einmündung der Schulhausstrasse in die Bahnhofstrasse führt ein «Boulevard» vorbei an der neuen Kita (rechts) durch das Areal und endet auf dem neuen Schulhof.

Verdichtung angestrebt

Die Gemeinde geht davon aus, dass die Bauten in Zukunft nicht mehr genügend Platz für die stetig wachsende Zahl von Schülerinnen und Schüler bieten. Sie erkennt den Bedarf nach einem zusätzlichen Raumangebot. Es soll mit Erweiterungsbauten auf dem bisherigen Areal geschaffen werden. Zu diesem Zweck erfolgte ein offener einstufiger Projektwettbewerb. Die Entwurfsteams erhielten den Auftrag, auf dem Gelände der bestehenden Schulhäuser eine Schulraumerweiterung für die Orientierungsschule, Primarschule, den Kindergarten und die Kindertagesstätte sowie eine zweite Turnhalle neben der bestehenden Mehrzweckhalle zu planen. 

Entwurfsperimeter war das erwähnte «Trapez» südöstlich der Schulhausstrasse. Im südwestlichen Teil des Perimeters stehen ein in die Jahre gekommener Kindergartenbau und an der Bahnhofstrasse ein Einfamilienhaus. Diese beiden Bauten konnten für den Erweiterungsvorschlag abgebrochen werden, wobei die Kindergartenräume in den Vorschlag integriert werden mussten. Bei den bestehenden Gebäuden der Orientierungsschule war die Aufstockung als Möglichkeit gegeben. Das Raumprogramm enthielt neben den Klassenzimmern für den regulären Unterricht zusätzlich neu zu planende Schulräume, welche die beengten Verhältnisse in den heutigen Stundenplänen der Schulen entlasten sollen. Es wurde somit eine substanzielle Verdichtung auf dem bestehenden Areal angestrebt.

Schulzentrum Raron_Situation

Quelle: Arge Valentin Surber Architektur GmbH und Studio Knaus

Im Vergleich zum aktuellen Zustand findet auf dem Schulareal eine Verdichtung statt, welche die Anlage nach Westen klarer definiert und einen Campus entstehen lässt.

Schulzentrum Raron_Grundriss3OGOS

Quelle: Arge Valentin Surber Architektur GmbH und Studio Knaus

Die neuen Räume der Aufstockung sind direkt dem Bestand aufgesetzt. Die Fassadenschicht mit den umlaufenden Balkonen ignoriert die Versätze zwischen den Räumen. Dadurch erhält das in seinem Volumen verdoppelte Gebäude einen völlig neuen Charakter.

Ausgewogenes Ensemble

15 Wettbewerbsentwürfe gingen ein und wurden zur Beurteilung zugelassen. Das Preisgericht befand, dass sie alle zur Wertfindung beitragen konnten und es als Vergleichsgrundlage ermöglichten, das Potenzial des Ortes zu erkennen. Das Verfahren endete mit fünf rangierten Projekten und der einstimmigen Empfehlung des Preisgerichts, das Team des erstrangierten Projekts «Camille», die Arge Valentin Surber Architektur GmbH und Studio Knaus, St. Gallen, mit der Weiterbearbeitung zu beauftragen.

Das Siegerprojekt besteht aus einer ganzen Reihe von Massnahmen, welche die bestehenden Schulbauten und Freiräume als Ausgangspunkt nehmen und das ganze Areal zu einem kleinen Quartier oder einem Campus verdichten. Parallel zum Primarschulhaus an der östlichen Parzellengrenze wird am westlichen Rand des Pausenplatzes ein neues, längliches, rund 15 Meter hohes Volumen platziert. Es ersetzt eine doppelte Baumreihe auf dem dreieckigen Grünraum an der Schulhausstrasse, der in reduzierter Form als Parkanlage erhalten bleibt. Diese Intervention lässt auf dem bestehenden Pausenplatz einen rechteckigen Hof entstehen, der partiell begrünt und mit Bäumen bepflanzt werden soll. 

An ihm liegen sämtliche Haupteingänge zu den angrenzenden Gebäuden. Der südöstliche Teil des Freiraums wird zu einem «Boulevard», der von der Bahnhofstrasse her ins Areal hineinleitet und im Hof endet. Am Anfang dieser im Wettbewerbsprogramm so gewünschten Haupterschliessung steht als freistehender zweigeschossiger Pavillon die Kindertagesstätte. Sie ersetzt das Einfamilienhaus an der Bahnhofstrasse, auch der benachbarte alte Kindergarten soll entfernt werden. Als Übergang symbolisiert der neue Pavillon gewissermassen die Schwelle zwischen dem allgemeinen Dorfleben und dem eigenen Universum der Schule, die durch die vorgeschlagenen baulichen Massnahmen einen eigenen intimen Rahmen erhält.

Schulzentrum Raron_Vis_Modellfoto

Quelle: Arge Valentin Surber Architektur GmbH und Studio Knaus

Im Gipsmodell ist die Trapezform des Areals und die Lage nahe des Ufers der Rhone gut zu erkennen.

Schulzentrum Raron_Schnitt2

Quelle: Arge Valentin Surber Architektur GmbH und Studio Knaus

Über dem Kindergarten ist im Neubau eine Turnhalle geplant. Das Volumen ist leicht niedriger als die um zwei Etagen aufgestockte Orientierungsschule.

Der Neubau am Schulhof enthält im Erdgeschoss den neuen Kindergarten, darüber befindet sich die Turnhalle. Der reduzierte dreieckige Grünraum ist als Spielwiese klar dem Kindergarten zugeordnet. Das weitere zusätzliche Raumangebot bringt der Entwurf im Erdgeschoss der Primarschule und hauptsächlich in einer zweigeschossigen Aufstockung der Orientierungsschule unter. 

Die Typologie jenes Gebäudes mit einem gedeckten Atrium lässt diese Erweiterung nach oben sinnvoll erscheinen. Die Aufstockung führt dazu, dass sich die Gebäude um den Schulhof in der Höhe nicht stark voneinander unterscheiden und den Hof von der näheren Umgebung abschirmen. Sie treten als harmonisches, urbanes Ensemble in Erscheinung. Als Referenz für die ausgewogene orthogonale Anordnung der Gebäude nennt das Projektteam die Schule Letzi in Zürich, ein Projekt des Architekten Ernst Gisel, das Mitte der 1950er-Jahre realisiert wurde.

Schulzentrum Raron_Vis_Kindergarten

Quelle: Arge Valentin Surber Architektur GmbH und Studio Knaus

Die neuen Kindergartenräume sind ebenerdig und öffnen sich nach Westen zu einer parkartigen Anlage an der Schulhausstrasse.

Ein neues gestalterisches Vokabular

Das siegreiche Wettbewerbsprojekt respektiert zwar den Bestand, er orientiert sich aber bei den Erweiterungsmassnahmen nicht an ihm. Es wird beabsichtigt, mit den Interventionen auch bei der Konstruktion und den Oberflächen einen neuen, zeitgemässen Eindruck entstehen zu lassen. So soll bei der Orientierungsschule zwar die bestehende räumliche Struktur nicht verändert und in den neuen Geschossen weitergeführt werden. 

Das in der Höhe und im Volumen etwa verdoppelte Bauwerk soll nach aussen aber ein völlig neues Erscheinungsbild erhalten. Geplant sind für alle Geschosse aussenliegende Lauben, die aus dem bisherigen Konglomerat mit seitlich versetzten Klassenräumen ein schlicht konturiertes, rechteckiges Volumen machen. Diese «Bereinigung» der Gesamtform ermöglicht zwei aussenliegende Fluchttreppen. Diese Massnahme erlaubt es, dass das Atrium möbliert werden darf, zum Beispiel mit Tischen und Stühlen, an denen freies Lernen praktiziert werden kann, oder mit Pflanzen. Die Laube ist als einfache Stahlkonstruktion mit einem lichtdurchlässigen Gitterrost geplant, die auch den Sonnenschutz tragen kann.

Schulzentrum Raron_Vis_Turnhalle

Quelle: Arge Valentin Surber Architektur GmbH und Studio Knaus

Die Turnhalle gibt den Blick frei in die grandiose Landschaft.

Sowohl für diese Aufstockung als für den Neubau mit der Turnhalle wird die Holzbauweise vorgeschlagen. Das Entwurfsteam ist zuversichtlich, dass die Konstruktion von mittelständigen Holzbauunternehmungen ausgeführt und mit Holz aus der Region und der Schweiz erstellt werden kann. Man achtete darauf, dass die Spannweiten der additiven Raumschichten an den Stirnseiten weniger als fünf Meter betragen, so dass das Holz-Tragwerk einfach und kostengünstig ausgeführt werden kann. 

Bei der Turnhalle, die eine Spannweite von 16 Metern verlangt, wurde ein Tragwerk entworfen, das diese mit minimalem Materialaufwand, mittels unterspannten Stahlträgern im Achsabstand von knapp fünf Metern, überbrückt. Dass die Turnhalle über dem Boden liegt und nicht wie bei vielen neueren Projekten zumindest partiell ins Terrain eingegraben ist, wird das Ziel unterstützen, die Menge an benötigtem Aushub und Beton auf ein absolutes Minimum zu reduzieren – ein weiterer Hinweis auf das Bestreben nach einer ökologischen und ressourcenschonenden Bauweise.


Nachgefragt… bei Aaron Imboden

Aaron Imboden

Quelle: FABI

Als Gemeinderat von Raron ist Aaron Imboden zuständig für Bildung & Kultur.

Es fällt auf, dass die im siegreichen Wettbewerbsprojekt vorgeschlagenen baulichen Interventionen keine Untergeschosse enthalten. War dies ein wichtiger Faktor?

Ja. Aufgrund des hohen Grundwasserspiegels wären Untergeschosse kostenintensiver geworden. Zudem besteht Hochwassergefahr wegen des Fliessgewässers Rhone.

Die Aufstockung der Orientierungsschule verdoppelt in etwa dessen Raumangebot. Konnte das Wettbewerbsteam ausreichend versichern, dass dieser Eingriff technisch machbar und sinnvoll ist?

Das Entwurfsteam arbeitete in der Wettbewerbsphase mit einem Bauingenieur in beratender Funktion. Die Gemeinde liess zudem einen statischen Bericht zum OS-Gebäude erstellen, welcher den Teams zur Verfügung stand. Darin wurde die Machbarkeit einer Aufstockung bestätigt.

Das Wettbewerbsprojekt schlägt verschiedenen Massnahmen vor, die als separate Etappen denkbar sind. Welche Reihenfolge bei der Umsetzung sieht die Gemeinde vor?

Stand heute ist die Etappierung wie folgt angedacht: Die erste Etappe besteht aus der Planung und Umsetzung des Kinder-gartens mit Turnhalle und die Planung der Aufstockung des OS-Gebäudes. Es folgt die Umsetzung der Sanierung und Aufstockung des OS-Gebäude. Die dritte Etappe besteht aus der Planung und der Realisierung der Kita.

Welches ist der aktuelle Stand des Projekts? Welche Termine für Realisierungsschritte bestehen heute?

Wir befinden uns aktuell in der Vorprojektphase für die erste Etappe. Sie soll in diesem August abgeschlossen sein. Die Bauausführung dauert gemäss dem aktuellen Planungsstand von Januar 2026 bis Juni 2029. Die Inbetriebnahme des Neubaus ist im Juli 2027 vorgesehen.(Interview: Manuel Pestalozzi)

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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