07:52 BAUPROJEKTE

Tunnelbohrmaschine «Claudia» gräbt sich durch den Zürcher Untergrund

Teaserbild-Quelle: Claudia Bertoldi

Ab 2022 sollen das Quartier Zürich West und angrenzende Gebiete mit Fernwärme beliefert werden. Dafür ist eine unterirdische Verbindungsleitung zwischen dem Kehrichtheizkraftwerk Hagenholz und der neuen Fernwärmezentrale Josefstrasse nötig.

Am 27. August war bereits eine 167 Meter lange Strecke vom Schacht Milchbuck aus gebohrt. Die Arbeiten gehen planmässig voran.

Quelle: Claudia Bertoldi

Am 27. August war bereits eine 167 Meter lange Strecke vom Schacht Milchbuck aus gebohrt. Die Arbeiten gehen planmässig voran.

Mitten im Zürcher Wohnquartier Unterstrass öffnet sich ein tiefer Schacht. Für die Anwohner an der Strassenkreuzung «Milchbuckstrasse-Im Eisernen Zeit» sind die Absperrungen und Baumaschinen inzwischen ein gewohntes Bild.

Bereits vor Monaten liefen die Vorbereitungen für das Grossprojekt «Wärmeversorgung Zürich-West» des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements, Abteilung ERZ Entsorgung und Recycling Zürich. Die Milchbuckstrasse wurde deshalb für die Baustelleneinrichtung abgesperrt. Für Passanten, Velofahrer und die Besucher der gegenüberliegenden reformierten Pauluskirche und der katholischen Pfarrei Bruder Klaus wurde eine Passage freigehalten.

Rund 20 Meter tief geht es in den Untergrund. Der Schacht ist mit einer aufgelösten Bohrpfahlwand mit Betonausfachungen und Aussteifungselementen aus Baustahl gesichert. Der untere Bereich, der im Fels liegt, erhielt eine Sicherung aus bewehrtem Spritzbeton, die Bodenplatte ist aus Stahlbeton. Diese aufwendigen Vorarbeiten dienten allein ihr: «Claudia».

Die Anfang Juli auf diesen Namen getaufte Tunnelbohrmaschine (TBM) wird sich in den kommenden zwei Jahren in einer Tiefe von bis zu 90 Metern durch den Zürcher Untergrund graben. Somit wird die Stadtbevölkerung weitestgehend von Lärmemissionen, Verkehrsbehinderungen und Erschütterungen verschont. Der Schacht Milchbuck ist der höchste Punkt der zukünftigen Verbindungsleitung.

Bisher versorgt das Kehrichtheizkraftwerk an der Josefstrasse das Quartier Zürich-West mit Fernwärme. 2021 soll es stillgelegt werden. Auf dem Areal baut ERZ eine neue Energiezentrale. Um die Wärmeversorgung im Gebiet Zürich-West aufrechterhalten und weitere Stadtgebiete anschliessen zu können, ist der Zusammenschluss dieses Fernwärmenetzes mit dem Netz von Zürich-Nord mittels einer rund sechs Kilometer langen Verbindungsleitung geplant.

Mit dem Zusammenschluss der beiden Wärmeversorgungsgebiete Zürich-Nord und -West entsteht ein grosses Gesamtnetz, das die Abwärme des Kehrichtheizkraftwerkes Hagenholz und des Holzheizkraftwerkes Aubrugg optimal nutzen und verteilen kann.

Die unterirdische Verbindungsleitung quert die Quartiere Wipkingen, Oberstrass, Unterstrass sowie das Gebiet der Gewerbeschule am Sihlquai und Aussersihl und ermöglicht deren Anschluss an die Fernwärme. Neben der Fernwärmeerschliessung entlang der Verbindungsleitung und dem Ausbau in Zürich-West berücksichtigt das Konzept bereits auch das Entwicklungspotenzial für zukünftige Versorgungsgebiete südlich des SBB-Gleisfelds zwischen der Bahnlinie Wiedikon und der Langstrasse.

Der Schacht Milchbuck ist rund 20 Meter tief und stellt im Grundriss ein Sechseck dar. Im obersten Teil des Schachts wird die Verteilkammer Milchbuck platziert.

Quelle: Claudia Bertoldi

Der Schacht Milchbuck ist rund 20 Meter tief und stellt im Grundriss ein Sechseck dar. Im obersten Teil des Schachts wird die Verteilkammer Milchbuck platziert. 

Vortrieb mittels Microtunnelling

Die Microtunnelling-Strecke zwischen der Kaverne Strickhof und dem Schacht Gerstenstrasse dient der Aufnahme von zwei Fernwärmeleitungen für Heisswasservor- und -rücklauf. Die Leitungen werden seitlich auf Konsolen gelagert, sodass sie sich zwischen Fixpunkten und Dehnschenkeln ungehindert thermisch ausdehnen können.

In den vier Schächten Milchbuck, Rothstrasse, Landenberg und Gerstenstrasse befinden sich Leitungsabgänge zu den oberhalb gelegenen Verteilkammern. Von hier aus sollen in Zukunft die umliegenden Quartiere mit Fernwärme versorgt werden. Absperrarmaturen gestatten Wartungsarbeiten auf einzelnen Abschnitten zwischen zwei Schächten ohne Unterbrechung der Wärmeversorgung der Kunden.

In der Bauphase dient der Schacht Milchbuck als Startpunkt für die Microtunnelling-Abschnitte 2 und 3 der künftigen Verbindungsleitung. Diese beiden Abschnitte werden durch die Abteilung Special Foundations Trenchless von Implenia ausgeführt.

Der erste Teil (Abschnitt 2 der gesamten Verbindungsleitung), eine rund 840 Meter lange Bohrung, wird als gerade Strecke mit einem konstanten Gefälle von 2,6 Prozent bis zur bestehenden Kaverne Strickhof geführt. Der Innendurchmesser beträgt 3,2 Meter, der Aussendurchmesser 3,8 Meter.

Der Betonmantel der Rohrelemente wird zirka 30 Zentimeter stark sein.«Eine Bergung der TBM an der Kaverne Strickhof ist nicht möglich. Ist der Rohrvortrieb beendet, muss die Bohrmaschine von der Kaverne Strickhof aus zum Schacht Milchbuck zurückgezogen werden. Nachdem die Maschine entfernt wurde, verbleibt der Schildmantel im Boden», erklärt Baustellenchef Florian Fischer.

Danach wird die Maschine im Milchbuck-Schacht gewendet und macht sich ein zweites Mal auf den Weg für Abschnitt 3 des ersten Bauloses. Beim Schacht Milchbuck erfährt die Leitung zudem eine leichte Richtungsänderung und wird als gerade, zirka 665 Meter lange Strecke in Richtung Schacht Rothstrasse geführt. Die Bohrung hat ein Gefälle von 6,7 Prozent. Der Innendurchmesser beträgt 3 Meter, der Aussendurchmesser 3,6 Meter.

Die Betonit-Bohrsuspension wird vorbereitet und in den Tunnel gepumpt. Sie erleichtert den Bohrvorgang und das anschliessende Einbringen der Rohre.

Quelle: Claudia Bertoldi

Die Betonit-Bohrsuspension wird vorbereitet und in den Tunnel gepumpt. Sie erleichtert den Bohrvorgang und das anschliessende Einbringen der Rohre.

Am Schacht Rothstrasse treffen die Abschnitte 3 und 4 aufeinander. Die Abschnitte 4 und 5 werden vom Startschacht Gertenstrasse mit einer Steigung von 6,2 Prozent in einem Bogen mit horizontalem Radius von 695 Metern vorgetrieben. Diese beiden Abschnitte treffen beim Schacht Landenberg zusammen. Da der Schacht Landenberg rund 30 Meter von der Linienführung der Verbindungsleitung entfernt liegt, muss er mit einem Verbindungsstollen orthogonal an die Microtunnelling-Strecke angeschlossen werden.

Der Tiefpunkt der Verbindungsleitung liegt beim Anschluss des Verbindungsstollens zum Schacht Landenberg. Zwischen Gerstenstrasse und Landenberg wird der Tunnel im Gefälle vorangetrieben und unterquert unter anderem auch die Limmat mit einer Überdeckung von sechs bis sieben Metern. Für die Ausführung der Abschnitte 4 und 5 ist innerhalb der Arge FWZ (Walo Bertschinger AG, Implenia Schweiz AG, Sonntag Baugesellschaft GmbH) die Firma Sonntag federführend.

Der Abschnitt 6 zwischen Gerstenstrasse und der neuen Energiezentrale wird im konventionellen Grabenbau erstellt, wobei die Querung der Limmatstrasse mittels zweier zirka 80 Meter langer Microtunnellingvortriebe mit einem Innendurchmesser von 1,25 Metern bewerkstelligt wird.

Zürich setzt auf Fernwärme

Die Fernwärme leistet einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Die Erweiterung der Wärmeversorgung anstelle der Gebäudebeheizung mit fossilen Energieträgern wie Öl oder Gas trägt massgeblich zum Erreichen der 2000-Watt-Ziele bei. Weitere Pluspunkte der Fernwärme sind eine sauberere Umwelt, eine bessere Luftqualität und, nicht zuletzt, weniger technische Anlagen in den einzelnen Häusern und deren Wartung.

Der Vortrieb wird kontinuierlich von der Zentrale aus überwacht und gesteuert. Auf dem linken Monitor werden minimalste Abweichungen von der vorgegebenen Bohrrichtung sichtbar.

Quelle: Claudia Bertoldi

Der Vortrieb wird kontinuierlich von der Zentrale aus überwacht und gesteuert. Auf dem linken Monitor werden minimalste Abweichungen von der vorgegebenen Bohrrichtung sichtbar.

Die Zürcher Fernwärme ist zu zwei Dritteln CO2-neutral, denn sie wird mehrheitlich aus der Abwärme der Kehrichtheizkraftwerke Hagenholz und Josefstrasse gewonnen. Nach der für 2021 geplanten Stilllegung des Werks Josefstrasse, der Fertigstellung der Verbindungsleitung und der damit erfolgten Gebietserweiterung soll bis ins Jahr 2050 der Anteil am städtischen Wärmebedarf, der mit Fernwärme abgedeckt wird, von heute 15 auf 25 Prozent gesteigert werden.

Mit der Realisierung des Bauprojekts«Wärmeversorgung Zürich West» vom Vorprojekt bis und mit Ausführung wurde Anfang 2016 die Ingenieurgemeinschaft Energie, bestehend aus den Büros Emch+Berger Bern AG, der Locher Ingenieure AG und dem Architekturbüro Graber Pulver, beauftragt. In Zusammenarbeit mit dem Büro Durena AG als Verfahrenstechnikplaner wurden mögliche Linienführungen ausgearbeitet.

Die grösste Herausforderung bei der Planung der optimalen Linienführung der im Grabenbau erstellten Haupt- und Verteilleitungen bestand in der Berücksichtigung aller bereits vorhandenen, dicht liegenden Werkleitungen im Untergrund. Die neue Fernwärmetrasse benötigt Platz, muss zudem einige wichtige Hauptverkehrsachsen, die Limmat sowie bestehende grosse Kanalisationen hierbei queren. Den Objektkredit in Höhe von 235 Millionen Franken hatte die Stadtzürcher Stimmbevölkerung im vergangenen September bewilligt.

Den Zuschlag für den Bau aller drei Lose der Verbindungsleitung mit der Gesamtauftragssumme von rund 53 Millionen Franken erhielt die Arge FWZ. Die Walo Bertschinger AG, Implenia und Sonntag Baugesellschaft GmbH übernehmen jeweils Teilabschnitte der Verbindungsleitung zwischen Schacht Strickhof und Schacht Gerstenstrasse. Implenia betreut die Abschnitte 2 und 3 des ersten Bauloses.

Tunnelbohrmaschine gestartet

Mitte Juni 2019 war die Baustelleninstallation für den Vortrieb angeschlossen, der Zugangsschacht war bereit und die Separierungsanlage montiert. Am 26. Juni wurde die 110 Tonnen schwere Bohrmaschine per Sondertransport angeliefert. Zehn Tage dauerte die Montage, und am 5. Juli fand planmässig nach bergmännischer Tradition die Schildtaufe auf den Namen «Claudia» statt.

Erfolgt der Vortrieb planmässig im 6-Tage Betrieb, wird die Bohrmaschine AVN 2500D mit Aufdoppelmantel bis zum kommenden Frühjahr den ersten 840 Meter langen Tunnel fertiggestellt haben. Mit einer Spitzenleistung von über neun Metern pro Tag gräbt die TBM sich rund vier Zentimeter pro Minute vorwärts. Beim Vortrieb wird mit einer Bohr-Suspension das Abbruchmaterial vermischt und in die Aufbereitungsanlage am Schacht Milchbuck befördert.

Hier wird das Material in einem mehrstufigem Verfahren separiert, die Suspension aufbereitet und der Wiederverwendung zugeführt. Bei fallenden Vortrieben ist hier besondere Vorsicht geboten: «Da die TBM unbemannt unterwegs ist, besteht die Gefahr, dass bei Undichtigkeiten am Materialförderkreislauf die in Richtung Maschine fliessende Spülsuspension Probleme bereitet. Er wird deshalb kontinuierlich überwacht», berichtet Fischer.

Für die Prognose des aufzufahrenden Vortriebs wurde durch die Bauherrschaft ein geologisches Gutachten beauftragt. Demnach steht im Einsatzgebiet vor allem Sandstein und Molasse an. Aufgrund der niemals lückenlosen geologischen Aufschlüsse gibt es im Tunnelbau aber auch immer wieder Überraschungen. Unabhängig vom angebohrten Bodenmaterial ist die Abnutzung der Abbauwerkzeuge zu beachten. Im Sandstein ist mittlerer bis hoher Verschleiss zu erwarten, weshalb die Werkzeuge regelmässig überprüft und gegebenenfalls ausgetauscht werden müssen, wie der Ingenieur berichtet.

Nach Abschluss des Vortriebs wird die Maschine aus dem Aufdoppelmantel herausgezogen und durch den gesamten Tunnel zurück zum Startschacht geschleppt. Das Schneidrad wird nach Rückzug der Maschine ebenfalls demontiert. Danach erfolgt der Anschluss an die neue Kaverne Strickhof rund 93 Meter unter der Oberfläche, die direkt an der bestehenden Kammer Strickhof gebaut wird. Hier zweigt die Verbindungsleitung aus dem bestehenden Energiekanal ab.

Nach dem Umsetzen der Maschinen im Schacht Milchbuck wird der Vortrieb der 665 Meter langen Strecke in Richtung Schacht Rothstrasse gestartet. Voraussichtlich im letzten Quartal des kommenden Jahres soll dieser Abschnitt beendet sein. Der Schacht Rothstrasse ist rund 29 Meter tief. Die TBM wird in den Zielschacht eingefahren und hier geborgen. Der Durchstich in der Rothstrasse erfolgt nach dem Vortrieb aus Los 2.

Der Bau aller Verbindungsleitungen und Schächte wird bis Ende 2021 dauern, zudem müssen Restarbeiten unter anderem zur Wiederherstellung der ursprünglichen Nutzung der Baustellenareale erfolgen. Bereits 2022 sollte die Belieferung der neu erschlossenen Quartiere mit klimaschonender Fernwärme möglich sein.

Übersicht des Streckenverlaufs der geplanten Wärmeversorgung Zürich West.

Quelle: zvg

Übersicht des Streckenverlaufs der geplanten Wärmeversorgung Zürich West.

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