08:36 BAUPROJEKTE

«The Circle»: Endspurt auf dem Halbkreis

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: Ben Kron

Beim Flughafen Zürich befindet sich das grösste Hochbauprojekt der letzten Jahre auf der Zielgeraden: Nach Plänen des japanischen Stararchitekten Riken Yamamoto entsteht ein Gebäudekomplex mit zahlreichen Büros, Hotels, einem Spital und einer Flaniermeile à la Niederdorf.

Claudio Zanella hat schon einige grosse und sehr grosse Bauprojekte geleitet. So war der Architekt HTL im Auftrag verschiedenerGeneralunternehmungen verantwortlich für diverse Grossbaustellen in der Schweiz. Im Auftrag der HRS Real Estate AG kann er nun sein grösstesProjekt «The Circle» am Flughafen realisieren. Die Grossbaustelle «The Circle» am Flughafen Zürich ist aber auch für Zanella ein Projekt der Superlative: Für rund eine Milliarde Franken entsteht auf einer Grundfläche von zirka 30 000 Quadratmeter ein Komplex mit einer Nettonutzfläche von 180 000 Quadratmeter, verteilt auf sechs Gebäude. Das Projekt mit einem Bauvolumen von 1 Million Kubikmeter übertrifft Zanellas bisher grösstes, die Sihlcity, die 780 000 Kubikmeter umfasst. Die Flughafen Zürich AG mit 51 Prozent und die Swiss Life mit 49 bilden die Miteigentümergemeinschaft von «The Circle».

Neben 70 000 Quadratmetern Bürofläche beherbergt «The Circle» zwei Hotels der Hyatt-Gruppe samt Convention Centre für bis zu 2500 Personen, ein Gesundheitszentrum des Universitätspitals Zürich oder das Modul «Brands & Dialogue», das Unternehmen als Showroom für ihre Produkte dient, ohne dass dabei der primäre Warenverkauf im Vordergrund steht. Als Mieter hat man Jelmoli, Swatch, Dufry, Caviar House & Prunier und die zwei Mieter im «House of Health», Victoria Apotheke und Neuroth gewonnen. Als grösste Hochbaustelle der Schweiz hat «The Circle» von Anfang an viel öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. So war das Schweizer Fernsehen vor Ort und liess seine Reporterin Mona Vetsch drei Tage am Bau mitarbeiten, wo sie Eisen legen oder im Untergeschoss eine Wand mauern konnte, die allerdings wegen Baumängeln wieder eingerissen werden musste.

Zahlen im Kopf

Claudio Zanella ist anzumerken, dass er schon des öfteren Besucher über die Grossbaustelle geführt hat. Er kann jede beliebige Zahl zu seinem Projekt aus dem Kopf wiedergeben: «84 000 Quadratmeter Glasfassaden werden insgesamt montiert, 281 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche entstehen auf einer Grundfläche von 30 000 Quadratmetern, die maximale Auskragung der Gebäude beträgt oben 13,5 Meter, die längste Zwillingsstütze, welche die Schutzwand hält, ist rund 42 Meter lang.»

«Die Gebäude stehen weiter auf 1340 Pfählen von bis zu 50 Metern Tiefe, wovon 972 als Energiepfähle die Geothermie nutzen. Überirdisch wurden 15 500 Betonstützen gegossen, dazu40 Treppenhäuser und -kerne, in welche 89 Lifte eingebaut werden. Zudem wurden total 16,5 Kilometer Vorspannkabel im Gebäude verbaut, welches vertikal und horizontal vorgespannt ist.» Und dann weiss der Gesamtprojektleiter natürlich auch, dass bis zu 20 Kräne auf der Baustelle im Einsatz waren, und dass eine Rolle Dachpappe zwischen 53 und 54 Kilogramm wiegt. «Ein Grund, weshalb man nie mit einem Dachdecker Streit anfangen sollte.» Insgesamt befinden sich zurzeit zwischen400 bis 450 Arbeiter auf der Baustelle. Im Frühjahr 2020, wenn der Innenausbau von «The Circle» dann auf Hochtouren läuft, erhöht sich diese Zahl noch auf bis zu 2000.

Nebst all den Zahlen verliert der Gesamtprojektleiter Ausführung aber nicht das Auge für die aussergewöhnliche Gestaltung der Gebäude, die mit neun bis 10 Stockwerken allesamt Hochhäuser sind. Da ist zum einen die erwähnte Auskragung von bis zu 13,5 Metern, welche die spektakulär aussehende Schutzwand zur Kantonsstrasse hin nötig macht, die aber auch erst die erstaunlich hohe Ausnutzung der Grundflächeermöglicht. Zum anderen hat der japanischeArchitekt Riken Yamamoto das Ensemble ganz bewusst nach dem Vorbild des Zürcher Niederdorfes entworfen. «Sein Entwurf, den er, wie bei Architekten oft der Fall, auf einer Serviette skizziert hat, versucht die engen Gassen der Altstadt wiederzugeben.» Yamamoto war von den ‹Gässli› im Niederdorf begeistert, die es nun auch in «The Circle» hat. Zanella: «An der schmalsten Stelle beträgt der Abstand zwischen zwei Gebäudefassaden gerade mal acht Meter.»

Massanfertigung für Schutzwand

Die erwähnte Schutzwand ist eine Massanfertigung für die «The Circle»-Baustelle. Die Zwillingsstützen wurden zweiteilig eingebracht, miteinander verbunden und am Ende oben über Galgen mit den Gebäuden verbunden, um Lasten wie den Winddruck abzuleiten. «Die mächtigen Galgen stehen auf dem Dach des jeweiligen Gebäudes und sind jeder über sechs Tonnen schwer», ruft Zanella natürlich auch hier aus dem Gedächtnis ab. «Mittels 10 Meter langen 40er Stahlstangen werden sie über einen oder zwei Stockwerke mit dem Gebäude verbunden, je nach Windlast.»

Zwischen den Gebäuden befinden sich Glasdächer, womit die Besucher und Benutzer im ganzen Bereich im Trockenen flanieren können. Das Glasdach ist zweiteilig mit dazwischen zirkulierender Luft, wodurch man keine Probleme mit dem Innenklima hat. Auch die Glasfassade, die alle Gebäude umschliesst, ist zweiteilig. Im dazwischen liegenden, 35 Zentimeter tiefen Hohlraum zirkuliert Luft, damit die Wärme an den Glasscheiben nicht kondensieren kann. Die Luft wird im Keller angesaugt, auf fünf bis sieben Grad Celsius komprimiert und über Druckluftleitungen in jedem Haus nach oben geführt. Entsteht einmal ein Schaden an einer Scheibe, durch den die Druckluft entweicht, muss das defekte Teil innert 72 Stunden ausgetauscht werden. «An der Hauptmaschine sehen wir dann, welcher Druckluftstrang quasi faul ist», erläutert der Gesamtprojektleiter Ausführung. «Doch im Gebäude müssen wir dann immer herausfinden, welches der 9500 Elemente des Stranges kaputt ist.»

Beim Besuch der Baustelle sind die Arbeiter auf der Westseite daran, solche Fassadenteile zu montieren. Da man in der Enge ohne Gerüst arbeiten muss, stecken die Männer, die alle eine Spezialausbildung durchlaufen haben, in Schutzwesten und sind am Stahlseil gesichert. Auf der anderen Seite des Komplexes ist die Fassade bereits montiert, da die einzelnen Gebäude in einer Art Kaskade nacheinander fertiggestellt werden.

Stets unter Zeitdruck

Anfang Februar 2019 werden bereits die ersten Teile der spektakulären Schutzwand abgebaut, welche die darunter liegende Kantonsstrasse schützt und vom Busbahnhof des Flughafens aus nicht zu übersehen ist. «Die Träger der Schutzwand sind Massanfertigungen», so Claudio Zanella. «Jede Stütze hat eine andere Form.» Deshalb wandern die Bauteile nach ihrem Einsatz in die Schrottpresse. Bevor es aber soweit ist, müssen vor allem die bis zu 72 Tonnen schweren und 42 Meter langen Stützen herausgehoben und auf spezielle Tieflader abgelegt werden, die sie dann abtransportieren. Für diese Aufgabe arbeiten jeweils drei grosse Pneukräne im Team, und der Abbau erfolgt nachts, damit man die tagsüber stark befahrene Kantonsstrasse für fünf Stunden sperren kann. «Wir arbeiten dann also stets unter Zeitdruck.»

Die Nachbarschaft zum Flughafen schafft für die Baustelle eine weitere Herausforderung: Der Flugbetrieb hat immer Vorrang und schreibt beispielsweise auch die maximale Höhe der Gebäude vor: Die Strahlen der Mess- und Funkgeräte müssen ungehindert darüber hinwegkommen. Während dem Bau sind die Kräne natürlich einiges höher, um überhaupt von Nutzen zu sein. Zanella erklärt: «Wir müssen jeden einzelnen Kran jeweils ein halbes Jahr im Voraus bei der Flugsicherung anmelden, damit der Funk darauf abgestimmt werden kann. An Feierabend positionieren wir alle Kräne in ein und dieselbe Richtung, um möglichst wenig Interferenzen zu verursachen.» Herrscht beim Flughafen dichter Nebel, was regelmässig der Fall ist, muss das Peilsystem angepasst werden und die Kräne dürfen gar nicht mehr fahren, um den Funkverkehr nicht zu beeinträchtigen. «Im Herbst kam das fast jeden Morgen für ein Weilchen vor, aber dies haben wir in unseren Berechnungen für den Baufortschritt berücksichtigt.»

Anspruchsvolle Logistik: Auf dieser einen schmalen Strasse muss der ganze Baustellenverkehr abgewickelt werden.

Quelle: Ben Kron

Anspruchsvolle Logistik: Auf dieser einen schmalen Strasse muss der ganze Baustellenverkehr abgewickelt werden.

Anspruchsvolle Logistik: Auf dieser einen schmalen Strasse muss der ganze Baustellenverkehr abgewickelt werden.

Quelle: Ben Kron

Anspruchsvolle Logistik: Auf dieser einen schmalen Strasse muss der ganze Baustellenverkehr abgewickelt werden.

Anspruchsvolle Logistik: Auf dieser einen schmalen Strasse muss der ganze Baustellenverkehr abgewickelt werden.

Quelle: Ben Kron

Anspruchsvolle Logistik: Auf dieser einen schmalen Strasse muss der ganze Baustellenverkehr abgewickelt werden.

Anspruchsvolle Logistik: Auf dieser einen schmalen Strasse muss der ganze Baustellenverkehr abgewickelt werden.

Quelle: Ben Kron

Anspruchsvolle Logistik: Auf dieser einen schmalen Strasse muss der ganze Baustellenverkehr abgewickelt werden.

Versteck für Fassadenlift

Auch der spätere Betrieb von «The Circle» muss Rücksicht auf die Bedürfnisse des Flugbetriebs nehmen: Der Fassadenlift für die Reinigung und den Unterhalt der Gebäude darf nicht über die Maximalhöhe hinausragen. Deshalb steht der Lift nicht wie üblich auf dem Dach, sondern wird in einer Mulde versorgt, so dass er nicht über die Dachkante ragt. Nur beim Einsatz wird er aus der eigens angelegten Vertiefung geholt.

Im Untergrund, wo sich die Parkplätze und die durch den ganzen Gebäudekomplex laufende Zufahrt befinden, werden die Dimensionen des Projektes auf eine andere Weise sichtbar. Da man überirdisch relativ schlanke Stützen hat und im Untergeschoss eine gewisse Durchfahrtshöhe für Lastwagen gewährleisten muss, bei auch noch grossen Spannweiten, sind die Masse der Abfangdecken und der Unterzüge gewaltig: Dievorgespannten Träger sind bis zu 30 Meter lang, 2,5 Meter breit und sieben Meter hoch. Neben diesen Dimensionen bezeichnet Claudio Zanella vor allem die Logistik auf der Baustelle als Herausforderung. «Wir haben nur eine Zufahrt, die auf 580 Metern quer durch die Baustelle geht. Über diese müssen wir die ganze Zulieferung abwickeln, wobei wir vom Flughafen die Auflage haben, auf der Kantonsstrasse keinen Stau zu verursachen.» Auch im Betrieb wird «The Circle» nur eine Zufahrt haben, über welche Lieferanten die einzelnen Bauten erreichen.

Grosse Freude hatte der Gesamtprojektleiter Ausführung beim Erstellen der Baugrube. «Wir haben hier Bohrpfahlwände, Larsen-Spundwände, Spritzwände, Nagelwände, Rühlwände – schlicht alles, was es in Sachen Tiefbau gibt, fast wie in einem Lehrbuch. Jeder Gewerbeschullehrer hätte seine Freude daran.» Auch für die Beteiligten sei die Aufgabe lehrreich gewesen und eine Möglichkeit, das eigene Fachwissen zu erweitern und vertiefen.

Noch ohne BIM

Nicht zum Einsatz kommt beim Bau von «The Circle» die Digitalisierung. «Wir haben BIM nicht berücksichtigt. Es hat sich nicht von Anfang an ergeben, und die Digitalisierung nachträglich zu implementieren ist ein sehr grosser, kostenmässig nicht zu überblickender Aufwand.» Generell hält Claudio Zanella aber BIM aber für ein sehr gutes Instrument, von dem man viel profitieren könne. «Aber man muss es von Anfang an einsetzen.» Doch auch ohne BIM ist der Baufortschritt auf Kurs. Die Eröffnung von «The Circle» ist nach wie vor im ersten Halbjahr 2020 vor­gesehen. «Im Herbst 2020 soll das letzteGebäude übergeben werden, dann habe ich hier Feierabend.»

Schweizer Premiere für Hülsenpfähle

Insgesamt 972 Energiepfähle, zwischen 18 und 48 Meter abgeteuft und 120 Zentimeter im Durchmesser, beliefern die Wärmepumpen von «The Circle», um den Komplex wahlweise zu heizen oder zu kühlen. Für die Abdeckung der Spitzen ist man zudem mit der Fernheizung des Flughafens verbunden, dessen Energiezentrale nur rund 500 Meter entfernt ist. «50 Meter sind beim Bohren die Grenze, um rationell zu arbeiten», erklärt der Gesamtprojektleiter Ausführung Zanella. Je tiefer man bohre, desto grösser die Gefahr, dass sich der Bohrkern im Untergrund verhakt, was zu grossen Problemen und Kosten führen kann.

Im Untergrund des Gebäudekomplex «The Circle» hat man, wohl einmalig in der Schweiz, so genannte Hülsenpfähle erstellt, eine Art Pfahl im Pfahl. Hierfür wird aussen ein Bohrloch von 2,2 Metern Durchmesser hinuntergetrieben, und darin ein zweiter Pfahl mit einem solchen von nur noch 1,7 Metern. «Der obere Teil wird mit einer Schallschutzmatte umwickelt, und anschliessend der Zwischenraum zwischen innerem und äusserem Pfahl mit Solidur aufgefüllt, einer Zementmischung.» Ist der Boden stabilisiert, wird das äussere Rohr herausgezogen und das innere ausbetoniert, womit der Hülsenpfahl schalltechnisch abgekoppelt ist. Hierauf kommen dann die Lastriegel zu stehen, welche die Gebäude abfangen. (bk)

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Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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