Spange Nord in Luzern: Verkehrswachstum überschätzt?
Das umstrittene Strassenprojekt «Spange Nord» in Luzern soll aufgrund von ungenauen Annahmen geplant worden sein. Dies geht aus einem Gutachten hervor, das die Gegner in Auftrag gegeben haben.
Quelle: Visualisierung Swiss Interactive AG, Aarau
Das ursprünglich von der Regierung favorisierte Projekt sah eine Brücke über die Reuss im Gebiet Fluhmühle zum bestehenden, aber gesperrten Autobahnanschluss Lochhof vor.
Die Studie wurde von Alexander Erath von der Fachhochschule Nordwestschweiz und von Kay Axhausen von der ETH Zürich erarbeitet und am Mittwoch im Sentihof in Luzern vorgestellt. Sie empfehlen dem Kanton Luzern, ein neues Verkehrsmodell zu entwickeln und das Vorhaben neu zu bewerten.
In Auftrag gegeben worden war das Gutachten von der «IG Reussport Nein», die die «Spange Nord»bekämpft. Das Projektsoll in der Stadt eine neue Verbindung zur Autobahn schaffen und so zu einer verkehrsmässigen Entlastung der Innenstadt beitragen.
Redimensioniertes Projekt
In der Stadt Luzern wird das Projekt abgelehnt. Der Kanton überprüfte im Auftrag des Kantonsrats das Vorhaben und redimensionierte es in der Folge. Es besteht heute noch vor allem aus einer neuen Reussbrücke, die die Fluhmühle via dem neuen Anschluss Lochhof mit der Autobahn verbinden soll (siehe Bild).
Ziel des Gutachtens sei nicht, ein Projekt abzuschiessen, sondern eine Fachmeinung abzugeben, sagte Erath. Diese solle die Grundlage für eine fundierte Diskussion schaffen.
Unabhängiges Gutachten
Erath betonte, dass er und Axhausen ein unabhängiges Gutachten erstellt hätten. Die IG habe keinen Einfluss auf die Inhalte und das Vorgehen ausgeübt. Die Zusammenarbeit mit dem Kanton sei erfreulich gewesen, denn dieser habe sich kooperativ gezeigt und Fragen rasch beantwortet.
Die Gutachter untersuchten die kantonalen Berichte zur «Spange Nord»und das diesen zugrundeliegende Verkehrsmodell. Mit einem solchen Modell soll die Verkehrsmenge und die Verkehrssituation2040 abgeschätzt werden, damit dann die geplante Strasseninfrastruktur auf ihre Zweckmässigkeit hin bewertet werden kann.
Verkehrsaufkommen überschätzt
Das Modell des Kantons geht davon aus, dass der Autoverkehr um 22 Prozent zunimmt, analog dem Bevölkerungswachstum. Doch dies ist gemäss den Gutachtern zu einfach. So wird es in 20 Jahren mehr Menschen im Alter von über 65 Jahren geben, was sich auf das Verkehrsaufkommen und das Verkehrsverhalten auswirkt. Dies sei nicht berücksichtigt worden, so dass das Verkehrswachstum um vierProzentpunkte überschätzt worden sei, schreiben die Gutachter.
Im Verkehrsmodell nicht oder ungenügend berücksichtigt worden sind gemäss dem Gutachten auch geplante Verbesserungen im Bus- und Bahnangebot, so der Durchgangsbahnhof und zusätzliche Busspuren, oder die Auswirkungen der verdichteten Siedlungsentwicklung.Überschätzt wurde auch die Zahl der Autos der Stadtbewohner.Unterbewertet wurde die Zunahme bei den ÖV-Abonnements.
Wirkung fällt zu positiv aus
Aufgrund solcher Ungenauigkeiten beim Verkehrsmodell ist denn auch die Prüfung, wie zweckmässig der geplante Infrastrukturausbau ist, wenig aussagekräftig. Weil von einer zu grossen Zunahme des Autoverkehrs ausgegangen worden ist, wurde auch die positive Wirkung der neuen Strasseninfrastruktur überschätzt.
Die Gutachter bemängeln auch, dass nur neue Infrastrukturen wurden und nicht auch andere Massnahmen, etwa Mobility Pricing sowie eine Förderung des Veloverkehrs oder von neuen flexiblen Arbeitsmodellen.
Im Gutachten wird auch empfohlen, langfristig zu denken. Als Themen genannt werden hierzu autonome Fahrzeuge oder die Evaluation einesUm- oder teilweisen Rückbaus der durch die Stadt führenden Autobahn, dies nach der Erstellung der Umfahrungsautobahn.
Kanton verweist auf Auftrag
Das kantonale Bau-, Umwelt- und Wirtschaftsdepartement wird das Gutachten der «IG Reussport Nein» prüfen. Departementssprecherin Paloma Meier-Martino relativierte die Kritik auf Anfrage dahingehend, der Kanton habe vom Kantonsrat den konkreten Auftrag erhalten, das Projekt «Spange Nord»fachlich zu prüfen und nicht ein Gesamtverkehrskonzept zu erstellen. Deswegen seien verschiedene Aspekte nicht abgebildet worden. Zur Zeit liefen beim Kanton aber auch Arbeiten an einem umfassenden Mobilitätskonzept.
Meier-Martino sagte zudem, dass die Fluhmühlebrücke, offiziell Reussportbrücke genannt, zusätzlich bewusst mit den heutigen Verkehrszahlen beurteilt worden sei. Dies habe ergeben, dass die neue Strasseninfrastruktur bereits unter heutigen Bedingungen einen Verlagerungseffekt von der Stadt auf die Autobahn habe.(sda)