08:05 BAUPROJEKTE

Projekt Rhystadt in Basel: Der Kampf ums Klybeck

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: Ben Kron

Lange kämpften zwei Immobilien-Investoren gegen die Initiative «Basel baut Zukunft», die bei Grossprojekten einen Anteil von fünfzig Prozent günstigem Wohnraum verlangte. Nun wurde für das Klybeck-Areal ein Kompromiss gefunden, der für die Entwicklung der Stadt wichtige Weichen stellt – und als Beispiel dienen kann.

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Quelle: Ben Kron

Ungenutzte Büro- und Industriegebäude im Kleinbasel Klybeck: Hier soll die Stadt ein neues Wohnquartier erhalten.

Das Kleinbasler Klybeck-Areal war noch vor 150 Jahren Weideland. Ab 1864 liessen sich die ersten Chemiefabriken am damaligen Stadtrand nieder. Anfangs wurden synthetische Farbstoffe für Textilien hergestellt, woraus sich die für Basel so bedeutende chemische Industrie entwickelte. Vor allem die Pharma-Produktion war lange im Klybeck zu Hause, wo zu Spitzenzeiten 7000 Menschen arbeiteten. Doch die Produktionsstätten sind längst an andere Standorte verlegt worden, und ein ganzes Industriequartier lag lange brach.

2018 aber verkauften die beiden Besitzerinnen, die Novartis und die BASF, die rund 300'000 Quadratmeter oder 40 Fussballfelder grosse Fläche mitten in der Stadt, die laut einen Gutachten von Wüest und Partner rund 500 Millionen Franken wert ist. Die Käufer waren zwei Investoren: Swiss Life und die Rhystadt AG, eigens hierfür von Baloise, UBS, Bank Safra Sarasin und mehreren Pensionskassen gegründet. Die beiden Immobilien-Entwickler wollen das Areal in ein neues Wohnquartier für 10'000 Menschen verwandeln – bei weitem das grösste aktuelle Bauprojekt in Basel.

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Quelle: Ben Kron

Leerstehende Laborgebäude der Novartis: Mit dem Projekt Rhystadt soll Wohnraum für 10000 Menschen entstehen.

Widerstand via Initiative

Doch dagegen regte sich Widerstand: Der Verein «Zukunft.Klybeck» hatte sich ursprünglich eine ganz andere, vielfältigere Nutzung des Areals gewünscht, mit dem Kanton als Grundeigentümer und unter starker Mitwirkung der Bevölkerung. Als dieser Traum nach dem Grundstücksverkauf an private Investoren geplatzt war, wollte der Verein zumindest eine rein profitorientierte Nutzung verhindern und lancierte die Initiative «Basel baut Zukunft». Diese verlangte, dass auf Transformationsarealen die Hälfte aller Wohnungen von gemeinnützigen Bauträgern erstellt werden. Dazu wurde eine breite Mitwirkung der Bevölkerung und eine CO2-neutrale Ausgestaltung der Areale gefordert.

Die Forderungen der Initiative waren für die beiden Investorinnen nicht akzeptabel und verhinderten aus ihrer Sicht gar eine Umsetzung des Projekts «Rhystadt Basel». Es drohte dieselbe Situation wie in Zürich, als ein SBB-Bauprojekt an der Neugasse am Widerstand aus der Bevölkerung scheiterte. Das Neugasse-Areal wird nun weitere zwanzig Jahre für den Bahnbetrieb genutzt, trotz knappem Wohnraum. Ein solches Szenario drohte nun auch in Basel, zumal sich zusätzlich die Christoph-Merian-Stiftung (CMS) einschaltete, eine der wichtigsten Grundeigentümerinnen der Stadt. Sie will auf Grossbasler Seite das Dreispitz-Areal zu einem neuen Wohnquartier entwickeln und drohte angesichts der Initiative ihrerseits mit dem Verzicht auf das Projekt. Also schickt der damalige Basler Regierungspräsident und heutige Bundesrat Beat Jans seinen Stadtentwickler Lukas Ott los, um die Lage durch einen starken Gegenvorschlag zu retten.

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Quelle: Rhystadt AG

Diese Areale nördlich der Dreirosenbrücke, zwischen Rhein und Wiese, wurden von zwei privaten Immobilien-Investoren erworben.

Kompromisswert berechnet

Lukas Ott wählte eine ungewöhnliche Herangehensweise. Er liess sich vom Kanton die Rendite der Investoren ausrechnen, um deren Kalkulationen nachzuvollziehen. «Wir mussten verstehen, ab wann es sich für sie nicht mehr lohnt. Wir haben den ökonomischen Kipppunkt gesucht», so der Stadtentwickler zur «Basler Zeitung». Das Ergebnis der Berechnung: 33 Prozent. So viel preisgünstiger Wohnraum in der sogenannten Kostenmiete ist möglich, was in den Gegenvorschlag einfloss.

Die beiden Investoren der Rhystadt signalisieren ihre Einwilligung in diesen Kompromiss, doch für die CMS und ihr Projekt war ein Drittel Kostenmiete ein Problem, angesichts der kleineren Baurechtsparzellen bei ihrem Dreispitz-Projekt. Deshalb enthielt der Gegenvorschlag den Zusatz, dass er nur für Areale ab 15'000 Quadratmeter gilt. Bei kleineren Flächen soll der Anteil an preisgünstigem Wohnraum «mit Augenmass» festgelegt werden. Die Initianten ihrerseits erhielten zwei Zugeständnisse: Künftige Bebauungspläne müssen sich daran orientieren, dass bis 2050 ein Viertel des Wohnraums in Basel-Stadt preisgünstig zu sein hat. Und der unscharfe Begriff «preisgünstig» wurde durch die klar umrissene «Kostenmiete» ersetzt.

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Quelle: Ben Kron

Brachliegende Flächen an bester Lage: Um das Projekt zu retten, hat die Regierung einen Kompromiss zwischen Investoren und Gegnerschaft ausgehandelt.

«Akzeptabler Rahmen»

Sowohl die Immobilien-Investoren als auch Vertreter des Vereins «Zukunft.Klybeck» waren am Ende mit dem Kompromiss zufrieden; die Initiative wurde zurückgezogen, nachdem der Basler Grosse Rat den Gegenvorschlag mit 91:1 Stimmen gutgeheissen hatte. Die Rhystadt AG ihrerseits bezeichnet den inzwischen in Kraft getretenen Gegenvorschlag als «akzeptablen Rahmen», so eine Medienmitteilung. «Positiv ist aus unserer Sicht insbesondere, dass preisgünstiger Wohnraum nicht an die Rechtsform des Bauträgers gebunden ist. Dies kommt im Fall von Rhystadt der zukünftigen Rentengeneration zugute, deren Pensionskassengelder über Anlagestiftungen und Pensionskassen in die Entwicklung des Klybeck-Areals investiert werden.»

Rhystadt-CEO Christian Mutschler nennt die ausgehandelte Lösung in einem BaZ-Interview das «kleinere Übel. Mit diesem Kompromiss können wir das Klybeck-Areal im angedachten Sinn entwickeln.» Der nächste Meilenstein ist die Ausarbeitung des Bebauungsplans. Mutschler schätzt den Baubeginn auf ungefähr 2027. «Die ersten Bewohner sollten zwischen 2028 und 2030 einziehen können.»

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Quelle: ETH-Pics / Gary Kammerhuber

Das Klybeck-Areal 1991: Die Gebäude am Fluss beherbergten damals noch die Ciba-Geigy, die später mit Sandoz zu Novartis fusionierte.

Pendeln via «Vaporetto»?

Ein zentrales Thema der Planung ist die Mobilität. «Wenn man vom gesamten Gebiet Basel-Nord spricht – also Hafenquai, Klybeckquai und unser Areal –, sprechen wir von zusätzlichen 15000 Bewohnern. Diese Leute müssen befördert werden.» Die bestehenden Tramlinien reichen hierfür bei Weitem nicht aus, und ein Ausbau wird unausweichlich. Daneben gibt es auch Ideen, mittels einer Art «Vaporetto» den Rhein als Verkehrsträger zu nutzen, doch sind hier die Kapazitäten begrenzt.

Verzögerungen könnte das Projekt noch durch Probleme mit Altlasten und Standortbelastungen erfahren (siehe Kasten «Problematische Vergangenheit»), bei ehemaligen Industriearealen stets ein Thema. Doch die Umnutzung des Klybeck-Areals zu Wohnraum ist für die wieder wachsende Stadt Basel wichtig. Und der gefundene Kompromiss über die weitere Entwicklung der Transformationsareale bildet dabei den Rahmen, auch für weitere Projekte, etwa auf den nicht mehr genutzten Gleisarealen des Güterbahnhofs Wolf im Grossbasel und der Deutschen Bahn im Kleinbasel.

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Quelle: ETH-Pics / Walter Mittelholzer

Das Areal der damaligen Ciba vor rund 100 Jahren (die später mit Geigy fusionierte). Das Unternehmen stellte als erstes in Europa synthetische Farbstoffe auf Teerbasis her.

Kritik an langsamer Planung

Mehr Zeit als erwartet braucht auch der Planungsprozess, weshalb die Rhystadt AG kürzlich scharfe Kritik am Kanton geäussert hat. Die staatlichen Planer würden den Entwicklungsprozess unnötig in die Länge ziehen, sagte Ex-Nationalrätin und Rhystadt-Verwaltungsrätin Anita Fetz an einem Event. Sie  bezeichnete die Verwaltung gar als «dysfunktional». Swiss Life hat sich zum Thema nicht geäussert. Der Kanton wiederum verweist auf die ausserordentliche Komplexität des Grossprojekts, das mit seinen schieren Dimensionen die Behörden an ihre Kapazitätsgrenze bringt. Da in den nächsten Jahren weitere solcher Vorhaben folgen dürften, engagiert die Basler Regierung mehr Personal für die Transformationsareale und trifft Massnahmen zur besseren Koordination von Baustellen.

Wie auch immer der Kanton Basel-Stadt diese Aufgaben bewältigt und die ehemaligen Industrieareale aussehen werden: Dank dem Verein «Zukunft.Klybeck» und seiner Initiative werden Tausende zukünftige Wohnungen dem Mechanismus der explodierenden Mietpreise entzogen sein und bezahlbar bleiben. Das  verdankt die Stadt, wie es in den Medien heisst, «einem aufmüpfigen Trupp von Kleinbaslern und Linken». 

Problematische Vergangenheit

Eine Recherche der SRF-«Rundschau» sorgte für Aufsehen: Der Kanton Basel-Stadt selbst wollte demnach das Klybeck-Grundstück im Kleinbasel für eine halbe Milliarde Franken erwerben, zog sich aber wegen befürchteter Altlasten aus dem Projekt zurück. Gemäss der Rundschau, die ein vertrauliches Dokument der Basler Regierung als Quelle nennt, hätten die früheren Grundeigentümer Infos über die Belastungen von Boden und Gebäuden zurückgehalten.

Dem widersprechen Novartis und BASF, die unterstreichen, sie hätten «alle vorhandenen und sehr detaillierten Daten und Informationen zum Areal geliefert». Auch die Käufer der Grundstücke weisen die Aussagen aus dem TV-Beitrag zurück. Rhystadt erklärt in einer Pressemitteilung, man wisse, «was die Herausforderungen sind» und verfüge über ausreichende Mittel, «das problematische Erbe der chemischen Produktion zu beseitigen». Swiss Life schreibt, man habe alle Belastungen mit Unterstützung externer Experten und der Behörden «im Detail analysieren» können.

Tatsache bleibt, dass Standortbelastungen von Gebäuden und Boden bei einer Transformation womöglich beseitigt werden müssen, und dass dies die Gesamtkosten des Bauprojekts, und damit die künftigen Mieten, beeinflusst. Rhystadt-CEO Mutschler bestätigt dies im BAZ-Interview: «Am Ende zahlen auch die Mieterinnen und Mieter dafür, dass sie auf einem Stück Boden wohnen, wo früher giftige Chemikalien produziert worden sind. Das ist in Basel grundsätzlich so. Auch im Westfeld, wo die Genossenschaften gebaut haben, ist der Boden nicht einfach sauber.» (bk)

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