Projekt der Stiftung Einfach Wohnen: Kleiner Baustein in einem grossen Thema
Boden und Bauen sind teuer, Wohnungsmieten für viele unbezahlbar. Hier setzt die Stadt Zürich mit diversen Massnahmen an. Eine davon ist die Stiftung Einfach Wohnen. Sie plant eine neue Wohnsiedlung in Zürich-Unterstrass für rund 100 Menschen. Als Siegerprojekt des Wettbewerbs ging «Voliere» hervor. Was es mit dem einfachen Bauen auf sich hat, erklären die Architekten und die Geschäftsführerin.
Quelle: Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten
Visualisierung des Siegerprojekts «Volière». Die Fassade soll in seriell vorgefertigten Holztafelelementen ausgeführt und mit Klappläden ergänzt werden.
Spechte und Spatzen sollen sich hier genauso
wohl fühlen wie die Menschen, die dereinst hier leben werden. Denn die Natur
ist beim Projekt «Voliere» mehr als bloss ein schöner Gartenraum: Sie
steht im Zentrum, die Architektur ist im engen Dialog mit dem runden Grün-bereich
mit diversen Zonen und einem alten Baumbestand.
«Die Architektur bezieht ihre Kraft aus der
Situation und steht in einer Gleichgewichtsbeziehung mit dem Freiraum», lassen
Edelaar Mosayebi Interbitzin Architekten, EMI, in Zürich, verlauten. Sie haben den
Wettbewerb mit ihrem Projekt gewinnen können. Ein Thema, das das
Architekturbüro schon lange beschäftigt. Es war auch der Leitgedanke vom Amt
für Hochbauten, das den Wettbewerb für die SEW durchgeführt hatte. «Wie in
einem Park und doch mitten in der Stadt», so der Wortlaut in der Ausschreibung.
Das Areal zwischen Rotbuch- und Seminarstrasse
gehört der Stadt Zürich. Sie plant, das Land im Baurecht an die Stiftung
‹Einfach Wohnen› abzutreten. Das Baurecht wird mit einem Gemeinderatsbeschluss
abgegeben; dieser liegt zurzeit noch nicht vor. Auf dem Grundstück befand sich
ab 1754 ein Gut von Johann Jakob Ott, das auch als Rotbuchgut bekannt ist.
Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Gebäude
immer wieder umgebaut und standen zum Zeitpunkt des Wettbewerbs nicht im
Inventar der schützenswerten Objekte. Sie sollen abgerissen und mit Neubauten
ersetzt werden. Diese sollen zu einer autofreien Mehrgenerationsiedlung mit
unterschiedlichen Wohnungsgrössen werden – in einfacher Bauweise und
gleichzeitig mit geringem CO2-Verbrauch sowohl in der Erstellung als auch im
Betrieb. Weiter wurden die Schaffung von vielfältigen Begegnungs-sorten sowie
Gemeinschaftsbereichen und attraktive Aussenflächen gewünscht.
Haus als offenes Regal
Quelle: Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten
Alle Wohnungen sind über einen schmalen Laubengang miteinander verbunden. Der Wohneingang liegt bei den Küchen ausser bei den Einheiten gegen Südosten. Dort sind die Schlafräume lärmbedingt zur Laube hin orientiert
So überraschend das bauliche Ensemble des
Siegerprojekts «Voliere» ist, so konsequent einfach wurde die Konstruktion von
Edelyaar Mosayebi Inderbitzin Architekten gedacht. Der Entwurf sieht vor, die
Primärstruktur in Beton als konventionelle Stützen-Plattenkonstruktion
auszubilden. Das Gebäude soll mit einer dunklen Holzfassade aus seriell
hergestellten Tafel-elementen verkleidet und mit Klappläden aus Holz ergänzt
werden.
Der zentrale Gedanke bei der Konstruktion:
die Trennung von Trag- und Raumstruktur. «Das Haus ist als ‹offenes Regal›
konzipiert», erläutern Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten. «In einem
konventionellen Skelettbau nisten sich nutzungsflexible, wenig determinierte
Raumstrukturen in Holzbauweise ein, die Wohnraum für ganz unterschiedliche und
sich wandelnde Bedürfnisse bieten.»
Eine Flexibilität, die zugleich einher geht mit der Idee des einfachen Bauens. «Es ist eine Architektur, die der Suffizienz verpflichtet ist, also nur das hat, was man wirklich braucht. Der grösste Hebel hierbei ist die Wohnfläche pro Person. Diese kann beispielsweise reduziert werden, indem gewisse Räume geteilt werden», erklärt das Büro, was es darunter versteht. Die durchdachte einfache Konstruktion und die grosse Flexibilität, die diese lässt, hat entscheidend zum Entscheid der Jury bei-getragen, «Voliere» zum Siegerprojekt zu wählen.
«Wir wollen schnell, viel und guten Wohnraum bauen»
Die Stiftung Einfach Wohnen (SEW) wird seit April 2020 von Mira Porstmann geführt. Die Architektin bringt viel Erfahrung von ihrer vorherigen Tätigkeit als Projektleiterin beim Amt für Hochbauten der Stadt Zürich mit. Im folgenden Gespräch sagt sie, was sie am Siegerprojekt Rotbuch schätzt und was sie konkret mit der SEW erreichen will.
Quelle: zvg
Mira Porstmann ist Architektin und seit 2020 Geschäftsleiterin der Stiftung Einfach Wohnen.
Frau Porstmann, das Thema Wohnungsknappheit
und zu teurer Wohnraum ist gerade besonders aktuell. Spüren Sie Druck von
Seiten der Stadt Zürich als Stiftungsgründerin?
Die Stadt Zürich ist ja Trägerin der
Stiftung und plant, die Grundstücke im Baurecht abzugeben für das Projekt
Siedlung Rotbuch. Natürlich haben wir einen engen Bezug zur Stadt und wir
bekommen mit, dass im Gemeinderat und anderen Gremien der Stadt wie auch in der
Öffentlichkeit viel diskutiert wird über die Zukunft von erschwinglichem
Wohnraum. Aber Druck ist das nicht.
Angesichts dieser Dringlichkeit: Was sind
Ihre konkreten Ziele für die SEW?
Möglichst schnell, möglichst viel und
möglichst guten Wohnraum zu bauen und zu erwerben!
Was heisst das in Zahlen?
Wir wollen in zehn Jahren unser Portfolio
auf rund 400 Wohnungen ausbauen.
Ist das auch eine Antwort auf die
anfängliche Kritik, die es nach der Stiftungsgründung gab?
Stein des Anstosses war damals, dass die Stiftung Einfach Wohnen bei der Gründung 2014 mit 80 Millionen Franken Kapital ausgestattet wurde, aber noch keinerlei konkreten Pläne für die Verwendung der Gelder vorhanden waren. Aber diese Diskussionen haben sich dann gelegt mit dem ersten Projekt 2018, die temporäre Wohnsiedlung Wohnen am Vulkanplatz in Altstetten für junge Menschen in Ausbildung und Geflüchtete im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts «Fogo».
Quelle: zvg
In der Modellansicht des Siegerprojekts Volière ist die geschickte Verbindung von Aussenräumen und Architektur im dichten städtischen Siedlungsgebiet gut sichtbar.
Was motiviert Sie als Geschäftsleiterin der SEW?
Wohnraum für Menschen, die ihn dringend brauchen und auf dem freien Markt nicht bekommen, bereitzustellen, das motiviert mich und treibt mich an. Wohnraum ist für jeden Menschen existenziell, da dieser das gesamte Leben beeinflusst.
Was bedeutet ganz konkret das «Einfach» im Stiftungsnamen?
Einfach bedeutet für mich auf das Wesentliche beschränkt. Es gibt kein Patentrezept für einfaches Wohnen oder Bauen. Wir sehen als wichtige Faktoren die Reduktion von Wohnfläche und Nasszellen an. Konkret heisst dass, dass unsere 4,5-Zimmer-Wohnungen unter 100 m2 gross sind und ein Badezimmer haben. Selbstverständlich müssen wir ebenfalls sicherstellen, dass die Baumaterialien und -kosten nicht zu hoch sind. Je höher die Erstellungskosten, desto höher die Mieten. Hier müssen wir immer wieder neu abwägen. Die Kosten der Bauteile sind das eine, aber was bringt es, wenn billiges Material schon bald wieder ersetzt werden muss? Wir schauen immer auch die Lebensdauer an.
Ich nehme an, Parkplätze gibt es nicht bei den Wohnprojekten der SEW?
Grundsätzlich nicht, aber kategorisch schliessen wir Parkplätze nicht aus, das hängt vom jeweiligen Projekt ab, ob es beispielsweise nicht ideal erschlossen ist mit ÖV. Zudem wollen wir auch keine Menschen grundsätzlich ausschliessen, die beruflich oder aus gesundheitlichen Gründen ein Auto brauchen.
Neben dem «Einfach» im Namen, was ist sonst noch wichtig bei den Wohnprojekten?
Der Nachhaltigkeitsgedanke steht ebenfalls ganz oben. Doch Ökologie und Ökonomie allein reichen nicht für Projekte, die wir realisieren wollen. Wir suchen dabei auch Lösungen, um das Wohnen neu zu interpretieren und Möglichkeiten des sozialen Zusammenlebens auszuloten.Das ist auch beim Siegerprojekt «Voliere» für die Siedlung Rotbuch der Fall.
Was schätzen Sie besonders am Entwurf von Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten?
Das Projekt von Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten ist ein herausragender Beitrag mit einem sehr unerwarteten Vorschlag. Der Baumbestand auf dem Grundstück sollte ja möglichst erhalten bleiben. Das Büro hat seinen Entwurf von der Umgebung her gedacht und die Gebäude förmlich um den Baumbestand gewickelt. Das ist eine überraschende und sinnliche Interpretation der Aufgabe, die zudem in fast allen Bereichen sehr effizient ist.
Wie schätzen Sie die Wohnungsgrundrisse und Begegnungszonen ein?
Die unterschiedlich grossen Wohnungen sind geschickt ausgearbeitet und werden durch gartenseitige Laubengänge erschlossen. Neben diesen Laubengängen schaffen die Dachterrasse und unterschiedlich definierte Gartenbereiche Zonen der Begegnung. Im Innern schlugen Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten sogenannte Atelierräume vor. Bei der Beurteilung haben wir uns dann überlegt, was das bedeutet, wie man diese betreiben kann. So entwickelten sich aus den Ateliers sogenannte Teilen-Räume auf jeder Etage, und die Mieterinnen und Mieter können selbst bestimmen, wie diese Räume genutzt werden sollen. Daneben gibt es auch klassische Gemeinschaftsräume.
Balkone fehlen. War das ein Thema?
Oh ja, das wurde heftig diskutiert, allem voran an in einer Infoveranstaltung für Anwohnerinnen und Anwohner, die wir immer durchführen, um ein Wettbewerbsprojekt vorzustellen. Es gab viele Stimmen, die das Fehlen von Balkonen seltsam fanden. Wir hingegen kamen zum Schluss, dass im Projekt genügend und zudem wertvolle Begegnungs- und Aussenzonen geboten werden.
Inwiefern sind Konstruktion und Materialien geeignet und nachhaltig?
Die Primärstruktur in Beton ist klassisch. Sie hält 100 Jahre und bietet den Vorteil, dass sie flexibel ist und bei Bedarf auch verändert werden kann. Die Holzfassade mit den Klappläden hat uns auch angesprochen.
Wann werden die ersten Menschen einziehen in die Siedlung Rotbuch?
Die Baueingabe ist eingereicht, nun warten wir auf den Bauentscheid. Wir hoffen, dass die ersten Menschen im Jahr 2025 einziehen können.
Quelle: Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten
Trotz knapper Dimensionen entstehen offene, modulierte Wohnlandschaften, die mit unterschiedlichen Gemeinschaftsräumen aufgewertet werden.
Gemeinnütziger Wohnungsbau: Ein langfristiges Anliegen
Die Themen Wohnungsknappheit und teurer Wohnraum in urbanen Zentren sind aktuell, aber für die Stadt Zürich schon lange ein Anliegen, genau genommen seit mehr als 100 Jahren. Dabei kommen unterschiedliche Massnahmen zum Zug: eigene Wohnbaustiftungen, die Abgabe von günstigem Bauland an gemeinnützige Bauträgerschaften sowie das Gewähren von günstigen oder zinslosen Darlehen und Kapitalbeteiligungen an gemeinnützige Wohnbauträgerschaften.
«Weiter sind über 6700 Wohnungen in der
Stadt Zürich derzeit subventioniert», ergänzt Claudia Naegeli, Leiterin
Kommunikation des Finanzdepartements.
Die politische Stossrichtung der Stadt
liegt in den Händen der Zürcher Stimmbevölkerung, die sich immer wieder für
Massnahmen zur Schaffung bezahlbarer Wohnungsmieten stark macht. So wurde 2011
auch der Verankerung der wohnpolitischen Ziele in der Gemeindeordnung
zugestimmt. «Bis 2050 soll ein Drittel aller Mietwohnungen in der Stadt
gemeinnützig und damit preisgünstig sein», formuliert Naegeli die konkrete
Bedeutung aus.
Dies wird mit einem ganzen Strauss an
Massnahmen erreicht. Mit dem Programm Wohnen hat der Stadtrat 23 Massnahmen
definiert, an denen das Finanzdepartement, das Präsidialdepartement, das
Hochbaudepartement sowie Gesundheits- und Umweltdepartement und die vier
städtischen Wohnbaustiftungen beteiligt sind. Zu letzteren gehören die Stiftung
Einfach Wohnen, die Stiftung Familienwohnungen, die Stiftung Alterswohnungen
der Stadt Zürich sowie die PWG. Darüber hinaus will die Stadt mit dem
Wohnraumfonds die Schaffung von günstigem Wohnraum fördern.
«Knapp 1300 kommunale Wohnungen sind derzeit im Bau oder projektiert»
Allein die Dienstabteilung Liegenschaften
der Stadt Zürich bewirtschaftet rund 9400 Wohnungen. Ein wachsender Bereich,
wie Claudia Naegeli betont: «Der Bestand von 56 Wohnsiedlungen wird laufend
weiter ausgebaut – knapp 1300 kommunale Wohnungen sind derzeit im Bau oder projektiert.»
Damit das oben genannte Drittelsziel jedoch erreicht werden kann, braucht es
ergänzende Massnahmen.
Eine davon ist die Stiftung Einfach Wohnen
(SEW), eine öffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit,
deren Grundkapital von der Zürcher Stimmbevölkerung 2013 bewilligt wurde. Bei
der Gründung bekam die SEW 80 Millionen Franken. 2022 flossen nochmals zwei
Millionen Franken Abschreibungsbeiträge der Stadt Zürich zur Stiftung für den
Kauf von zwei Liegenschaften.
Ergänzt wurden diese Finanzen übrigens von
einem anonymen privaten Spender mit einem Beitrag von 5 Mio. Franken. Das erste
Projekt der SEW wurde 2018 vorgestellt: die temporäre Wohnsiedlung Fogo in
Zürich-Altstetten. Sie kombiniert günstigen Wohnraum für Geflüchtete und Junge in
Ausbildung. Vermieter sind die Asylorganisation AOZ und das Jugendwohnnetz
Juwo.
Die einfache Bauweise besteht hauptsächlich aus Holzmodulen, hinzu kamen alte Metallcontainer von der Asylsiedlung Leutschenbach. Seither sind drei weitere Bauprojekte der SEW hinzugekommen: die autofreie Wohn- und Gewerbesiedlung auf dem Guggach-Areal, die Wohnsiedlung Rotbuch und das Projekt Altwiesen-/Dübendorferstrasse mit mehreren Grundeigentümern. Gemäss Claudia Naegeli trägt die Stiftung Einfach Wohnen aber noch zu einem weiteren Ziel bei neben der Schaffung von günstigem Wohnraum: zur Erreichung des städtischen Klimaziels Netto-Null.(ka)
Quelle: Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten
Die wenig determinierte Raumstruktur im konventionellen Skelettbau schafft Wohnraum für vielfältige, sich wandelnde Bedürfnisse.