Projekt «campo», Winterthur: Wo sich alles sammeln soll
Ein Bauprojekt in aller Öffentlichkeit, das die Beherbergung von Kunst, Büros, Werkstätten, innovatives Gewerbe und ein vielfältiges Wohnangebot zusammenbringen möchte – das gibt es nicht alle Tage. Am Eulachpark in Oberwinterthur will eine Stiftung unter dem Namen «campo» genau dies in die Realität umsetzen. Hinter der Initiative steht die Idee der Sammlung.
Quelle: Studio Burkhardt/Lucas Michael Architektur
Auf der Westseite geht der bestehende Bürobau direkt in den Neubau mit dem neuen Haupteingang über.
Der Hintergrund von «campo» ist verbunden mit einer Persönlichkeit, die mittlerweile die halbe Schweiz aus Medienberichten kennen muss: Bruno Stefanini (1924 – 2018). Der Sohn eines aus Italien eingewanderten Restaurantbetreibers gelangte durch den Erwerb von Immobilien zu grossem Reichtum. Er konnte sich dadurch eine leidenschaftliche Sammlertätigkeit leisten. Bei seinem Tod hinterliess Stefanini nicht nur Liegenschaften, sondern auch diverse Lagerstätten, in denen das sehr vielseitige, schwer überschaubare Sammelgut deponiert worden war.
Zentrum des Universums von Bruno Stefanini war stets seine Geburtsstadt Winterthur. Zum Vermächtnis gehört auch die 1980 von ihm hier gegründete Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG). Gemäss der SKKG-Website charakterisiert sich die Stiftung durch ihre doppelte Kernaufgabe: die Sammlungstätigkeit und die Förderungstätigkeit. Beide Bereiche sind auf den Erhalt des Kulturerbes und auf die Teilhabe an ihm ausgerichtet. Das Kulturerbe sieht die SKKG als «der notwendige Kitt der diversen Gesellschaft». Bei zunehmender Pluralität und Mobilität sei es Grundlage für Demokratie, geteilte Werte und Toleranz. Durch Partizipationsmöglichkeiten im Kulturerbe will die Stiftung diese Werte vermitteln, pflegen und leben.
Kulturerbe im Fokus
2022 schrieb die SKKG einen Projektwettbewerb für ein Areal in Oberwinterhur aus. Es hat den Namen «campo» erhalten, gehört seit 2006 der SKKG und war zuletzt Standort der Firma Hexis, die sich der zukunftsträchtigen Festoxid-Brennstoff-zellentechnik widmete. Hexis stellte 2020 den Betrieb ein, und für eine postindustrielle Zukunft des Areals öffneten sich neue Perspektiven.
Das Projekt «campo» soll künftig die SKKG-Sammlung an einem gemeinsamen Ort beherbergen, zusammen mit dem Sitz der SKKG, die hier ihrer Sammlungs- und Förderungstätigkeit nachgehen möchte, sowie der Tochterfirma Terresta, zuständig für die Immobilienbewirtschaftung. Die SKKG will einen «neuartigen Hub für die Zukunft des Kulturerbes» schaffen. Aber nicht nur das: Innovatives Kleingewerbe und ein Wohnangebot für unterschiedliche Lebensformen sollen «campo» zu einem «umfangreichen, komplexen, lebendigen Gesamtprojekt» ergänzen. Mit dieser Vision mussten sich die Wettbewerbsteams auseinandersetzen und Lösungsvorschläge unterbreiten. Unterstützung und Leitplanken lieferten die Resultate eines vorgängigen Testplanungsverfahrens mit drei interdisziplinär zusammengestellten Teams.
Quelle: Goran Potkonjak
Hinter zwei Wohnhäusern an der Hegifeldstrasse steht das Bürogebäude mit dem angedockten Hallentrakt. Der Bestand war in die Planung einzubeziehen.
Quelle: Studio Burkhardt/Lucas Michael Architektur
Das Grundstück grenzt an den Uferweg entlang der Eulach. Auf der anderen Flussseite beginnt der grosse Eulachpark.
Das rund 9800 Quadratmeter grosse Areal hat städtebauliches Potenzial. Es grenzt an das Entwicklungsgebiet Neuhegi, das lange hauptsächlich von Industrie und Gewerbe genutzt wurde und eingefasst wird durch die Bahnlinien nach Frauenfeld und St. Gallen sowie durch den kleinen Fluss Eulach. Seit bald 25 Jahren entsteht dort sukzessive ein neues urbanes Zentrum. Zu den bereits ausgeführten Projekten zählen nicht nur Wohn- und Gewerbeüberbauungen, sondern mit dem Eulachpark auch eine rund sechs Hektaren grosse öffentliche Anlage mit ganz unterschiedlichen Freiräumen.
Die «campo»-Parzelle befindet sich unmittelbar ausserhalb des offiziellen Planungsperimeters für Neuhegi, das langgezogene, ebene Grundstück beginnt im Norden an der Hegifeldstrasse mit zwei kleineren Wohnhäusern und grenzt im Süden an den Reismühleweg, welcher dem rechten Ufer der Eulach entlangführt. Eine Brücke gewährt dem Fuss- und Veloverkehr an der Südwestecke des Planungsperimeters direkten Zugang zum Park auf der anderen Flussseite. Östlich und westlich des Areals trifft man auf neue Wohnüberbauungen. Auf ihm selbst steht hinter den erwähnten Wohnbauten aus dem früheren 20. Jahrhundert ein sechsgeschossiges Bürogebäude. Das klare, prismatische Volumen, das in der westlichen Hälfte des Areals steht und senkrecht zur Hegifeldstrasse ausgerichtet ist, wird über die ganze Länge der Ostfassade flankiert von einem Zwischentrakt, der übergeht in eine eingeschossige Halle mit grossem Untergeschoss. Südlich dieses Ensembles öffnet sich eine von Bäumen gesäumte Wiese.
Die Wettbewerbsteams waren angehalten, den Bestand unter Berücksichtigung betrieblicher und wirtschaftlicher Aspekte so weit wie möglich zu erhalten. Die im Raumprogramm enthaltene Nutzfläche von insgesamt bis zu rund 24 000 Quadratmetern musste zu einer Auseinandersetzung mit hohen baulichen Dichten führen.
Quelle: Studio Burkhardt/Lucas Michael Architektur
Das Foyer im Neubau soll zum Herz von «campo» werden. Das Atrium steigt bis zu den Wohnungen in den oberen Geschossen auf.
Feuereifer, Foyer, begrünte Terrassen
65 Bewerbungen gingen für den Wettbewerb ein, zehn waren von Nachwuchsteams. Unter ihnen wählte das Preisgericht sieben Teams aufgrund von geeigneten Referenzen aus, zudem wurden zwei Nachwuchsteams zugelassen. Die drei Teams der Testplanung erhielten ebenfalls eine Einladung. Insgesamt waren zwölf Projekte zu beurteilen. Das Rennen machte schliesslich ein Nachwuchsteam: «Winti brännt!» der Arge Studio Burkhardt /Lucas Michael Architektur, beide aus Zürich. Das Preisgericht empfahl der Bauherrin das Projekt einstimmig zur Weiterbearbeitung und Ausführung.
Das Feuer im Projektnamen kann sich nur auf den Eifer beziehen, mit dem die Arge ans Werk gegangen ist, denn ein Aschehaufen war ja nicht das Ziel der Übung. Und sie behandelte den Bestand auch sehr umsichtig und zurückhaltend. «Winti brännt» arbeitet das Areal von Norden nach Süden durch. Die beiden Wohnhäuser an der Hegifeldstrasse bleiben erhalten und werden durch ein drittes ergänzt. Der ebenfalls freistehende Neubau soll einen «experimentellen Quartierladen» aufnehmen. Das Ensemble mit dem Bürobau bleibt ebenfalls erhalten. Die Halle wird mit analogen Geschosshöhen aufgestockt, bis sie die Traufkante des Bürobaus erreicht. Über der Halle, die in der Horizontalen nicht unterteilt wird, erfolgt beim Aufbau beidseitig eine geschossweise Rückstufung, so dass sich die frei sichtbare Nordfassade als «Treppengiebel» präsentiert. Die Fassaden und die durch die Abstufung entstehenden Terrassen sollen begrünt werden.
Südlich dieses erweiterten Bestands schliesst direkt, auf der Westseite fassadenbündig, auf der Ostseite leicht zurückversetzt, ein Neubauteil an, der die Geschossniveaus und die Traufhöhe des Bürogebäudes ebenfalls übernimmt. Er reicht fast bis zur südlichen Arealgrenze. Die Südfassade ist auf den unteren vier Niveaus ebenfalls abgetreppt und bildet so eine Abfolge von grossen Terrassen. Sie sollen ebenfalls als «hängende Gärten» begrünt werden, dasselbe gilt für die Balkonschichten der seitlichen Fassaden. Im Gegensatz zum Büro- und Hallengebäude befindet sich das Erdgeschoss des Neubaus auf Strassenniveau. Hier befindet sich auf der Westseite, an der Zufahrt, die von der Hegifeldstrasse auch direkt zur Brücke über die Eulach führt, der Haupteingang von «campo». Er geleitet in die Foyerhalle des Neubaus, dem neuen Herz der gesamten Anlage.
Quelle: Studio Burkhardt/Lucas Michael Architektur
Die Nordfassade des Hallenaufbaus soll begrünt werden. Darunter befindet sich die Anlieferung für die Werkstätten und Gewerberäume.
Das Depot im Rücken
«Campo» bietet auf beschränkter Fläche unterschiedliche Grade an Öffentlichkeit und Intimität. Der buchstäbliche «Elefant im Raum» ist natürlich die grosse Sammlung, die in optimalen Verhältnissen gelagert werden soll. Das Projekt orientiert sich diesbezüglich konzeptuell ganz entfernt am Schaulager der Laurenz-Stiftung in Allschwil (BL), das Herzog & de Meuron in den Nullerjahren erstellten. Der Depotbereich beginnt im Untergeschoss des Neubaus, und setzt sich ab dem dritten Obergeschoss im nordöstlichen Bereich des Ensembles fort, vor allem im Aufbau über der Halle, die für Werkstätten genutzt werden soll. Verbindendes Element zwischen den Depotebenen ist primär ein Warenlift im Neubau.
Der «Schau»-Aspekt des Lagers besteht aus Durchblicken vom Foyer des Neubaus oder vom Bürotrakt her und aus einem Schaufenster in der Nordfassade das Hallentraktes. Ausserdem sind am Rand des Foyers Einblicke ins Depot für Grossobjekte vorgesehen sowie in den Hangar, ein spezifischer Raum für die Arbeit mit Kulturerbe. Das Foyer selbst ist ein gedecktes Atrium, das in den oberen Geschossen in Querrichtung von Brücken überquert wird. Auf Strassenniveau sind neben dem Ausstellungsbereich diverse Funktionen angeordnet, welche dem Austausch mit der Umgebung und der Versorgung dienen. In der Südwestecke, nahe der Eulach und dem Eulachpark, ist ein Gastrobetrieb mit Gartensitzplätzen geplant. Das Hochparterre des Bürobaus ist vom Atrium über eine Freitreppe erreichbar. Hier sind die Kleingewerberäume untergebracht, welche die bestehende Anlieferung mit den Werkstätten in der Halle teilen.
Im ersten und zweiten Obergeschoss des Bürobaus sind auf der Westseite die Büros, Coworking Spaces, Konservierungsateliers und Zwischenlager untergebracht. Alle haben über die Umgänge am Atrium direkten Zugang zu den Aussenterrassen an der Südfassade. Im dritten Obergeschoss des Neubaus beginnt die Wohnnutzung, welche sich in den darüberliegenden Etagen auch auf die Westseite des Bürobaus ausdehnen. Das Angebot reicht von Kleinwohnungen über Maisonetten bis zu Neunzimmer-Wohngemeinschafts-Einheiten, wobei die Skelettstruktur den Rhythmus vorgibt. Die Gesamtzahl der Wohnungen soll um rund 70 liegen.
Quelle: Studio Burkhardt/Lucas Michael Architektur
Der Aufbau der Halle mit dem Hauptteil des Depots wird mit zunehmender Höhe abgetreppt mit begrünten Stufen.
Quelle: Studio Burkhardt/Lucas Michael Architektur
Der Wohnhof ist direkt mit der nach Süden orientierten Terrassenkaskade verbunden.
Zirkularität und Photovoltaik
Das Projekt erinnert aus manchen Blickwinkeln an einen begrünten Ozeanriesen. Es will die Prinzipien des zirkulären Bauens hochhalten – was die von «campo» verkörperte Sammlerleidenschaft eigentlich gut ergänzt. Praktisch alle bestehenden Gebäudestrukturen sollen erhalten bleiben. Nichttragende Bauteile des Bestandes möchte man für die neuen Fassaden, als Bodenplatten im Aussenraum und für den Quartierladen an der Hegifeldstrasse wiederverwenden.
Sämtliche neuen Bauteile sind aus den erneuerbaren, natürlichen und lokalen Materialien Holz, Stroh und Lehm geplant. Sie sollen auch alle demontierbar eingebracht werden. Der Neubau soll durch frei sichtbare Rundstützen aus Eschenholz gegliedert werden. Ein auffälliges Merkmal in der Fassade sollen Photovoltaik-Paneele sein. Das Projektteam sieht sie derart vor die Gebäudeoberflächen gehängt, dass man an abstrahiertes Laub denkt – wodurch sie die geplante Begrünung auf interessante Art ergänzen könnten.
Quelle: Studio Burkhardt/Lucas Michael Architektur
Von der Terrassenkaskade schweift der Blick über den Eulachpark.
Nachgefragt ... bei Maja Trudel und Alain Gloor
Quelle: SKKG
Maja Trudel ist bei Terresta Co-Projektleiterin Bau, Alain Gloor in gleicher Funktion bei der SKKG für den Bereich Kultur zuständig.
Welche Beziehung bestand zwischen der
Testplanung und dem Wettbewerb? Lohnte es sich im Rückblick, in kurzer
zeitlicher Folge gleich zwei Verfahren zu organisieren?
Maja Trudel: Im Vorfeld des Wettbewerbs
wurde eine Test-planung als Grundlage zur Erarbeitung der Eignerstrategie von
SKKG und Terresta durchgeführt. Drei interdisziplinär zusammengestellte Teams
haben Vorschläge erarbeiten, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen die
Vision von «campo» umgesetzt werden kann. Ohne die Erkenntnisse aus der
Testplanung wäre das Formulieren der Aufgabenstellung bzw. Erstellen des
Wettbewerbsprogramms nicht möglich gewesen.
Sie haben hinsichtlich der Nutzungen in den
Räumlichkeiten von «campo» schon vor der Bekanntgabe des Siegerprojekts
Anregungen aus dem Quartier erhalten. Wurden diese nach seiner Veröffentlichung
noch ergänzt? Wird «Winti brännt» bei potenziellen Nutzerinnen und Nutzern
zusätzliche kreative Kräfte freisetzen?
Alain Gloor: Das ist unser grosser Wunsch
und etwas, woran wir im Moment intensiv arbeiten. Die ersten Anregungen aus dem
Quartier sind für uns erst der Anfang. Wir wollen in den nächsten Jahren mit
den Menschen aus Oberwinterthur und unseren direkten Nachbarinnen und Nachbarn,
aber auch den zukünftigen Mietenden in Beziehung treten. Und ja, natürlich,
Kräfte freisetzen! Wir wollen etwa herausfinden, wie «campo» zu einem
Treffpunkt und zu einem Ort für die Fragestellungen der Stiftung werden kann.
Auch reinigen wir vor Ort Sammlungsobjekte und vermitteln, was das bedeutet.
Ich freue mich sehr auf die Umsetzung und auf den Zeitpunkt, an dem wir noch
mehr verraten können.
Weiss man schon, wie bei der Auswahl der
Mieterinnen und Mieter vorgegangen wird? Sollen diese eine engere Beziehung zur
Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe aufweisen?
Alain Gloor: Das ist ein Thema mit viel
Potenzial, das wir bereits am Vertiefen sind. Wir sind aber noch nicht so weit,
das bereits zu kommunizieren.
Wie gehen Sie mit dem Aspekt Sicherheit
generell und insbesondere mit dem Schutz der Lagerbestände um? Das Foyer soll
ja öffentliche Nutzungen aufnehmen. Bedingt das nicht eine strenge
Zugangskontrolle?
Alain Gloor: Das Thema Sicherheit ist
wichtig, steht aber nicht über allen anderen. Ein Ziel von «campo» ist es, das
Kulturerbe wieder näher an die Menschen und ans Leben zu bringen. Das bedingt
auch eine Diskussion von gängigen Sicherheitsregimes rund um die Beherbergung
und Lagerung von Kulturgut. Ich bin zuversichtlich, dass wir raffinierte
Lösungen finden, die einem hohen betrieblichen Anspruch aus
Sammlungsperspektive wie auch der «campo»-Vision gerecht werden. Die
«campo»-Vision fordert eine Zugänglichkeit des Kulturerbes und auch, dass
«campo» zu einem Treffpunkt des Quartiers wird. Daran halten wir fest.
«Campo» soll auch hinsichtlich Zirkularität
vorbildlich sein. Braucht es für die Wiederverwendung bestehender Bauteile, wie
ihn das Projekt vorsieht, spezielle Lagerplätze oder eine spezielle Logistik?
Maja Trudel: Das «campo»-Projekt
beabsichtigt die Wiederverwendung von Bauteilen aus allen vor Ort nicht mehr
gebrauchten Bauteilen. Das Lager- und Logistik-Konzept ist noch nicht
erarbeitet; es sind aber Lösungen angedacht, wenn möglich auf dem Areal oder in
unmittelbarer Nachbarschaft, um die Wege klein zu halten.
Wo steht das Projekt aktuell? Kann das
Bezugsdatum 2028 für «campo» eingehalten werden?
Maja Trudel: Im Frühling 2024 starten wir mit dem Vorprojekt. Der Bezug ist frühestens 2028 geplant. (Interview: Manuel Pestalozzi)