Neues Stadthaus Romanshorn: Urbaner Repräsentativbau in Holz
Romanshorn möchte ein neues Stadthaus bauen und mit ihm das Ortszentrum urbaner machen. Das Siegerprojekt aus dem Architekturwettbewerb schlägt einen kompakten Körper in Holzbauweise vor, der sich hinter einem baumbestandenen Platz erhebt. Es würde das Stadtzentrum neu interpretieren und stellt gleichzeitig den effizienten Einsatz nachhaltiger Materialien in Aussicht.
Quelle: BGM Architekten
Das neue Stadthaus entsteht mit einem Platz, der sich in den Strassenraum ausdehnt. An der Sternenstrasse, rechts, soll die Fassade eines bestehenden Hauses in den Neubau integriert werden.
Die Thurgauer Gemeinde Romanshorn am Bodensee ist ein sogenanntes «verstädtertes Dorf». Ihr Aufschwung begann mit dem Bau des Hafens von 1840 bis 1844 und der Eröffnung der Bahnlinie nach Zürich 1855, mit dem noch immer genutzten Bahnhof von damals. Der Verkehr nahm zu, Industrie siedelte sich an. Zwischen 1850 und heute hat sich die Bevölkerungszahl nahezu verzehnfacht. Sie liegt aktuell bei nicht ganz 12'000 Personen. Das Siedlungsgebiet entwickelte sich vom Hafengebiet ausgehend entlang der nach Westen verlaufenden Bahnhofstrasse, die nach etwa einem Kilometer in die alte Hauptstrasse nach Amriswil übergeht. Als Querachse entstand zwischen 1880 und 1910 in Etappen die Alleestrasse. Die ursprüngliche Bebauung im Zentrum umfasst grundsätzlich kleinere, mehrgeschossige Wohn-, Laden und Gewerbebauten, meistens sind es freistehende Volumen mit etwas Umschwung.
Wunsch nach einem «Stadthaus+»
Der Anlass für die Projektierung eines neuen Stadthauses sind die räumlichen Verhältnisse der Stadtverwaltung. Sie ist in einem mehr als 130 Jahre alten Gebäude, einem ehemaligen Gasthaus, an der Bahnhofstrasse untergebracht. Wegen Platzmangel mussten schon ab den 1960er-Jahren externe Büroräumlichkeiten hinzugemietet werden. Mit dem Neubau bietet sich die Gelegenheit, ein «Stadthaus+» zu schaffen. Darunter versteht man in Romanshorn ein repräsentatives, zentral gelegenes Bauwerk, das über die Dienste der Stadtverwaltung hinaus weitere öffentliche Nutzungen beherbergt: eine Bibliothek, ein Café, vielleicht auch gewerbliche Angebote.
Als Standort wurde ein Areal mit dem Sternenplatz ausgewählt, in der nordöstlichen Ecke der Kreuzung Bahnhof-/Allee-strasse, im Osten begrenzt durch die Sternenstrasse. Auf dem Planungsperimeter stehen aktuell mehrere Liegenschaften aus der ersten Generation der Zentrumsbebauung. Die Standortwahl geht auf einen neuen Gestaltungsrichtplan für die Innenstadt zurück, der ab 2018 in Zusammenarbeit mit dem international tätigen Stadtplanungsbüro KCAP erarbeitet wurde. Er soll die gebotene Siedlungsentwicklung nach innen in einer kohärenten Weise möglich machen.
Quelle: BGM Architekten
Der Standort befindet sich an der Kreuzung der beiden Hauptverkehrsachsen der Gemeinde.
Die städtebauliche Konzeption zum Gestaltungsrichtplan Innenstadt sieht auf dem Gestaltungsperimeter einen neuen Stadtplatz «mit einem höheren Gebäude» vor. Dieser Platz an der Strassenkreuzung, oft Sternenplatz genannt, liegt südlich des vorgeschlagenen Gebäudes, bei der erwähnten Strassenkreuzung. Er ist als zentraler Begegnungsort von Romanshorn vorgesehen. Das geplante neue Stadthaus soll nun das «höhere Gebäude» werden und der Weg zum angestrebten städtebaulichen Ziel sein.
Für den Neubau wurde ein Wettbewerb ausgelobt. Zuvor erstellte KCAP eine Machbarkeitsstudie. Die daraus abgeleiteten Erkenntnisse berücksichtigte man im Programm. In einer Reihe von drei Workshops wurde zudem eine gemeinsame Vision für das neue «Stadthaus+» und den Stadtplatz entwickelt. Die Wettbewerbsteams erhielten mit den Unterlagen ein «kooperatives Zielbild» für den zu planenden Neubau. Es beinhaltete unter anderem ein Atrium über alle Geschosse und ein Erdgeschoss mit öffentlicher Nutzung. Das Stadthausprojekt war auf Basis des Effizienzstandards «SNBS Hochbau 2023» zu planen, der Gesellschafts-, Wirtschafts- und Umweltaspekte gleichermassen bewertet. Parkplätze oder eine Einstellhalle waren nicht einzuplanen. Um den in etwa trapezförmigen, sich nach Norden verbreiternden Bearbeitungsperimeter mit dem Sternenplatz wurde ein Betrachtungsperimeter gelegt. Er umfasste Abschnitte der Bahnhof-, der Allee- und der Sternenstrasse, die man als «erweiterten Stadtplatz» betrachtet, den künftigen Sternenplatz.
Markante Präsenz mit «Baumhalle»
Die Aufgabe löste grosses Interesse aus; es wurden insgesamt 82 Wettbewerbsbeiträge fristgerecht und anonym eingereicht. Nach einer zweitägigen Vorprüfung gelangten sieben Projekte in die engere Wahl. Am Ende des Bewertungsverfahrens empfahl das Preisgericht einstimmig das Projekt «Ahoi!» von BGM Architekten und META Landschaftsarchitektur GmbH, beide aus Basel, zur Weiterbearbeitung.
Das Entwurfsteam setzte bei seinem Vorschlag ein kompaktes Volumen in die nördliche Hälfte des Areals, so dass sich zwischen ihm und einer grossen, neuen Blockrandbebauung im Norden eine Gasse bildet, die auch für die Anlieferung genutzt werden kann. Südlich von ihm erstreckt sich der Sternenplatz. Das Gebäude gliedert sich an diesem Platz in einen rechteckigen sechsgeschossigen Hauptbaukörper und zwei Seitenflügel mit vier- respektive zwei Geschossen. Die Seitenflügel basieren ebenfalls auf einem orthogonalen Grundrissraster, sie sind aber so verdreht, dass ihre Ost- respektive Westfassade in den Fluchten der Allee- und der Sternenstrasse liegen. Alle Dächer sollen begrünt werden, auf dem zweigeschossigen Seitenflügel an der Sternenstrasse ist eine Glyzinienpergola geplant.
Quelle: BGM Architekten
Ein Lichthof bildet das Zentrum des Siegerprojekts. Er verbindet alle überirdischen Geschosse miteinander.
Die repräsentative Fassade am Sternenplatz erhebt sich über eine Kolonnade, die sich über die ganze Länge zieht. In der gedeckten offenen Zone hinter ihr befinden sich der ebenerdig erreichbare Haupteingang und beim östlichen Seitenflügel auch ein Aussensitzplatz für den hier eingeplanten Gastronomiebetrieb. Der Gestaltungsvorschlag für den Sternenplatz umfasst den Betrachtungsperimeter des Wettbewerbs, reicht also über die Arealgrenze hinaus und bezieht die benachbarten Strassenräume mit ein. Das Entwurfsteam sieht diesen Platz als «Baumhalle». Unter den grünen Kronen soll ein Belagsteppich aus Natursteinplatten dieses einheitliche Bild komplettieren. Dank Tempo 20 soll man auf trennende Bauteile wie Randsteine verzichten können. Ein bodenebenes Wasserspiel wird vorgeschlagen. In den warmen Monaten könnte es zur Belebung und Kühlung des Stadtzentrums beitragen.
Tageslicht von oben
Hinter der Kolonnade am Sternenplatz befindet sich im Hauptbaukörper eine zweigeschossige Halle mit einer umlaufenden Galerie – ein «Foyer public» mit der Aufenthaltsqualität einer Lounge, die auch jenseits der Öffnungszeiten der Stadtverwaltung genutzt werden kann. Darüber öffnet sich ein Lichthof, der bis zum verglasten Dach reicht. Die Öffnung ist auf der Höhe des vierten Obergeschosses leicht versetzt, die verschiedenen Ebenen verzahnen sich mit diesem durchgängigen vertikalen Luftaum. Mit dem vorgeschlagenen engen Stützenraster ergibt sich das Bild eines Waldes oder eines Hains. Es bildet im Zentrum des Baukörpers das Pendant zur «Baumhalle» auf dem Sternenplatz. Das «Foyer public» und der vertikale Luftraum treten in dieser Analogie als Lichtung in Erscheinung, welche die Stimmung der jeweiligen Jahres- oder Tageszeit und der Witterung ins Innere bringt. Die Bibliothek ist im östlichen Seitentrakt untergebracht. Sie wird durch einen separaten Eingang an der Sternenstrasse erschlossen. Ihre beiden Geschossebenen sind mit einer Wendeltreppe verbunden.
Eine grosse Offenheit soll im Stadthaus den Eindruck einer muffigen Amtsstube vergessen machen. Die vom Publikum am meisten frequentierten Einwohnerdienste im 1. Obergeschoss sind als durchgängige Servicezone geplant. Sie können nach Schalterschluss durch leichte Schiebeelemente vom «Foyer public» abgetrennt werden. In den darüberliegenden Geschossen sind am Lichthof sogenannte Fokusräume für Mitarbeitende und den Austausch mit der Kundschaft angeordnet. Dieses informell wirkende Raumangebot soll einen bürgernahen Veraltungsbetrieb ermöglichen.
Quelle: BGM Architekten
Das Stadthaus soll vom Sternenplatz her ebenerdig über eine gedeckte Vorzone erreicht werden. Für die zweigeschossige Bibliothek ist ein Nebeneingang an der Sternenstrasse geplant. Sie besitzt eine eigene Vertikalerschliessung mit einer Wendeltreppe.
Quelle: BGM Architekten
Im zweiten Obergeschoss besteht ein direkter Zutritt in den Dachgarten, den man mit einer Glyzinienpergola krönen möchte.
Tragwerk in Holz
Die Konstruktion des eingeschossig unterkellerten Stadthauses soll ab Erdgeschoss um einen Betonkern mit Erschliessung und Toiletten in Holz erfolgen. Der Entwurf beruht auf einem System mit Stützen, Primärträgern und engmaschig gesetzten Sekundärträgern. Letztere könnten aus Vollholz bestehen, was einen möglichst minimierten Einsatz von verklebten Holzwerkstoffen ermöglichen und den dereinstigen Rückbau erleichtern würde. Als Deckenelemente zwischen den Trägern werden Dreischichtplatten vorgeschlagen, die zugleich auch die Deckenoberflächen wären. Die stützenfreie Überspannung des Lichthofs sollen hochbelastbare Träger aus Furniersperrholz in Buche übernehmen. Das Konzept erlaubt eine beträchtliche Flexibilität bei den Raumunterteilungen und einen hohen Grad an Vorfabrikation. Es wurde auf eine durchgehend lineare Lastabtragung geachtet, was die Chance auf einen effizienten Materialeinsatz optimiert. Viele Teile der Konstruktion sollen sichtbar bleiben.
Die geschlossenen Fassadenpartien werden ebenfalls mit sichtbaren Holzelementen verkleidet. Horizontale Bänder trennen die einzelnen Geschosse. Das soll an repräsentative Romanshorner Stadthäuser erinnern. Die Fassade eines bestehenden Gebäudes soll, wie im Wettbewerbsprogramm gewünscht, in die Ostfassade an der Sternenstrasse integriert werden.
Die Neubauteile orientieren sich an dessen Ausmassen. Die in der Vertikalen leicht abgeschrägten, bei den Bändern in einem sanften Zickzack verlaufenden Verkleidungen geben der Fassade Plastizität und einen Rhythmus. Sie gleichen das Stadthaus dadurch der Kleinteiligkeit älterer Bauten der Nachbarschaft an. Bei den Kreuzungspunkten der vertikalen und horizontalen Verkleidungspartien sind über dem ersten, dritten und fünften Obergeschoss abstrakte Ornamente angedacht. Diese repräsentativen Gesten werden ergänzt durch eine skulpturale Stütze im Zentrum des «Foyer public», die sich als langgezogener, gespiegelter Pyramidenstumpf bezeichnen lässt und dessen Form auch bei den Pendelleuchten im Lichthof wiederholt werden soll.
Insgesamt präsentiert der siegreiche Wettbewerbsentwurf in den Augen des Preisgerichts ein stimmiges Gebäude, das den hohen Ansprüchen für ein zukunftsweisendes Stadthaus gerecht wird.
Quelle: BGM Architekten
Rund um einen Erschliessungs- und Sanitärkern aus Beton soll das engmaschige Tragwerk aus Holz bestehen.
Nachgefragt... bei Roger Martin
Quelle: Reto Martin
Roger Martin (Die Mitte) ist Stadtpräsident von Romanshorn.
Romanshorn sucht ein neues Stadthaus mittels eines
Architekturwettbewerbs und erhält 82 Vorschläge. Hat Sie das grosse Interesse
an dieser Bauaufgabe überrascht?
Wir waren uns durchaus bewusst, dass die Ausschreibung für
das geplante «Stadthaus+» für innovative Architektenbüros städtebaulich eine
Herausforderung sein und auf Interesse stossen wird. Tatsächlich waren wir dann
aber doch überrascht, als am Abgabetag die Vertreterinnen und Vertreter der
Büros auf dem Trottoir vor dem heutigen Gemeindehaus Schlange standen.
Der vorgeschlagene Standort des Neubaus befindet sich an
einer zentralen Lage, bei der Kreuzung der Bahnhof- und der Alleestrasse. Ist
das Areal, auf dem noch diverse ältere Gebäude stehen, schon im Besitz der
Stadt? Besteht genügend Sicherheit, dass dort gebaut werden kann?
Ja, alle notwendigen Parzellen sind im Besitz der Stadt. Der
geplante Bau untersteht der Gestaltungsplanpflicht.
Der Projektperimeter liegt im Bundesinventar der
schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS), im
Gebiet der Baugruppe 1.4, mit dem Erhaltungsziel B: Erhalten der Struktur. Mit
dem ISOS wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Bauprojekte bekämpft,
behindert oder sogar verunmöglicht. Bereitet Ihnen das keine schlaflosen
Nächte?
Ich habe ganz grundsätzlich einen gesunden Schlaf (lacht).
ISOS hat sich in den letzten Jahren tatsächlich zu einem unberechenbaren Faktor
entwickelt. Für das «Stadthaus+» sind wir jedoch zuversichtlich, dass das nicht
zum Problem werden wird.
Wo im Siegerprojekt würden Sie das Büro des Stadtpräsidenten
sehen?
In der Mitte – nicht nur, weil das meine Partei ist. Als
Stadtpräsident steht meine Türe immer offen, und ich möchte für meine
Mitarbeitenden auf allen Etagen auch im «Stadthaus+» gut erreichbar bleiben.
Darum sehe ich mein Büro nicht in oberen Stockwerken, sondern inmitten der
Verwaltung, wo ich den Puls spüren kann.
An der Sternenstrasse wurde die Fassade eines bestehenden
Massivbaus in die Fassade des Projekts integriert. Dies war ein Wunsch der
Stadt. Erscheint die Erfüllung dieses Wunsches noch immer realistisch?
Als Reminiszenz an das alte Gebäude wäre dies eine schöne
Geste. Die Realisierung muss aber verhältnismässig sein. Der Entscheid dafür
oder dagegen wurde noch nicht getroffen.
Welches ist der aktuelle Projektstand? Ist schon bekannt,
wann das Stimmvolk wie bereits angekündigt über das neue Stadthaus entscheiden
kann?
Wir sind dank der hervorragenden Zusammenarbeit aller am
Projekt Beteiligten zeitlich gut auf Kurs. Und auch das Datum für den Urnengang
ist schon fixiert: der 28. September 2025.
(Interview: Manuel Pestalozzi)
Quelle: BGM Architekten
Die Fassade mit den im Zickzack verlaufenden Verkleidungen geben dem grossen Volumen Plastizität und sorgen für ein abwechslungsreiches Schattenspiel.