Neues Muzeum Susch: Dem Fels entsprungen
Im Zentrum von Susch im Unterengadin wurde ein neues privates Museum für zeitgenössische Kunst eröffnet. Dafür wurden ein Komplex aus Industriebauten einer ehemaligen Bierbrauerei und zwei mittelalterlichen Bauernhäusern umgebaut. Den Architekten Chasper Schmidlin und Lukas Voellmy gelang es, ein Gleichgewicht zwischen Erhaltung und Intervention herzustellen.
Von François Esquivié
Das Herz von Susch, einem kleinen Dorf im Unterengadin am Fusse des Flüelapasses und am Inn, scheint auf der linken Seite zu schlagen: Bahnhof, Hauptstrasse, Hotels, Geschäfte und lokale Geschäfte liegen auf ein und derselben Uferseite. Dabei richtet sich der Blick auf die andere Seite des Flusses, auf der Suche nach dem Muzeum Susch, das am 2.Januar 2019 seine Pforten öffnete. Da es nur wenige Autominuten von St.Moritz und Davos entfernt liegt, ist die Standortwahl nicht so seltsam, wie es zunächst erscheint.
Chasper Schmidlin und Lukas Voellmy, zwei 30-jährige Architekten aus Zürich, die auch die Kunstgalerie von Bartha (2009) in Basel neu gestalteten, haben einen Direktauftrag erhalten. Indem sie die Spuren des ehemaligen Gebäudes betonen und dabei gleichzeitig neue, ganz spezielle Räume kreieren, gelingt es ihnen, ein Gleichgewicht zwischen Erhaltung und Intervention herzustellen. Es ist schwer zu sagen, wo die Natur endet und die Kunst beginnt in diesem Projekt, das gleichzeitig wie ein alpines Chalet, eine primitive Höhle und ein Versteck für den Bösewicht in einem James-Bond-Film wirkt.
Kulturelle Nachfolge
Nichts deutet darauf hin, dass es hier ein privates Museum und eine Stiftung für zeitgenössische Kunst gibt, die von der polnischen Unternehmerin Grayna Kulczyk finanziert wird, deren Sammlungteilweise vor Ort ausgestellt ist (ortsspezifische Werke). Das Raumprogramm gliedert sich in zwei Gebäude, die durch einen Tunnel miteinander verbunden sind: Die «Bieraria Veglia» (Empfang, Bistro, Dauerausstellung, Auditorium, Verwaltung, Bibliothek) und die «Bieraria» (Dauerund Wechselausstellung) befinden sich im ehemaligen Presbyterium, Hospiz und Brauerei eines Klosters, dessen Spuren bis ins zwölfte Jahrhundert zurückreichen. Künstlerresidenzen, die sich in der «Chesa Della Santa» befinden, sind mit demMuseum verbunden, jedoch nicht öffentlich zugänglich.
Von der unteren Ebene der «Bieraria Veglia» gelangt man ins Museum: Eine mit Kieseln gesäumte Rampe führt von aussen zur Rezeption, so als hätte ein Fluss das Gebiet einst durchquert. Und das scheint immer noch der Fall zu sein: Ein glänzendes Netz fliesst mäanderartig entlang einer Felswand am Ende des Tunnels. Hinter dem Empfang erinnert ein steinerner Futtertrog an den ehemaligen Stall.
An anderer Stelle zeugen zwei Rauchbalken, die an der Basis eines geschwärzten Halbkreisgewölbes eingebettet sind, von einer Räucherei. Ein grauer, aus dem Sand des Flussbetts hergestellter grober Putz verleiht den Wänden ein homogenes Erscheinungsbild und hebt gleichzeitig die Verschiedenartigkeit der Böden hervor: Unregelmässiges Pflaster aus farblich unterschiedlichen Flusssteinen mit verschiedenen Strukturen wechselt sich mit Platten unterschiedlicher Grösse und Dicke ab, während sich ein durchgefärbter und leicht geschliffener Terrazzo wieeine Ölschicht ausbreitet, ohne jedoch die Wände der alten Räume zu berühren. Die Wahl und Verwendung der Materialien spiegeln eine archaische, einfache und funktionale Schönheit wider.
Authentische Stuben
Im Obergeschoss öffnet sich der traditionelle «Pierten» (der Eingangsbereich eines Engadiner Hauses) zur Bar und auf die Arbeitstische aus patiniertem Rohstahl. Das Bistro befindet sich in zwei authentischen Stuben, die mit zeitgenössischen Elementen interagieren, wie beispielsweise der von Joe Colombo entworfenen und von den Architekten leicht modifizierten Beleuchtung oder den antiken Tapisserien in den Wandtäfelungen.
Von hier aus kommt man auch zum doppelt hohen Auditorium mit seinen zwei grossen Fenstern, die den Blick auf den Fluss und zum Friedhof der nahe gelegenen Reformierten Kirche freigeben. Der Boden ist ein massiver Lärchenboden aus zwölf Meter langen Dielenbrettern, die wie eine präzise Intarsie tête-bêche angeordnet sind.
Besonders deutlich wird der architektonische Eingriff in der «Bieraria», einem Bereich mit sehr unterschiedlichen Räumen, ganz nach dem Caso-per-caso-Prinzip. Diese reichen von Höhlen, die in den Fels gehauen wurden, über bewaldete Lofts unter den Dächern bis hin zu eher traditionellen Ausstellungsräumen. Der Aushubvon 9000 Kubikmetern Amphibolit, einem lokalen Gestein, ermöglichte, das bestehende Höhlensystem der Brauerei (ein Lager, eine Kühlkammer und ein Hohlraum mit Zugang zu einer Quelle) ohne besondere Kunstgriffe zu ergänzen.
Ab hier ist dieser Artikel nur noch für Abonnenten vollständig verfügbar.
Jetzt einloggenSie sind noch nicht Abonnent? Übersicht Abonnemente